G20-Prozess in Hamburg: Mitmarschiert und Jahre später vor Gericht – ist das gerecht?
Ein Raunen geht durch die Reihen, als ein kleiner, fröhlicher Mann am Donnerstag den Zuschauerraum des Hamburger Landgerichts betritt. „Fabio ist da!“ Der junge Italiener also, der wegen der Teilnahme an einer Demo gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg im Gefängnis saß und einen Prozess über sich ergehen lassen musste. Das Verfahren war im Sommer 2023 eingestellt worden. Und nun ist Fabio, der für viele ein Held ist, extra angereist – um die fünf Angeklagten zu unterstützen, denen wie einst ihm nun eine Verurteilung droht.
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Ein Raunen geht durch die Reihen, als ein kleiner, fröhlicher Mann am Donnerstag den Zuschauerraum des Hamburger Landgerichts betritt. „Fabio ist da!“ Der junge Italiener also, der wegen der Teilnahme an einer Demo gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg im Gefängnis saß und einen Prozess über sich ergehen lassen musste. Das Verfahren war im Sommer 2023 eingestellt worden. Und nun ist Fabio, der für viele ein Held ist, extra angereist – um die fünf Angeklagten zu unterstützen, denen wie einst ihm nun eine Verurteilung droht.
Es sind ganz normale Menschen, die dort auf der Anklagebank sitzen. Eine Erzieherin, eine Fremdsprachenkorrespondentin, eine Fertigungsmechanikerin, ein angehender Fitnesstrainer, ein Wirtschaftsstudent. Sie kommen aus Berlin, Dortmund, Stuttgart und dem Schwarzwald. Sie sind jung, sie tragen Make-up, Pferdeschwanz, Bluse oder Rollkragenpullover. Und keiner von ihnen sieht so aus, wie das Bild, das die Staatsanwaltschaft von ihnen zeichnet – das von gefährlichen Gewalttätern.
G20-Proteste in Hamburg: Am Rondenbarg in Bahrenfeld kam es zur Eskalation
Den drei Frauen und zwei Männern wird gemeinschaftlicher schwerer Landfriedensbruch, die Teilnahme an einem „gewaltbereiten Aufmarsch“ einer bewaffneten Gruppe und Sachbeschädigung vorgeworfen. Sie sollen sich laut Anklage am 7. Juli 2017 an einem Aufmarsch von rund 200 Gipfelgegnern beteiligt haben, der am Rondenbarg (Bahrenfeld) auf eine Polizei-Einheit traf. Dort kam es zu einer Eskalation.
Nur – von wem ging die Eskalation aus? Das ist seit Jahren ein umstrittenes Thema. Nach Darstellung der Polizei wurden die Beamten mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen. Videos zeigen vereinzelte Steinwürfe. Keiner der Polizisten wurde verletzt. Die Demonstranten wiederum sprechen von „massiver Polizeigewalt“. Weitere Videos zeigen, wie Demonstranten versuchten, sich auf ein Geländer zu retten. Wie das Geländer von Polizisten zum Einsturz gebracht wurde. Wie die Aktivisten in die Tiefe fielen. 14 von ihnen mussten ins Krankenhaus, elf erlitten schwere Verletzungen.
Es ist ein hochpolitischer Prozess, wie auch die Vorsitzende Richterin gleich zu Beginn klarstellt. „Es gibt hier sehr unterschiedliche Sichtweisen. Das wird wird sicherlich nicht ganz einfach“, so Sonja Boddin im Hinblick auf die angesetzten 26 Verhandlungstage. „Es geht um grundsätzliche Fragen: Was darf Protest? War das eine Demo oder nicht?“
Verteidigung spricht von einer „Kriminalisierung der Demonstranten“ und fordert Einstellung des Verfahrens
Tatsächlich wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten nämlich keine konkreten Gewalttaten vor, sondern vielmehr, sich allein durch den Anschluss an einen gewaltbereiten, sogenannten „Schwarzen Block“ schuldig gemacht zu haben.
In einem langen Vortrag kritisiert die Verteidigerin einer der Angeklagten diese Position der Staatsanwaltschaft als „rechtlich unzulässig“ und als aus der Zeit gefallen. Aus Sicht der Anwältin geht es in dem Prozess einzig und allein um eine „Kriminalisierung der Demonstranten“. „Hier soll mit strafrechtlichen Mitteln ein Feindbild konstruiert werden, um ein Exempel zu statuieren“, so die Verteidigerin. Denn, so ihre Begründung: „Es ist ein gezielter Versuch der Staatsanwaltschaft, das Demonstrationsrecht auszuhebeln.“
Ausdrücklich verweisen die Anwälte auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, das in Hamburg 2017 durch die vom Senat verhängte 38 Quadratkilometer große Demonstrationsverbotszone gebrochen worden sei. Außerdem wird aus einem Verfassungsgerichtsurteil zitiert, wonach der Tatbestand der „Unfriedlichkeit“ erst vorliegt, wenn es zu Gewalt gegen Personen kommt.
Prozess nach sechs Jahren Verzögerung: Angeklagte müssen nicht mit einer Bestrafung rechnen
„Den Angeklagten wird keine einzige gewalttätige Handlung vorgeworfen“, betont eine der Anwältinnen. Auch einen gemeinsamen Tatplan habe man den Angeklagten nicht nachweisen können. Deshalb wurde die sofortige Einstellung des Verfahrens gefordert.
Richterin Boddin lehnt das erstmal ab. Sie möchte einen Gutachter einladen, der zu Protestformen referiert. Außerdem sollen zahlreiche Zeugen, darunter auch Polizisten, aussagen. „Es geht um eine faire und ergebnisoffene Aufklärung“, erklärt die Richterin.
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Allerdings räumt sie ein, dass die sechsjährige Verspätung und die damit einhergehende große Belastung für die Angeklagten sicher einen Einfluss auf das Urteil haben werden. In Richtung der Angeklagten erklärte die Vorsitzende, keiner von ihnen müsse ernsthaft mit einer Bestrafung rechnen. Die Richterin selbst zweifelt daran, ob sich der Aufwand angesichts des zu erwartenden Ergebnisses lohnt. Das Urteil wird für den 16. August erwartet.