Größer, teurer, breiter: Warum Fahrräder bis zu 15.000 Euro kosten
Auf Hamburgs Straßen sind mehr und mehr E-Bikes unterwegs. Inzwischen machen sie fast die Hälfte aller verkauften Räder aus. Allerdings fällt auf: Die Bikes werden zunehmend schwerer, haben dickere Reifen und größere Akkus – manche sprechen sogar von den „SUVs der Radwege“, die dazu in immer höhere Preiskategorien emporschweben. Inwieweit können derartig monströse Gefährte die Verkehrswende überhaupt voranbringen?
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Auf Hamburgs Straßen sind mehr und mehr E-Bikes unterwegs – inzwischen machen sie fast die Hälfte aller verkauften Räder aus. Allerdings fällt auf: Die Bikes werden zunehmend schwerer, haben dickere Reifen und größere Akkus – manche sprechen sogar von den „SUVs der Radwege“, die dazu in immer höhere Preiskategorien emporschweben. Inwieweit können derartig monströse Gefährte die Verkehrswende überhaupt voranbringen?
Ein Klick auf das kleine Display und es geht los: Beim Treten in die Pedale spüre ich plötzlich eine merkliche Erleichterung. Das Fahrrad fährt zügiger, obwohl ich meine Beine nicht schneller bewege. Ein ungewohntes Gefühl, aber doch sehr angenehm. Noch zwei Klicks, dann ist der Motor auf seiner höchsten Stufe angekommen. „Turbo“ steht jetzt auf dem Display. Für den Straßenverkehr am Jungfernstieg ist diese Einstellung aber eindeutig zu schnell, hastig schalte ich wieder runter, bevor ich noch den Bus vor mir überhole.
E-Bikes in Hamburg: Bis zu 15.000 Euro für ein Rad
Das graue Bike, auf dem ich sitze, ist laut Hersteller extra für den Stadtverkehr designed und kostet um die 6000 Euro. Im Fahrradladen „Concept Cycles Hamburg“ (CCHH) von Geschäftsführer Henrik Schmidt, der hauptsächlich Räder der amerikanischen Premiummarke „Specialized“ anbietet, ist das allerdings noch lange nicht das teuerste Rad.
Bis zu 15.000 Euro geht es hoch: Das „S-Works Turbo Kenevo“ ist ein elektrifiziertes Mountainbike und „natürlich vorrangig für Trails in den Bergen gedacht, du kannst damit aber natürlich auch in der City rumfahren“, erklärt Schmidt. „Es hat eine Turbo-Active Funkschaltung und ist superleicht.“
Das Produkt ist nur ein Beispiel für den Luxus-Trend, der die Fahrradbranche erfasst hat. Der Hamburger E-Bike-Hersteller „Bergamont“ hat gar eine eigene SUV-Kategorie unter seinen Produkten eingerichtet. Autohersteller wie Porsche haben den Trend erkannt und jüngst ein E-Bike für 10.900 Euro auf den Markt gebracht.
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Tatsächlich müssen Nutzer inzwischen durchschnittlich fast doppelt so viel für ein E-Bike hinblättern, wie noch vor drei Jahren. Laut dem Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) liegt das an zunehmend anspruchsvollen Kunden. Die meisten E-Bike-Käufer scheinen ihr Fahrrad als langfristige Investition zu sehen, denn der ZIV erkennt einen Trend zu „hochwertigen und sicheren E-Bikes“. Derzeit fahren rund 8,5 Millionen elektrische Räder in Deutschland, allein 2021 wurden zwei Millionen davon verkauft.
Die meisten Fahrräder, die Henrik Schmidt und sein Team verkaufen, sind City-E-Bikes. Finanziert werde ein Großteil davon über Job-Leasing: Immer mehr Arbeitgeber bezuschussen das Dienstrad. „Es pendeln so viele inzwischen per Rad zur Arbeit“, berichtet Schmidt, „am Jungfernstieg sind morgens ganze Radfahrer-Kolonnen unterwegs.“ Er hält das für einen guten Schritt in Richtung Verkehrswende.
