10-Euro-Sex und Paris-Feeling: So geht es am berüchtigten Hansaplatz zu
Sex, Suff, Polizeieinsätze: Der Hansaplatz im Herzen von St. Georg ist für viele ein Ort, den sie eher meiden. Für andere dagegen ist er Heimat, sie wollen dort nicht weg. Aber warum? Was macht Hamburgs vielleicht umstrittensten Patz so besonders? Die MOPO machte sich auf Spurensuche.
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Sex, Suff, Polizeieinsätze: Der Hansaplatz im Herzen von St. Georg ist für viele ein Ort, den sie eher meiden. Für andere dagegen ist er Heimat, sie wollen dort nicht weg. Aber warum? Was macht Hamburgs vielleicht umstrittensten Patz so besonders? Die MOPO machte sich auf Spurensuche.
Ein Mittwochmittag, kurz nach 13 Uhr. Die Sonne scheint auf den Hansaplatz, wird vom Wasser im Hansabrunnen reflektiert. Drumherum: Trubel. Schlangen vor einem Kiosk, auf Kundschaft wartende Wirte vor Kneipen. Im Restaurant verzehren Gäste Zanderfilet, andere trinken etwas Erfrischendes. Männer schlafen an die Brunnenwände und -stufen gelehnt ihren Rausch aus. In 45 Minuten tritt hier wieder das Alkoholverbot in Kraft: Nur zwischen 6 und 14 Uhr darf hier unter der Woche Alkohol konsumiert werden. Am Wochenende gar nicht.
Hamburg: So ist das Leben auf dem Hansaplatz im Herzen St. Georgs
Vor dem „Hansa-Treff“ sind Bänke und Tische aufgestellt, daneben steht Mehmet Simsit (56), dunkelblaue Bomberjacke, kurzgeschorenes graues Haar, Dreitagebart. Seit 2010 ist er am Hansaplatz, hat hier und in Nebenstraßen Geschäfte. Demnächst will er eine Cocktailbar eröffnen. 150.000 Euro habe er in seine Idee investiert. Ob der Plan aufgeht? „Ich denke ja. So etwas gibt’s hier noch nicht. Ich hoffe auf kultivierte Leute.“

Wenn Simsit damit Menschen meint, die viel Geld besitzen, dann gibt es die hier wirklich – wenn auch nur vereinzelt. Sie wohnen in Fünf-Zimmer-Apartments, zahlen dafür teils horrende Mieten oder besitzen Wohnungen im Millionen-Wert. Arm und Reich trennt hier am Hansaplatz nicht nur der in die Jahre gekommene Hansabrunnen.
Mehr Kameras, mehr Überwachung am Hansaplatz
2019 wurden rund um den Platz 22 Kameras aufgestellt. Senat und Polizei wollten so das Drogenproblem bekämpfen. Aus deren Sicht ist der gewünschte Effekt eingetreten: Die Kriminalitätszahlen sind rückläufig. Der zuvor als Brennpunkt eingestufte Hansaplatz habe sich laut Polizei „positiv“ entwickelt, bleibe aber trotzdem weiterhin im „polizeilichen Fokus“.

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Simsit bestätigt den Eindruck der Behörden: „Ich fühle mich hier sicherer, besser. Na klar, manches Mal fliegt hier noch ’ne Flasche, aber nicht mehr wie früher.“ Der Wirt hatte im Vorfeld für die Kamera-Installation und das hier ebenfalls geltende Flaschenverbot Unterschriften gesammelt. Nicht alle fanden das gut: Der Wirt wurde in der Vergangenheit wegen seines Engagements auch angegriffen.
Wie er sich den Missmut ihm gegenüber erklärt? „Wir sind hier wie ein Dorf für sich. Hier ist jeder gegen alles und für alles. Es wird immer welche geben, die sagen: Warum habt ihr das vergoldet? Du kannst vom Boden essen und es werden einige sagen: Wir wollen das nicht so steril haben. Es ist einfach eine eigene Welt hier. Nicht zu erklären“, so Simsit.

Durch die Kameras hat sich das Drogenproblem vom Platz in die Seitenstraßen verlagert. Das sieht nicht nur Simsit, sondern auch Michael Joho so. Der Vorsitzende des Einwohnervereins St. Georg glaubt, die „schwierige Szene“ wandere nur ab, um nicht ständig Kontrollen über sich ergehen lassen zu müssen. Er sieht die Zahlen daher mit starker Skepsis. Sie seien oftmals nicht repräsentativ, überhaupt könne man rückläufige Zahlen nicht nur mit Kameras erklären, findet er. „Eine Lachnummer. Sie waren so teuer, man muss nun einen Erfolg vorstellen.“
Simsit dagegen glaubt an den Effekt der Kameras, sagt aber auch: „Die Dealer sind weg, aber nicht weit weg. Die Kameras sind nur eine Lösung für den Hansaplatz, nicht für St. Georg.“
„Der Hansaplatz ist ein Brennpunkt sozialer Ungerechtigkeit“
Die Drogenproblematik rund um den Hansaplatz ist nicht neu – genau wie die anderen Probleme. „Der Hansaplatz ist ein Brennpunkt sozialer Ungerechtigkeit“, sagt Ursula Witsch. Sie sitzt mit ihrem Mann in einem Café, beide leben ihren Angaben nach seit 40 Jahren im Stadtteil. Jahrelang, so erzählen sie, hätten sie sich in der Drogenhilfe engagiert. Jetzt seien sie Rentner.
Am Hansaplatz sollte es endlich eine vernünftige Toilette geben, dafür habe sie sich eingesetzt, erzählt Ursula Witsch. Aber: „Am Bürgertisch sind wir für den Vorschlag ausgelacht worden“. Viele Menschen gingen am Kirchenweg zwischen Autos auf „Toilette“, vor allem im Sommer rieche das fürchterlich. „Das ist eine unheimliche Belastung für Anwohner.“

