„Nationale Notlage!“ Der dramatische Flüchtlings-Appell des Senats
Hamburg ist am absoluten Limit: Jeden Monat kommen mehr als tausend Geflüchtete in die Hansestadt. Die Unterkünfte sind fast vollständig belegt, die Stimmung ist aufgeheizt. Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer und Innensenator Andy Grote (beide SPD) schilderten am Donnerstag, wie dramatisch die Zahlen sind, aber auch, worauf sie jetzt Hoffnung setzen.
Hamburg ist am Limit: Jeden Monat kommen mehr als tausend Geflüchtete in die Hansestadt. Die Unterkünfte sind fast vollständig belegt, die Stimmung ist an vielen Orten aufgeheizt. Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer und Innensenator Andy Grote (beide SPD) schilderten am Donnerstag, wie dramatisch die Zahlen sind, aber auch, worauf sie jetzt Hoffnung setzen.
Wie ist die Lage aktuell in Hamburg?
In den 244 Standorten der öffentlichen Unterbringung in Hamburg leben derzeit insgesamt rund 46.000 Menschen – das sind etwas mehr als die Gesamtbevölkerung der Stadt Pinneberg. Allein im August kamen rund 1400 und im September rund 1700 Asylsuchende und Ukrainer mit Unterbringungsbedarf nach Hamburg. Im September kamen pro Tag rund 45 Menschen mit Unterbringungsbedarf. „Das bedeutet, dass wir alle zehn Tage eine Unterkunft mit einer durchschnittlichen Größe von 450 eröffnen müssten,“ sagte Schlotzhauer.
Welche Kapazitäten hat die Stadt noch?
„Eine Entspannung ist nicht absehbar und unsere Kapazitäten sind zu 97 Prozent ausgelastet“, so die Sozialsenatorin. Die Stadt sei am Limit dessen, was gute Integration möglich mache. „Wir sind im Ankunftszentrum jeden Tag im Krisenmodus“, ergänzte Grote. Es gebe von 2000 Plätzen noch 200 bis 300, die seien aber auch in drei Tagen aufgebraucht. Mit etwa 2000 zusätzlichen Personen mit Unterbringungsbedarf rechnet der Senat noch bis Jahresende. „Darauf sind wir auch eingestellt“, so Grote. Aber es könne nicht immer so weitergehen.

Mitt Oktober wird der Notstandort in den Messehallen wieder eröffnet und Hamburg prüft stetig, ob weitere Flächen, Hotels und Pensionen genutzt werden können. Wieder Sporthallen als Notunterkünfte nutzen zu müssen, versucht die Stadt aber zu vermeiden. Dem Vorwurf, dass im schicken Blankenese weniger Unterkünfte stünden als in anderen Stadtteilen, begegnet Schlotzhauer so: „Wir nehmen, was wir kriegen können.“ Es sei aber richtig, dass in Blankenese weniger Unterkünfte sind als an anderen Stellen, aber dort seien eben auch keine geeigneten Flächen.
Wie sieht es mit der Integration und Versorgung aus?
„Wir hören deutlich in den Gesprächen mit der Bevölkerung, aber auch mit den Mitarbeitern aus den Bezirken, dass wir zunehmend an Grenzen kommen“, so Schlotzhauer. Es gehe um Personal, Räume, die ärztliche Versorgung und auch die Versorgung in Kitas und Schulen. „Wir haben in den vergangenen Jahren ungefähr 2000 neue Schülerinnen und Schüler ins System gebracht, jetzt haben wir 8000“, sagte Grote als Beispiel. Momentan funktioniere das System noch, aber wenn die Zahlen sich so weiterentwickeln, könnten Hamburgs Schulen das nicht mehr ohne Qualitätsverlust stemmen. Auch die Kitas sind stark belastet: „Was wir sehen, ist ein beginnender Fachkräftemangel“, so Schlotzhauer.
Was soll jetzt passieren?
„Die Aufnahmezahlen sind zu hoch, sie müssen runter“, sagte Schlotzhauer. Ihrer Auffassung nach sei Deutschland in einer „nationalen Notlage“, wenn eine so erfolgreiche Metropole wie Hamburg feststellen muss, dass mit jeder weiteren Unterkunft Kapazitäten nur nach hinten verschoben werden. „Wir sind dabei, die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre aufs Spiel zu setzen, wir brauchen jetzt sinkende Zahlen“, betonte auch Grote.
Man müsse jetzt umsteuern auf Bundes- und Europaebene. „Wir unterstützen sehr den Kurs der Bundesregierung“, so Grote. Was jetzt Polen, Tschechien und Österreich an verstärkten Grenzkontrollen zur Slowakei einführten, habe das Potenzial, die Zahlen „sehr wirksam zu reduzieren“. In den nächsten ein bis zwei Monaten könne sich das bemerkbar machen. Grote weiter: „Wir sind sehr hoffnungsvoll, dass die Zahlen runtergehen, denn wir sind in eine Überforderungssituation gelangt, die auch politische Akzeptanz kostet.“
Wie ist die Stimmung in der Stadt?
Grote sprach von „einer anderen Qualität, als wir das in der Vergangenheit kannten“, es gebe auch „aggressive Gegenreaktionen bei Flüchtlingsstandorten“. Ein Beispiel sind die Angriffe auf die Baustelle für eine neue Flüchtlingsunterkunft Am Luisenhof in Farmsen-Berne. Hier wurden Bagger beschädigt, Arbeiter bepöbelt und abgetrennte Köpfe schwarzer Puppen abgelegt. Man habe es in diesen Fragen auch mit einer „rechtsextremen Struktur“ zu tun, die sehr aktiv sei, so Grote.
Das Beispiel sei nur eines unter vielen, ergänzte Schlotzhauer. Eines, das sehr extrem sei. „Wir erleben viele Fragezeichen und Menschen, die gehört werden wollen. Deshalb ist es uns auch ein Anliegen, deutlich zu machen, dass wir zuhören und es in unser politisches Handeln einbeziehen.“
Auch Menschen, die selbst einen Migrationshintergrund haben, meldeten vermehrt zurück, dass es so nicht weitergehe, sagte Grote. „Das sind alles Dinge, wo man aufmerksam sein sollte und die man ernstnehmen sollte und wo jetzt der Punkt für ein Nachsteuern erforderlich ist.“
Wer soll das bezahlen?
Unklar. „Der Bund hat letzte Woche die Verhandlungen mit den Ländern über die Finanzierung der Flüchtlingskosten abgebrochen,“ sagte Schlotzhauer. Wahrscheinlich wird man sich auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz dazu einigen. Allein 380 Millionen Euro mehr als ursprünglich geplant, hat Hamburg kürzlich für die Unterbringung von Geflüchteten in diesem Jahr einkalkulieren müssen.
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„Im Moment gibt es noch keine Lösung für nächstes Jahr“, sagte Grote. „Das, was die Länder fordern, ist nicht dieses basarmäßige Aushandeln auf der Ministerpräsidentenkonferenz, sondern ein festes System.“ Ob man das erreichen könne, müsse man sehen. Aus dem Bundesfinanzministerium wehe ihnen jedoch ein ungewöhnlich „eisiger Wind“ entgegen. Es werde aktiv an Stellen gekürzt, die man eigentlich brauche, um die Leistungsfähigkeit zu erhalten.