„Kommandeur Giss, wie gut ist Hamburg im Kriegsfall geschützt?“
Bomben, zerstörte Infrastruktur, Tote – und das nur zwei Flugstunden von Hamburg entfernt. Mit Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine 2022 ist der Krieg nah herangerückt. Deutschland rüstet seitdem auf – und auch Hamburg steht vor der Herausforderung, sich der neuen Weltlage anzupassen. Die Hansestadt mit ihren vielen Industrie- und Kraftwerksanlagen muss ihre Anwohner und die kritische Infrastruktur schützen. Die MOPO war bei einem Training der Heimatschutzkompanie dabei und sprach mit Kapitän zur See und Kommandeur Michael Giss (59) über die aktuelle Bedrohungslage, das Kanzler-Nein zu Taurus und seinen Appell an junge Hamburger.
- Deutsch (Deutschland)
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Bomben, zerstörte Infrastruktur, Tote – und das nur zwei Flugstunden von Hamburg entfernt. Mit Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine 2022 ist der Krieg nah herangerückt. Deutschland rüstet seitdem auf – und auch Hamburg steht vor der Herausforderung, sich der neuen Weltlage anzupassen. Die Hansestadt mit ihren vielen Industrie- und Kraftwerksanlagen muss ihre Anwohner und die kritische Infrastruktur schützen. Die MOPO war bei einem Training der Heimatschutzkompanie dabei und sprach mit Kapitän zur See Michael Giss (59), Chef des Landeskommandos Hamburg, über die aktuelle Bedrohungslage, das Kanzler-Nein zu Taurus und seinen Appell an junge Hamburger.
MOPO: Herr Giss, wie gut ist Hamburg im Kriegsfall geschützt?
Michael Giss: Das ist eine sehr gute Frage und die Frage zur richtigen Zeit, denn wir haben in der sicherheitspolitischen Weltlage tatsächlich ein Bedrohungsspektrum. Hamburg selber ist so gut wie es derzeit möglich ist geschützt. Wir arbeiten von der Bundeswehr aus sehr eng mit zivilen Behörden zusammen, mit der Polizei und anderen Blaulicht-Organisationen. Wir bauen unsere Heimatschutzkräfte auf – jetzt mehr noch als früher. Ich bin guten Mutes.
Rüsten Sie sich gegen den physischen Feind an den Elbbrücken oder gegen Cyber-Angriffe?
Es ist immer eine Mischung – aus allem. Wir gehen jetzt aber nicht davon aus, dass wir feindliche Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Mann zu Mann bekämpfen müssen. Was wir tun, ist uns natürlich gegen hybride Bedrohungen aufzustellen – Cyber-Angriffe, Desinformationskampagnen, Sabotage. Ein Schwerpunkt ist auch, den Aufmarsch der NATO, der Allianz Richtung Osten, in Deutschland entsprechend abzusichern, zu managen, zu betreuen und uns in dem Zusammenhang auch auf kritische Infrastruktur zu konzentrieren – die ja sowohl militärisch als auch für das zivile Leben essentiell ist.
Über welche kritische Infrastruktur sprechen wir konkret?
Wir unterscheiden in zivile und verteidigungsrelevante kritische Infrastruktur. Da gibt es natürlich auch Schnittmengen. Wenn Sie die Hansestadt Hamburg als Stadtstaat anschauen, mit einem großen Hafen, mit Flughäfen und vielen Industrie- und Kraftwerksanlagen, dann ist im Grunde ganz Hamburg eine kritische Infrastruktur und das ist natürlich Schwerpunkt unserer Planung.
Viele Weltkriegsbunker wurden in den vergangenen Jahren in Wohnungen umgewandelt. Wie steht es um Hamburgs Zivilschutz?
