Gewalt gegen Frauen: „Wenn Du Dich trennst, bring ich Dich um“
Physische, sexualisierte und psychische Gewalt gegen Frauen – Alltag in Deutschland. Der Fall von Langenhorn, wo am Donnerstag ein 31-jähriger Mann an einer Tankstelle einen Benzinkanister mit Kraftstoff befüllte und dann seine Lebensgefährtin übergoss, ist ein besonders erschütterndes Beispiel dafür. Was Frauen in Hamburg durch ihre Partner erleiden, darüber sprach die MOPO mit der Mitarbeiterin eines Frauenhauses.
Männliche Gewalt gegen Frauen – Alltag in Deutschland. Der Fall von Langenhorn, wo am Donnerstag ein 31-jähriger Mann an einer Tankstelle einen Benzinkanister mit Kraftstoff befüllte und seine Lebensgefährtin übergoss, ist ein besonders erschütterndes Beispiel dafür. Was Frauen in Hamburg durch ihre Partner erleiden, darüber sprach die MOPO mit der Mitarbeiterin eines Frauenhauses.
Glücklicherweise ist die 35-jährige Frau wohlauf. Der Täter hat sich der Polizei gestellt. Weil es keine Haftgründe (etwa Flucht- oder Wiederholungsgefahr) gebe, so die Behörden, sei der Mann, der in Kiel wohnt, wieder auf freiem Fuß.
Das für Beziehungsgewalt zuständige LKA der Region Nord ermittele nun wegen des Verdachts der Bedrohung und Nötigung. Warum der Mann seine Lebensgefährtin mit Benzin übergoss und dann mit ihr wegfuhr – immer noch völlig unklar. Ebenso die Frage, ob er sie zum Einsteigen zwang, oder ob sie freiwillig mitfuhr. Gab es Streit? Wollte sie sich trennen? Und wollte er ihr zeigen, wer der Herr ist? Bisher alles bloß Spekulation.
In Hamburg gab es in diesem Jahr schon fünf Femizide, 17 waren es 2022
Fausthiebe, Tritte, Messerangriffe, Zigaretten, die auf dem Körper ausgedrückt werden – Statistiken darüber, wie viele Frauen solche Grausamkeiten ertragen müssen, gibt es nicht. Die Dunkelziffer dürfte immens sein. „Wir gehen davon aus, dass jede dritte Frau in Deutschland in ihrem Leben sexualisierte und oder physische Gewalt erlebt“, sagt Verena Roller-Lawrence (66), eine Sozialarbeiterin, die seit 39 Jahren in einem Hamburger Frauenhaus arbeitet. „In jedem vierten Fall ist der Täter ein aktueller oder ehemaliger Partner.“
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Erschreckend auch diese Zahlen: In Deutschland stirbt jeden dritten Tag eine Frau – getötet von ihrem Partner oder Ex-Partner. „In Hamburg gab es allein in diesem Jahr fünf Femizide“, sagt Roller-Lawrence. „2022 waren es 17.“
Oft seien Trennungen der Moment, in dem die Gewalt in einen Mord eskaliere. „Immer wieder erzählen uns die Frauen in den Beratungsgesprächen, dass ihre Partner ihnen gedroht haben: ,Wenn du dich von mir trennst, bringe ich dich um.’“
Warum machen Männer so etwas? „Es geht um Macht, es geht um Kontrolle, um Demütigung, um Rache“, so Roller-Lawerence. Oftmals haben Frauen monate- oder gar jahrelange Gewalterfahrungen hinter sich, bevor sie sagen: „Es reicht. Ich kann nicht mehr.“
Die Frauen leiden dadurch häufig unter Depressionen und an mangelndem Selbstwertgefühl. Oft haben sich Frauen über lange Zeit anhören müssen, dass sie nichts können, nichts wert sind. „Ständig kleingemacht zu werden, zerstört das Selbstbewusstein“, so Roller-Lawrence. „Es kann zu einer dauerhaften Traumatisierung kommen.“
Hamburg hat 200 Frauenhaus-Plätze zu wenig
Das Wichtigste, das eine Frau in dieser Lage braucht: einen sicheren Zufluchtsort. Und da beginnen auch schon die Probleme. Gemessen an den Empfehlungen der „Istanbul-Konvention“ – das ist ein Abkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – müsste Deutschland 21.000 Frauenhausplätze vorhalten. Es sind aber nur 6000. In den sechs Hamburger Frauenhäusern gibt es – inklusive einer zentralen Notaufnahme – 240 Plätze. „Dabei müssten es 200 mehr sein“, sagt Roller-Lawrence.
Durch den äußerst angespannten Hamburger Wohnungsmarkt wird die Lage zusätzlich verschärft: „Die betroffenen Frauen leben meist von staatlicher Unterstützung und brauchen bezahlbare Wohnungen, aber weil es die nicht gibt, müssen sie acht, zehn, zwölf Monate in den beengten Wohnverhältnissen eines Frauenhauses ausharren, bis sie endlich was finden“, so Roller-Lawrence. „Dadurch werden bei uns die Plätze blockiert und wir können keine neuen Frauen aufnehmen. Ein Teufelskreis.“

Ähnlich bescheiden ist die Lage an der Therapie-Front. Die Frauen brauchen psychische Hilfe – aber die Therapeuten sind völlig überlastet. Oder aber es sind nur Therapeuten verfügbar, die privat abrechnen – da sträuben sich die Krankenkassen, die Kosten zu übernehmen.
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„Wir verwalten den Mangel“, sagt Roller-Lawrence, „dabei nimmt die Gewalt gegen Frauen nicht ab, im Gegenteil.“ Die Sozialarbeiterin erhebt Forderungen: Etwa, dass die Zahl der Therapieplätze deutlich vergrößert werden muss. „Außerdem verlangen wir von der Sozialbehörde ein Wohnungskontingent: jährlich bezahlbaren Wohnraum für 70 Frauen und ihre Kinder.“
Europarat kritisiert gravierende Defizite beim Schutz von Frauen vor Gewalt
Im vergangenen Herbst wurde Deutschland wegen gravierender Defizite beim Schutz von Frauen gegen Gewalt vom Europarat scharf kritisiert. Die Organisation forderte unter anderem den Ausbau von Beratungsstellen und Frauenhäusern. Der Bericht des Europarats rügte, dass gewalttätige Väter in Deutschland ein Sorge- oder Besuchsrecht erhielten, ohne dass Sicherheitsbedenken der Frauen oder Kinder ausreichend berücksichtigt würden. Schutzanordnungen für die Opfer würden häufig nicht gewährt.
Kritisiert wird auch die Justiz: Sexuelle Gewalt werde von Richtern eher milder beurteilt, wenn es sich beim Täter um einen aktuellen oder ehemaligen Partner handle. Allgemein schienen in der deutschen Justiz „negative geschlechtsspezifische Stereotypen und Haltungen der Täter-Opfer-Umkehr“ fortzubestehen.