Die SUV-Bikes, von denen auch einige im Store stehen, empfindet er hingegen als fragwürdig. „Das ist aber typisch Mensch, es muss eben immer bequemer und komfortabler werden“, sagt er. „Die sind aufgrund ihrer vielen Dämpfer zudem sehr wartungsintensiv.“
Einige Fahrer landen dann in der „Drehmoment“-Werkstatt in der Schanze, die seit Anfang 2021 die Reparatur von E-Bikes anbietet. Zwar seien sie auf Lastenräder spezialisiert, aber die hätten ja auch meistens einen Motor, sagt Chef Magnus Kersting. Die Nachfrage sei enorm gestiegen. „Meistens gibt es Probleme mit dem Akku“, berichtet er. Die Reparatur sei im Gegensatz zu normalen Fahrrädern etwas aufwendiger aufgrund der Verkabelung. „Viele Teile verschleißen durch die Kraft des Motors deutlich schneller als bei einem normalen Rad, insbesondere die Bremsen und der Antrieb mit Kette.“
Zudem verschlingt schon die Produktion von hochmotorigen E-Bikes deutlich mehr Ressourcen als die von herkömmlichen Rädern. Für die Akkus und die Elektronik braucht es unter anderem Lithium – sind die elektrischen Fahrräder also überhaupt ökologisch sinnvoll?
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Eric Groß von der TU Hamburg, der sich seit vielen Jahren mit dem Thema E-Bikes beschäftigt, ist davon überzeugt. Die motorisierten Fahrzeuge seien „unschlagbar energieeffizient“. Nur Fahrradfahren ohne Motor wäre natürlich noch besser.
„Unsere Analysen zeigen, dass die spezifische Energie für Materialgewinnung, Herstellung, Vertrieb, bis hin zur Entsorgung – einschließlich der kritischen Batterie – vergleichbar mit den Daten für Autos ist“, sagt der Experte aus dem Institut für Strukturmechanik. „Da das E-Bike lediglich etwa 25 Kilogramm wiegt und ein Pkw aktuell 1400 bis über 2000 Kilo, ist die Umweltbilanz für das E-Bike entsprechend günstig.“ Auf ein Auto kämen 60 bis 80 E-Bikes.
E-Bike-Boom: Immer mehr Unfälle in Hamburg
„Natürlich ist es umweltfreundlicher, ein Fahrrad ohne Motor zu fahren“, sagt CCHH-Geschäftsführer Schmidt. „Aber die Mobilitätswende soll alle abholen – auch diejenigen, die eben nicht mal einfach zehn Kilometer durch die Stadt radeln können. Da ist das E-Bike eine super Lösung.“
Als problematisch stuft Groß allerdings inzwischen die Unfallzahlen ein, da die verstärkte E-Bike-Nutzung teils zu schweren Verletzungen führe. Allein in Hamburg wurden zwischen Januar und Juni 2022 insgesamt 1253 Fahrradfahrer Opfer eines Unfalls, darunter 224 E-Bike-Nutzer. Das entspricht einer Steigerung von enormen 244,6 Prozent im Gegensatz zu 2019. Allerdings: Seitdem sind laut Verkehrsbehörde auch 47 Prozent mehr Radfahrer unterwegs.
„Hier ist die Verkehrsinfrastruktur nicht mit der Nutzung mitgewachsen“, kritisiert Groß. Mit dieser Aussage rennt er offene Türen beim Hamburger Fahrrad-Verband ADFC ein. „Breite Radspuren, wie an der Reeperbahn oder der Königstraße, können die nächsten zehn Jahre auf jeden Fall den Radverkehr auffangen, aber das ist nicht einmal 0,01 Prozent von Hamburg“, sagt Sprecher Dirk Lau. Die ganze Stadt müsse eine geeignete Infrastruktur haben.
Dabei wird dem Fahrrad laut einem Plan des Umweltbundesamtes gar keine so große Rolle bei der Verkehrswende zugesprochen. Nur in einem der acht aufgestellten Punkte taucht das Rad auf – und das auch nur als Beiwerk. Zusammen mit dem ÖPNV und dem Fußverkehr könnte dieser sogenannte Umweltverbund insgesamt zwei bis drei Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen. Ein Großteil entfällt aber auf Bus und Bahn.
Dem Rad- und insbesondere dem E-Bike-Boom schaden diese Erkenntnisse nicht. Fahrradhändler wie Henrik Schmidt rechnen weiterhin mit einem guten Geschäft. Die Lieferprobleme der vergangenen Jahre seien passé, inzwischen hätten die meisten wieder viele Fahrräder und Zubehör vorrätig.