Das Wunder von Billstedt: Wie diese Frau einen spektakulären Palast erschuf
Wie landet eine behütete Lehrertochter in einem der ärmsten Stadtteile Hamburgs? Als Dörte Inselmann mit 15 Jahren nach Billstedt kam, war sie geschockt – und baute später aus dem Nichts ein Stadtteilzentrum auf, das heute sogar über Hamburg hinaus bekannt ist. Für ihr Lebenswerk wird die 62-Jährige jetzt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Für die MOPO erinnert sie sich an die Anfänge und erzählt, wie das einst kleine Zentrum zu seinem pompösen Namen kam.
Dörte Inselmann sitzt am Konferenztisch und sucht einen Teebeutel aus. „Ich nehme Inner Light“, sagt sie und lacht. „Das kann man immer gebrauchen.“ Es ist Dienstagmittag, aus den Proberäumen im Erdgeschoss dringen leise Töne in ihr Büro im oberen Stock des alten Wasserwerks im Öjendorfer Weg. In ihrer Freizeit mag sie eigentlich lieber Stille. Doch in ihrem Berufsleben dreht sich fast alles um Musik.
Wie landet eine behütete Lehrertochter in einem der ärmsten Stadtteile Hamburgs? Als Dörte Inselmann mit 15 Jahren nach Billstedt kam, war sie geschockt – und baute später aus dem Nichts ein Stadtteilzentrum auf, das heute sogar über Hamburg hinaus bekannt ist. Für ihr Lebenswerk wird die 62-Jährige jetzt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Für die MOPO erinnert sie sich an die Anfänge und erzählt, wie das einst kleine Zentrum zu seinem pompösen Namen kam.
Dörte Inselmann sitzt am Konferenztisch und sucht einen Teebeutel aus. „Ich nehme Inner Light“, sagt sie und lacht. „Das kann man immer gebrauchen.“ Es ist Dienstagmittag, aus den Proberäumen im Erdgeschoss dringen leise Töne in ihr Büro im oberen Stock des alten Wasserwerks im Öjendorfer Weg. In ihrer Freizeit mag sie eigentlich lieber Stille. Doch in ihrem Berufsleben dreht sich fast alles um Musik.
Kulturpalast in Billstedt: Musik verbindet Menschen unterschiedlichster Kulturen
Die 62-Jährige ist Intendantin der Stiftung Kulturpalast in Billstedt, die das Kulturzentrum in dem teils denkmalgeschützten Gebäude betreibt. Russische Opernsänger, türkische Chöre und vietnamesische Drachentänzer proben hier. Im Club „Bambi Galore“ treffen sich Heavy-Metaller, in der HipHop Academy lernen Jugendliche Breakdance und Rap. „Jeder hat hier einen Anker und kann seine kulturellen Sachen machen“, sagt Inselmann. „Aber bei manchen Veranstaltungen müssen alle mitmachen.“ So entstehe ein Miteinander.

Kinder und Jugendliche stehen im Mittelpunkt – und Musik. Sie überwindet Sprachbarrieren und verbindet Kulturen und Gesellschaftsschichten. „Wir sind eine internationale Stadtgemeinschaft“, sagt Inselmann. „Allein in Billstedt sind Menschen aus 130 Nationen zuhause. HipHop kann sie vereinen.“ HipHop propagiere zudem Gewaltfreiheit und Respekt. Und Jugendliche lernen, dass Leistung Spaß bringen kann.
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Heute ist der Kulturpalast fest in Hamburg etabliert, wird von der Stadt gefördert und hat zahlreiche Unterstützer. Als Inselmann in den 1970ern nach Billstedt kam, gab es hier nichts dergleichen.
Aus dem Nichts: So baute Inselmann das Kulturzentrum auf
„Ich war geschockt“, erinnert sie sich. Schließlich war Inselmann behütet in den Vier- und Marschlanden aufgewachsen, beide Eltern waren Lehrer. Billstedt war dagegen einer der ärmsten Stadtteile Hamburgs. Nach dem Wechsel auf eine Schule in Horn blieb sie häufig bei ihrem Bruder, der hier lebte. 15 Jahre alt war sie damals. „Trotz der sozialen Armut gab es überhaupt keine Angebote für Anwohner. Da bin ich wirklich vom Glauben abgefallen.“ Doch Inselmann hatte von ihren christlichen Eltern gelernt, sich ehrenamtlich zu engagieren – und fing an, Zeltlager für Kinder zu veranstalten. Einmal gab eine Mutter mit Alkoholfahne sieben Kinder ab, aber nur eine Plastiktüte mit Kleidung. „Das war ein Schlüsselmoment“, sagt Inselmann. „Ich habe gesehen, dass meine Hilfe hier einen Unterschied machen kann.“

