G20-Prozess: Sind Sie ein gefährlicher Krimineller, Herr Jansen?
Seit Donnerstag steht Nils Jansen in Hamburg vor Gericht. Der 28-jährige Wirtschaftsstudent aus Berlin ist zusammen mit vier weiteren Personen angeklagt, 2017 an einer verbotenen Demonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg teilgenommen zu haben. Der Wirtschaftsstudent fühlt sich zu Unrecht beschuldigt.
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Seit Donnerstag steht Nils Jansen in Hamburg vor Gericht. Der 28-jährige Wirtschaftsstudent aus Berlin ist zusammen mit vier weiteren Personen angeklagt, 2017 an einer verbotenen Demonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg teilgenommen zu haben. Der Wirtschaftsstudent fühlt sich zu Unrecht beschuldigt.
MOPO: Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft ihnen gemeinschaftlichen schweren Landfriedensbruch vor. Sind Sie ein gefährlicher Krimineller?
Nils Jansen: Ich bin politischer Aktivist, Gewerkschafter und engagierter Linker. Vor sechs Jahren habe ich genau wie weit über 100.000 andere Menschen gegen den G20-Gipfel in Hamburg demonstriert. Die G20 sind die größten Umweltverschmutzer, die größten Kriegstreiber auf dem Planeten. Sie stehen für ein System, das dafür da ist, für ein paar Wenige privates Kapital anzuhäufen, statt allen Menschen ein gutes Leben zu sichern. Bei so einem Gipfeltreffen ist es wichtig klarzumachen: Das geht nicht ohne unseren Widerspruch.
Vor Gericht geht es aber nicht um die zugelassene Demo am Samstag mit 70.000 Teilnehmern, sondern um einen Vorfall am Rondenbarg, der von der Polizei und den Demonstranten sehr unterschiedlich dargestellt wird.
Am Morgen des 7. Juli wurde breit aufgerufen, die Zufahrtswege zum G20-Gipfel zu blockieren. Tausende haben sich daran beteiligt, viele waren erfolgreich. Der Demonstrationszug am Rondenbarg wurde aber nach nur 20 Minuten von Sondereinheiten der Polizei eingekesselt, angegriffen und innerhalb von Sekunden vollständig zerschlagen. Wer nicht rechtzeitig wegkam, bekam den Schlagstock zu spüren.
Videoaufnahmen zeigen allerdings, dass aus dem Demonstrationszug Steine in Richtung der Polizisten geschleudert wurden. Sie zeigen aber auch das rabiate Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten, wobei 14 Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Es ist schwer nachzuvollziehen, was genau dort passiert ist.
Aus der Berichterstattung ergibt sich das Bild eines regelrechten Überfalls der Polizei auf die Demonstranten. Es waren acht Rettungswagen nötig, um die verletzten Demonstrierenden ins Krankenhaus zu bringen. Keiner der beteiligten Polizisten wurde verletzt, keiner angeklagt. Stattdessen stehen wir jetzt vor Gericht.
Haben Sie nun Steine geworfen oder nicht?
Das wird mir ja gar nicht vorgeworfen! Die Staatsanwaltschaft hat mich und die anderen Betroffenen für die bloße Teilnahme an dieser Demo angeklagt.
Es hat sechs Jahre gedauert, bis das Verfahren eröffnet wurde. Die Richterin hat sich dafür entschuldigt. Was hat diese lange Zeit bis zum Prozess mit Ihnen gemacht?
Das hat sehr viel mit einem gemacht. Ich bin ja am Rondenbarg festgenommen worden, danach war ich tagelang eingesperrt. Erst in der Gefangenensammelstelle, dann in der JVA Billwerder. Fünf Monate später wurde meine Wohnung durchsucht. Die Polizei hat meine Sachen durchwühlt und alles verwüstet. Das war ein massiver Eingriff in meine Privatsphäre. Und dann diese Anklage.
Die Anklage wurde vor sechs Jahren erhoben. Dann geschah erstmal nichts mehr.
Genau, das war zermürbend. Du weißt ja nicht, ob du aus so einem Prozess als Vorbestrafter rausgehst. Das hätte Auswirkungen auf dein ganzes Leben. Was mich gestärkt hat, war die große Solidarität während dieser Zeit und vor allem in den letzten Tagen. Viele Organisationen, aber auch Privatleute haben uns ihre Unterstützung zugesagt. Manche haben uns sogar Unterkünfte hier in Hamburg angeboten.
Ihre Anwälte kritisieren, dass bei einer Verurteilung ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte. Worin liegt die Gefahr?
Keinem der Angeklagten wird eine individuelle Tat vorgeworfen. Die bloße Anwesenheit auf der Demo soll hier bestraft werden. Dann müsste man in Zukunft damit rechnen, für eventuelle strafbare Handlungen aus der Menge heraus kollektiv angeklagt zu werden. Selbst wenn man sich überhaupt nicht beteiligt hat. Niemand könnte sich sicher fühlen. Da werden sich viele vielleicht gar nicht mehr trauen, auf die Straße zu gehen, die Versammlungsfreiheit würde massiv eingeschränkt. Vor allem angesichts des Erstarkens der AfD wäre das eine gefährliche Entwicklung.
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Die Staatsanwaltschaft hat am Freitag ihre Bereitschaft signalisiert, das Verfahren einzustellen. Im Gegenzug fordert sie von den fünf Angeklagten eine Geldzahlung und eine allgemeine Distanzierung von Gewalt, aber kein Schuldeingeständnis. Kommt das für Sie in Frage?
Wir wollen da nichts überstürzen, und werden gemeinsam entscheiden. Auf jeden Fall zeigt es, dass die Staatsanwaltschaft in die Defensive geraten ist. Wir finden die Forderungen aber schon ein starkes Stück: 14 Demonstrierende werden von der Polizei ins Krankenhaus geprügelt, kein Beamter wird verletzt. Wir sind sechs Jahre lang dem Druck dieses Verfahrens ausgesetzt. Und jetzt sollen wir Geld zahlen und uns von Gewalt distanzieren? Das ist doch nicht fair. Es mag sein, dass das formal kein Schuldeingeständnis wäre. In der Öffentlichkeit würde das aber so wahrgenommen. Das finden wir schwierig. Wieso sollen wir uns von etwas distanzieren, das uns überhaupt nicht vorgeworfen wird?