• Ein Giftstoff-Kanister wird 2012 aus der Elbe im Hamburger Hafen gezogen.
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Gift und Sprengstoff neben Wohngebieten: Die explosive Gefahr im Hamburger Hafen

Steinwerder –

In einer Lagerhalle auf dem Gelände des HHLA-Rosshafen-Terminals am Rossweg hat am Mittwoch ein 200-Liter-Fass leckgeschlagen: Eine Gift-Wolke zog sich über den Hamburger Hafen, die Feuerwehr warnte, Anwohner mussten ihre Türen und Fenster geschlossen halten. Eine Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linksfraktion zeigt: Es werden mehr Gefahrenstoffe in der Nähe von Wohngebieten gelagert, als man annimmt. 

Die Giftwolke am Mittwoch breitete sich in Windeseile über Steinwerder aus, örtliche Firmen wurden aufgefordert, den Betrieb einzustellen beziehungsweise ihre Arbeiter in geschlossenen Räumen zu sammeln – was nicht immer unter strenger Einhaltung der Corona-Regeln geschah.

Gift-Wolke über Hamburg: Die explosive Gefahr im Hafen

„Ich arbeite seit über 30 Jahren im Hafen. Zu solchen Feuerwehreinsätzen kommt es immer mal wieder. Aber sowas? Das habe ich noch nie erlebt“, sagt ein Hafenarbeiter. Die Beamten hätten alles abgeriegelt, seien ziemlich hektisch gewesen. Der Mann will anonym bleiben, auch wegen dieser Info: „Wir wurden mit 30 Leuten in kleine Räume zusammengepfercht, ohne Frischluft. Wenn ich jetzt Corona habe, weiß ich warum.“

Die Karte und die gelben Dreiecke zeigen: Vor allem südlich der Elbe gibt es viele Giftstoff-Betriebe.

Die gelben Dreiecke auf der Karte zeigen: Vor allem südlich der Elbe gibt es viele Giftstoff-Betriebe.

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Geoportal Hamburg

Die Feuerwehr Hamburg ließ eine MOPO-Anfrage zum Einsatz am Donnerstag unbeantwortet. Noch ist also unklar, um was für einen Gefahrenstoff es sich handelte. Zu diesem Vorfall teilten die Beamten auf Twitter lediglich mit: „Auslaufende Flüssigkeit aus dem Fass wird mit Chemiekalienbindemittel gebunden. Dämpfe werden mit Wasser niedergeschlagen.“

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Die wichtigste Nachricht: Niemand ist bei dem Vorfall verletzt worden. Das war nicht immer der Fall. In der Vergangenheit haben in Hamburg gelagerte Giftstoffe schon des Öfteren für schwere Umwelt-Skandale gesorgt: 1928 explodiert auf dem Stoltzenberg-Gelände in Georgswerder ein Kesselwagen mit Phosgen – mindestens zehn Menschen sterben in Folge einer über das Viertel ziehenden Giftgas-Wolke.

1979 stirbt ein Achtjähriger nach einer Explosion, sein Bruder (13) erleidet Verbrennungen, ein Freund (10) verliert die rechte Hand. Die Kinder hatten auf dem stillgelegten Werk von Stoltzenberg in Eidelstedt gespielt und Gegenstände mit nach Hause genommen: Sprengstoff. Und 1984 kommt heraus, dass zwei Deponien von H.C. Boehringer auf der Veddel und in Georgswerder verseucht sind. Die Firma hatte jahrzehntelang dort ihr Gift entsorgt.

Stephan Jersch, umweltpolitischer Sprecher der Linken in Hamburg.

Stephan Jersch, umweltpolitischer Sprecher der Linken in Hamburg.

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Linksfraktion/HFR

„Man möchte Menschen ungern verunsichern, dass Schadstoff-Wolken rüberziehen könnten“, erklärt Stephan Jersch, umweltpolitischer Sprecher der Linksfraktion, der MOPO. „Das Bild des agilen Hafens soll nicht angekratzt werden.“

Hamburg: Giftstoffe werden nah an Wohnhäusern gelagert

Fakt ist aber, und das geht aus einer Anfrage der Linken an den Senat hervor: In vielen Fällen werden Giftstoffe extrem nah an Wohnhäusern gelagert, vor allem südlich der Elbe, aber auch im Stadtgebiet. Den kürzesten Abstand gibt es in der Straße Am Ballinkai (Altenwerder), dort beträgt er gerade einmal 500 Meter. 

Auch diese Zahlen sind erschreckend: In Firmen, die Giftstoffe verwenden, gibt es in Hamburg insgesamt elf dem Senat bekannte Betriebsbereiche, in denen explosive Stoffe gelagert werden. Dazu kommen 91 Hallen, in denen sich „entzündbare flüssige, brennbare, akut toxische und ätzende Stoffe“ befinden.

Linken-Politiker Jersch: „Abwägung der Stadt hat Schlagseite“ 

„Die Nutzung und der Bedarf an Wohnraum überwiegen, auch in Bereichen, in denen in unmittelbarer Nähe Giftstoffe gelagert werden“, so Jersch. Daher würde auch Wohnbebauung in den Hafen reinwachsen. „Die Abwägung hat hier Schlagseite.“

Der Senat sollte sich laut Jersch viel eher die Fragen stellen: „Brauchen alle Firmen die Genehmigungen zur Lagerung von Giftstoffen? Kann man den Firmen keinen alternativen Standort anbieten?“ Und vor allem: „Braucht Hamburg wirklich so viel Giftstoffe?“

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