Genderforscherin: „Manchmal geht mir das Woke unfassbar auf die Nerven“
Stevie Schmiedel (52) ist promovierte Genderforscherin – und von den Grabenkämpfen innerhalb des Feminismus und der Erbarmungslosigkeit der öffentlichen Genderdebatte genervt. Mit Humor und Fachwissen versucht die „Pinkstinks“-Gründerin nun, für ein bisschen mehr Versöhnlichkeit auf allen Seiten zu werben: „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne - Warum uns ein bisschen Genderwahn gut tut“ heißt ihr neues Buch. Die MOPO sprach mit der Hamburger Autorin über Tofuwürstchen, die auf Grills herumrollen, über ihre Liebe zur alten Rechtschreibung, warum Behörden in offiziellen Schreiben (noch) nicht gendern sollten – und über das, was sie „Feminismus mit Liebe“ nennt.
Stevie Schmiedel (52) ist promovierte Genderforscherin – und von den Grabenkämpfen innerhalb des Feminismus und der Erbarmungslosigkeit der öffentlichen Genderdebatte genervt. Mit Humor und Fachwissen versucht die „Pinkstinks“-Gründerin nun, für ein bisschen mehr Versöhnlichkeit auf allen Seiten zu werben: „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne – Warum uns ein bisschen Genderwahn gut tut“ heißt ihr neues Buch. Die MOPO sprach mit der Hamburger Autorin über Tofuwürstchen, die auf Grills herumrollen, über ihre Liebe zur alten Rechtschreibung, warum Behörden in offiziellen Schreiben (noch) nicht gendern sollten – und über das, was sie „Feminismus mit Liebe“ nennt.
Wozu sollte denn ein „bisschen Genderwahn“ gut sein?
Stevie Schmiedel: Weil viel von dem, was die „Genderjugend“ fordert, gar nicht „gaga“ ist, sondern ziemlich vernünftig. Es könnte wirklich allen Männern und Frauen zugutekommen – wenn es sich nicht immer so radikal anhören würde. Derzeit wenden sich aber viele Menschen vom Feminismus ab, weil der oft sehr aggressiv auftritt. Mein Appell: Versucht es doch einmal freundlich zu übersetzen, damit alle etwas verstehen können. So laut, wie junge Feministinnen die Wut vor sich hertragen, vernehmen die Älteren nicht, was sie sagen.
Sprechen Sie bei den ,Älteren‘ auch von sich selbst?
Ich merke selbst, dass ich bei bestimmten Tonlagen dicht mache. Ich verstehe, dass manche älteren Menschen gar nicht mehr mitkommen wollen, nicht unbedingt inhaltlich, sondern weil der Tonfall sie abschreckt.
„Das Woke geht mir manchmal unfassbar auf die Nerven“, schreiben Sie im Buch. Soll das die Leser und Leserinnen ansprechen, für die Woke ein Schimpfwort ist?
Damit baue ich natürlich eine Brücke, es ist aber auch wahr: Es nervt mich manchmal wirklich. Ich mache mich aber auch über meine eigenen woken Jugendsünden lustig, etwa, wenn ich mein Tofuwürstchen nicht mehr essen wollte, weil es auf dem Grill gegen eine Fleischwurst gerollt war. Irgendwann habe ich wieder angefangen, Fleisch zu essen, und dann gleich in rauen Mengen. Das passiert, glaube ich, oft bei radikalen Forderungen: Am Ende erreicht man genau das Gegenteil. Ich kenne auch Freundinnen, die aufhörten zu gendern, weil es ihnen so auf den Geist ging, dass ihnen ständig erklärt wurde, warum selbst ein Sternchen immer noch einige Menschen diskriminiere. Bei diesen woken Themen geht es ganz viel um Identität und ich appelliere dafür, wenn es möglich ist, ein kleines bisschen selbstironisch zu sein, die eigene Identifizierung etwas leichter zu nehmen und ein Anliegen etwas freundlicher zu vermitteln.
Also ein Plädoyer gegen die Wut?