Deshalb blieb sie. Zog nach der Schule ganz nach Billstedt und gründete 1980 als Studentin einen Verein mit, der kulturelle Angebote mit und für die Anwohner anbieten wollte. Die Idee „Kultur für alle” war in den 70er und 80er Jahren eine neue Bewegung: Bundesweit entstanden Kulturzentren, in Hamburg auch das Goldbekhaus und die Fabrik.
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Billstedt aber wurde jahrelang kein Raum für Kultur gewährt. Der Verein traf sich in Inselmanns Studentenbude, organisierte von dort Arbeitslosenfrühstücke, Sozialhilfekurse oder Chöre. Später mieteten sie Räume an. „Wir hatten 70 Quadratmeter ohne Strom und Heizung“, erinnert sich Inselmann. „Bei einem Stadtgebiet mit 100.000 Einwohnern. Das fanden wir die Krönung.“ So entstand der ironische Name: „Kulturpalast“.
Kulturpalast jetzt auch in Harburg
13 Jahre lang kämpfte Inselmann bei der Stadt für größere Räume, zwischenzeitlich war sie ganz kurz davor aufzugeben. Mitte der 90er Jahre zogen sie endlich in einen Teil des alten Wasserwerks. 600 Quadratmeter. „Das war schon richtig, richtig toll“, erinnert sich Inselmann und lächelt. Ein richtiges Kulturzentrum. Gleichzeitig war der Druck enorm. „Viele haben gesagt, dass das in Billstedt nicht funktionieren würde und an den Bedürfnissen der Anwohner vorbeigehe“, sagt sie. Doch das Zentrum wird angenommen, die kleine Gastro namens „Größenwahn“ schrieb schon nach drei Monaten schwarze Zahlen.

Heute umfassen die Räume im ausgebauten Wasserwerk 3500 Quadratmeter, rund 400 Veranstaltungen gibt es hier im Jahr. Weitere 2500 Quadratmeter sind gerade mit der Übernahme des Rieckhof in Harburg dazugekommen. Von der ehrenamtlichen Helferin eines Vereins ist Inselmann zur Intendantin einer Stiftung mit mehr als 70 Mitarbeitern und 300 Ehrenamtlichen und Honorarkräften geworden. Das Bambi Galore im Keller ist ein bekannter Heavy-Metal-Club in Norddeutschland. Die HipHop-Academy zieht renommierte Trainer an, Absolventen kommen bei bekannten Musikacts unter. Und die frühkindliche Musikbildung „Klangstrolche“ hat sich in mehr als 30 Hamburger Kitas etabliert. 2021 kamen trotz Pandemie 148.000 Menschen zu den Angeboten.
Billstedt: Jetzt will sie ein HipHop-Theater
Dafür braucht es auch unternehmerisches Denken. Schon als Kind galt Inselmann als Verkaufstalent, wenn sie mit ihrem Großvater, der Blumenhändler war, beim Großmarkt war. Im Kulturpalast setzt sie vor allem auf zwei Dinge: Eine sehr direkte Ansprache der Zielgruppen und eine so gute Qualität der Acts und Trainer, dass sie Publikum und vor allem Jugendliche anziehen. Und gute Vernetzung braucht es, sagt Inselmann. Um zu wissen, was Trend ist.

Seit mehr als 40 Jahren engagiert sie sich in Billstedt. Am Montag bekommt die 62-Jährige nun für ihr Lebenswerk das Bundesverdienstkreuz. Trotzdem fragt sie sich, was sie noch hätte erreichen können – wären die Rahmenbedingungen anders gewesen. „Es ärgert mich, dass HipHop in der Kulturszene immer noch stiefmütterlich gefördert wird“, sagt sie, „dabei macht es nach Pop mit 19,4 Prozent den zweitgrößten Marktanteil aus.“ Jetzt kämpft sie für ein festes HipHop-Theater in Hamburg.
Ob sie je an den Ruhestand denkt? „Ja“, sagt sie. „Dann kann ich endlich mal Projekte ganz in Ruhe durchsetzen.“