Wir haben seit dem Ende des Kalten Krieges, Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, viel zurückgerüstet. Nicht nur die Bundeswehr, auch andere Organisationen haben damals vielleicht zurecht gedacht, dass man manche Dinge nicht mehr braucht. Das Stichwort „Von Freunden umzingelt“ war damals sehr bekannt. Jetzt sehen wir, dass wir bestimmte Dinge wieder oder mehr brauchen. Dafür gibt es bundesweit und auf Länderebene Planungen, was wir zivil und militärisch benötigen.
Sind wir zu spät dran?
Nein, man muss sich immer auf die Umstände einstellen, wie sie eben sind. Und natürlich haben wir, seit 2014 mit der Wegnahme der Krim durch Russland und seit zwei Jahren durch den Angriff auf die Ukraine, uns vor Augen führen lassen müssen, dass wir einen Gegner haben. Deshalb begrüße ich es jetzt auch sehr, dass die politische und gesellschaftspolitische Diskussion nun in die richtige Richtung geht, Stichwort Wehrpflicht. Das ist eine Entwicklung, die in der Bundesrepublik Deutschland läuft.
Wie passen Sie Ihre Strategien an die aktuelle Bedrohungslage an?
Wir intensivieren die Ausbildung, wir versuchen zeitlich mehr Angebote, Wochenenden und Übungstage zu finden. Das Ziel der Ausbildung ist, die Reservisten zu Heimatschutzkräften auszubilden. Damit ich dann Kräfte zur Verfügung stellen kann, wenn Hamburg sie braucht. Für mich als Kommandeur ist ein Schwerpunkt, die Öffentlichkeit zu erreichen und ein Bewusstsein zu schaffen für die Steigerung der staatlichen Resilienz. Ich glaube, das ist auch ein wichtiger Teil – nicht nur die interne Ausbildung der Soldaten, sondern auch rausgehen und sagen: „Pass auf, die Welt ist jetzt anders und wir müssen uns darauf einstellen“.
Machen Sie sich Sorgen mit Blick auf die aktuelle Weltlage?
Als Soldat und Offizier mache ich mir schon Sorgen. Die Welt ist überhaupt nicht friedlicher geworden und es ist für mich wirklich krass, dass wir in Europa einen Angriffskrieg zwischen Staaten haben. Wir haben immer über Terror und hybride Angriffe gesprochen, aber dass zwei Länder jetzt im Kriegszustand sind und das zwei Flugstunden von uns entfernt, das finde ich sehr besorgniserregend – von allen anderen Krisen und Problemfeldern in der Welt mal ganz abgesehen.
Halten Sie die Entscheidung von Herrn Scholz für richtig, keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern?
Als Offizier der Bundeswehr bin ich natürlich meinem Dienstherren gegenüber zur Loyalität verpflichtet. Es wird gute politische Gründe geben, nicht zu liefern. Das kann der Herr Bundeskanzler natürlich selbst so bewerten, da steht mir kein Urteil zu. Mit Blick auf die tatsächliche Lage in der Ukraine würde ich mir schon wünschen, dass wir in der Lage wären, noch mehr zu tun. Und wenn ein Taurus-Flugkörper da Sinn machen würde, dann meine ich als Staatsbürger schon, dass wir das tun sollten.
Haben Sie in diesen angespannten Zeiten eine Botschaft an die jungen Hamburger?
Ich würde ihnen empfehlen, sich überhaupt erstmal kundig zu machen über die Sicherheitslage und die Veränderungen in der Welt. Dann werden sie schnell draufkommen, dass das sehr viel mit der Bundesrepublik Deutschland zu tun hat. Sie sollten sich bewusst sein, dass das schöne Leben in einem Rechtsstaat, im Liberalismus, mit Meinungsfreiheit und Menschenrechten ein hohes Gut ist, was es zu schützen gilt. Deshalb sollte man sich fragen: Wo kann ich mich einbringen im Schutz dieses hohen Gutes und dieses schönen Lebens hier? Da kann man viele Dinge tun – eine Möglichkeit wäre, sich bei den Streitkräften als Soldat oder als Reservist zu melden.