Ihr Mann, Berno Schuckart-Witsch, bemängelt fehlende Angebote für die hier in seinen Augen alleingelassenen „jugendlichen und unbegleiteten Afrikaner. Denen muss man eine Perspektive geben“. Sie würden hier ständig kontrolliert, „den Säufern passiert aber gar nichts“. Viele drifteten mangels Optionen in die Kleinkriminalität ab. Vor allem der politische Wille fehle, Geld an richtiger Stelle auszugeben, findet Schuckart-Witsch. Das umfasse auch andere Themen, wie das simple Aufstellen von Bänken. So eine Maßnahme sei nicht gewollt, mutmaßt das Ehepaar. Sein Fazit: „Randständige werden weiter an den Rand gedrängt.“
„Klein-Paris“ am Hansaplatz
Am Tisch eines Restaurants auf der Nordseite, zurückgelehnt auf einem der Holzstühle, sitzt Markus Schreiber (62), mittlerweile Pensionär, noch immer SPD-Bürgerschaftsabgeordneter. Bis 2012 war er Bezirksamtsleiter in Mitte. Wenn er auf den Hansaplatz blickt, denke er dabei an „Klein-Paris“, sagt er. Es seien Restaurants dazugekommen, das Leben rund um den Brunnen sei verstärkt worden. „Veränderung braucht Zeit. Das geht nur in kleinen Schritten – dass sich hier nichts verändert habe, das stimmt einfach nicht.“

Er spricht damit die Kritik an, die er und seine Politiker-Kollegen oft zu hören bekämen. Bänke aufzustellen sei laut Schreiber „schwierig“. Es seien nicht ohne Grund Kugeln auf Poller installiert worden, Wirte hätten sich wegen der vielen Obdachlosen beschwert. Er begrüßt das Engagement sozialer Institutionen, fordert aber auch untereinander mehr Zusammenarbeit. „Gemeinsam könnten sie mehr erreichen.“
Doch es gebe ein Grundproblem, sagt Schreiber. „Wenn sie es schaffen, das Problem zu beseitigen, würden sie auch ihren Arbeitsplatz beseitigen.“ Ihm liege der Hansaplatz am Herzen. Er werde „politisch weiterhin alles tun, um weiter zur positiven Entwicklung beizutragen“.
Prostitution am Hansaplatz: „Einige machen es für zehn Euro“
Alles tun, und über die Grenzen manchmal hinaus – so ließe sich auch die Arbeit der Sexworkerinnen hier beschreiben. Eigentlich dürfen sie hier nicht arbeiten, trotzdem stehen die Huren, wie sie sich selbst bezeichnen, an den Zugängen zum Platz.
Die Corona-Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. Viele, so berichten es Frauen, mit denen die MOPO spricht, hätten zu Drogen gegriffen, seien abgestürzt. Eine im Viertel bekannte Hure: „Und trotzdem gibt es immer mehr Mädchen hier, die Konkurrenz ist groß. Zuhälter, die ihre Mädchen 48 Stunden lang anschaffen schicken.“ Auch die Sexarbeiterinnen merken: „Es hat sich einiges verändert“ – für sie aber nicht zum Positiven.

Gleichwohl gilt auch für sie: Aufgeben ist keine Option – trotz steigender Übergriffe und Gewalt, vor allem untereinander. „Die Frauen sind aggressiv geworden“, sagt die Hure. „Wenn man nicht aufpasst, wird man beklaut.“ Woher die Frauen kommen? „Von überall: Bulgarien, Afrika, Deutschland.“ Was sie verdienen? „Einige machen es für zehn Euro.“
„Es ist so viel Leben hier und abends ist es meistens ruhig“
Fünf Stockwerke nach oben, ein völlig neuer Blick auf das Treiben des Hansaplatzes. Altbauwohnung, hohe Decken und Stuckverzierungen. Rose Lang (25) öffnet die Tür. Sie kommt aus Berlin, lebt seit einigen Monaten hier am Hansaplatz in einer WG. Warum hier?

„Es ist so viel Leben hier und abends ist es meistens ruhig“, erzählt sie. In ihren Augen ist die Begeisterung über diesen Ort zu sehen. „Auch ich wurde hier schon kontrolliert, aber die Beamten machen ja auch nur ihren Job. Es ist hier eine einzigartige Atmosphäre. Ich lebe gerne hier.“
Für sie das einzige Problem: Die Taubenplage am Hansaplatz. Ein Grund für sie wegzuziehen? „Auf keinen Fall.“