Die Wütenden muss es geben! Ich versuche nur diejenigen, die es können, zu bewegen, sich ein bisschen mehr in die Mitte zu stellen und für die Sache zu werben. Wenn eine Biologin keinen Vortrag mehr halten darf, weil sie meint, es gebe nur zwei Geschlechter, dann ist das nicht in Ordnung. Es ist eine Meinung von vielen in der Biologie, der nächste kann darauf ja eine berechtigte Gegenrede halten, aber wir brauchen doch die Debatte und können nicht sagen: „Ihr müsst jetzt alle sofort so denken wie wir, ihr dürft keine Fragen mehr stellen.“ ,Feminismus mit Liebe‘ nenne ich das immer.
Bei aller Liebe wollen aber derzeit die meisten Menschen nicht, dass gegendert wird. Sternchen, Doppelpunkt und Glottisschlag finden die einfach schrecklich. Muss man das nicht respektieren?
Ich glaube, viele sind in erster Linie abgeschreckt von der Vehemenz des Diskurses. Wenn ich Vorträge halte, frage ich immer, wer Genderstern oder Doppelpunkt richtig, richtig schlimm findet. Das sind die wenigsten. Die meisten Menschen sind irgendwas dazwischen, gendern selbst nicht, finden es aber nicht so schlimm, wenn andere es machen. Diese unentschlossene Gruppe ist viel größer als diese Umfragen es darstellen.
65 Prozent lehnen Gendern ab, sagen diese Studien.
Das muss man natürlich ernstnehmen. Wenn die Mehrheit keine Gendersprache will, können wir sie nicht behördlich einführen. Das war ein Fehler, dass in offiziellen Schreiben eine Sprache verwendet wurde, die es offiziell noch nicht gibt. Selbst ich, die dafür ist, dass wir gendergerechte Sprachformen kreieren, finde es schwierig, wenn so vorangeprescht wird, denn das erzeugt nur Gegenwehr. Und für die Entscheidung, was korrektes Deutsch ist, haben wir ja sogar ein demokratisches Tool: den Deutschen Rechtschreibrat, der 2004 eingeführt wurde, weil die letzte Rechtschreibreform so katastrophal schief gelaufen ist. Der Rat hat gendergerechte Sprache zwar jüngst empfohlen, die Einführung von Sternchen aber noch abgelehnt.
Das klingt jetzt fast nach Verständnis für die Anti-Gender-Kampagne, die gerade in Hamburg läuft. Gegen das Gendern in Behörden und Schulen.
Sympathie werde ich wohl für die Initiatoren niemals aufbringen. Aber diese Initiative wird Erfolg haben, und das hätte man vermeiden können, wenn man den demokratischen Prozess einfach abgewartet hätte. Gendern wird kommen. Die jungen Menschen gendern längst, in den urbanen, gebildeten Milieus ist das jetzt schon Normalität und es wird langsam auch in anderen Teilen der Gesellschaft ankommen.
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Sie selbst halten ja auch durchaus an überholten sprachlichen Regeln fest.

Ja! Ich verstehe den Widerstand total, weil Sprache unseren privatesten Bereich berührt. Ich zum Beispiel recke das Kinn stur gen Himmel und schreibe in privaten Briefen das „daß“ immer noch mit einem schwungvollen ß, statt mit ss. Das ist total kindisch, aber das ist eben meine Identitätsbekundung. Es gibt Autor:innen, die schreiben ganze Bücher in der alten Rechtschreibung, weil das ihre Kunst ist. Vielleicht kann man die Gendersprache auch als Kunst betrachten, an die man sich herantastet, statt sie gleich mit Zwang zur neuen Mehrheitssprache zu deklarieren. Ich hoffe, mit meinem Buch ein bisschen zu heilen, beiden Seiten die jeweils andere zu erklären und das in einem Tonfall, dass man das Buch abends gemütlich im Bett lesen kann und das Gefühl bekommt: „Ach, jetzt verstehe ich. Ist ja gar nicht so schlimm, wie ich immer dachte.“