Freie und Hustenstadt Hamburg: Wieso die Zahl der Krankmeldungen auf Rekordhoch liegt
Freie und Hustenstadt Hamburg: Die Zahl der Krankschreibungen wegen Erkältungen liegt aktuell mehr als doppelt so hoch wie im Vor-Corona-Winter 2019. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist die Lage bundesweit sogar schlimmer als bei extremen Grippewellen. An einem aus der Übung geratenen Immunsystem durch die Corona-Schutzmaßnahmen liegt das aber nicht, meint ein Experte – und zählt einige andere Gründe dafür auf.
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Freie und Hustenstadt Hamburg: Die Zahl der Krankschreibungen wegen Erkältungen liegt aktuell mehr als doppelt so hoch wie im Vor-Corona-Winter 2019. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist die Lage bundesweit sogar schlimmer als bei extremen Grippewellen. An einem aus der Übung geratenen Immunsystem durch die Corona-Schutzmaßnahmen liegt das aber nicht, meint ein Experte – und zählt einige andere Gründe dafür auf.
Wo immer man derzeit anruft, oft kommt die gestresste Aussage: „Das tut mir leid, hier sind fast alle krank, können Sie es nächste Woche noch mal versuchen…?“ Kein Wunder: Die Zahlen der Krankenkassen sind eindeutig. „Unsere Auswertung zeigt, dass sich die Arbeitsunfähigkeitsfälle wegen Atemwegserkrankungen in Hamburg in diesem Jahr gegenüber dem Jahr 2019 mehr als verdoppelt haben“, so eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg auf MOPO-Nachfrage.
Demnach wurden von September bis November bislang 26.136 Hamburger AOK-Versicherte wegen eines Atemwegsinfektes krankgeschrieben.
Krankmeldungen in Hamburg auf Rekordhoch
Zum Vergleich: In dem selben Zeitraum 2019 wurde der AOK insgesamt 10.430 Krankmeldungen wegen Erkältungssymptomen gemeldet. In den Pandemiejahren hielt sich im gleichen Zeitraum diese Zahl stabil beziehungsweise ging leicht zurück (7019 Fälle im Jahr 2020 und 9553 Fälle im Jahr 2021).
Die Zahlen der Techniker Krankenkasse (TK) weisen in dieselbe Richtung, obwohl sie etwas älter sind und aus dem Oktober stammen. „Der Krankenstand in Hamburg lag in der ersten Oktoberhälfte 2022 bei rund 5,26 Prozent. Davon entfielen rund 1,79 Prozent auf die Diagnose Erkältungskrankheiten. Zum Vergleich: 2019 lag der Krankenstand in Hamburg im gleichen Zeitraum bei rund 3,97 Prozent, wovon 0,61 Prozent auf Erkältungen zurückzuführen waren“, erklärt eine TK-Sprecherin.
Auffällig: Viele Hamburger waren in diesem Jahr länger krankgeschrieben als vor Corona: „TK-Versicherte Erwerbspersonen in Hamburg waren von Januar bis Mitte Oktober 2022 im Schnitt 13,98 Tage krankgeschrieben. 2019 waren sie im gleichen Zeitraum erst 11,82 Tage krank“, so die Sprecherin der TK.
Wie Hamburg schnieft und hustet auch der Rest des Landes: Experten des RKI schätzen die Verbreitung von akuten Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung als außergewöhnlich hoch ein. „Die Werte liegen aktuell sogar über dem Niveau der Vorjahre zum Höhepunkt schwerer Grippewellen“, heißt es im aktuellen Wochenbericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza des RKI.
Die Gründe für den Massen-Schnupfen
Woran liegt das? Dass unser Immunsystem durch die Corona-Schutzmaßnahmen aus der Übung geraten ist, trifft nicht zu, erklärt Dr. Michael Groening, ärztlicher Leiter im Medizinischen Versorgungszentrum Groß-Sand in Wilhelmsburg: „Das immunologische Gedächtnis eines Erwachsenen resultiert aus den Infektionen der vergangenen Jahrzehnte und bleibt erhalten.“ Aber was ist es dann?
Einer der Gründe: Kinder haben während der Pandemie tatsächlich weniger Immunschutz aufbauen können, weshalb derzeit viele von ihnen derzeit einen Atemwegsinfekt nach dem anderen „nachholen“ – und dabei auch die Erwachsenen in ihrer Umgebung anstecken.
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Dr. Groening vermutet weitere Gründe für die vielen Krankschreibungen: „Während sich vor der Pandemie noch viele Arbeitnehmer mit einem leichten Schnupfen zur Arbeit geschleppt haben, macht das jetzt keiner mehr. Schon damit einen die Kollegen nicht schief angucken oder gar in Panik verfallen. Auch bestehen viele Arbeitgeber darauf, dass die Mitarbeiter auch bei leichten Symptomen zuhause zu bleiben. Das berichten wenigstens die Patienten.“
Darüber hinaus nutzen sehr viele Erkrankte die neue Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung, statt wie früher die erlaubten zwei Tage ohne Krankmeldung zuhause zu bleiben und dann am dritten Tag mit schon milderen Symptomen zur Arbeit zu gehen – um sich die Stunden im Wartezimmer zu ersparen.
Und: „Ich bin mir sicher, dass viele der ,Erkältungen‘ eigentlich falsch gemeldete oder nicht entdeckte Coronafälle sind, die zur hohen Fallzahl beitragen“, so Dr. Michael Groening. Der Grund: Wenn ein Patient sich zuhause positiv auf Corona getestet hat, muss der Arzt einen Zusatzcode auf die Krankschreibung setzen („Covid in Eigenanamnese“). Manche Ärzte sind dabei aber sehr zögerlich, weil ein Selbsttest ja kein offizielles Ergebnis ist – und dann wird manche Corona-Infektion nur als „Erkältungsschnupfen“ gezählt.