Warum Hamburgs Männer besonders depressiv sind
Erschöpft und antriebslos ist jeder Mensch gelegentlich. Aber gepaart mit Schlaflosigkeit, Angst und der Unfähigkeit sich zu freuen oder Entscheidungen zu treffen, entwickelt sich das oft zur Depression. Die Zahl der Patienten nimmt in Hamburg seit Jahren zu. Aktuell sind Männer besonders betroffen, jeder zehnte Hanseat war laut Krankenkasse KKH bereits einmal mit der Diagnose in Behandlung, Tendenz steigend. „Männer Coach“ René Stein erklärt, warum viele Männer glauben, sie müssten sich nur mehr anstrengen, was die Gründe für die eklatante Zunahme der Fälle ist, welche Altersgruppe besonders betroffen ist – und was helfen kann.
„Aktuell leiden deutlich mehr Männer an depressiven Schüben“, schildert René Stein. „Ich hatte selten zuvor so viele Anfragen.“ Er nennt sich selbst „Männer Coach“ und hat sich in seiner Praxis in Eimsbüttel auf die Behandlung des vermeintlich starken Geschlechts spezialisiert.
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Erschöpft und antriebslos ist jeder Mensch gelegentlich. Aber gepaart mit Schlaflosigkeit, Angst und der Unfähigkeit sich zu freuen oder Entscheidungen zu treffen, entwickelt sich das oft zur Depression. Die Zahl der Patienten nimmt in Hamburg seit Jahren zu. Aktuell sind Männer besonders betroffen, jeder zehnte Hanseat war laut Krankenkasse KKH bereits einmal mit der Diagnose in Behandlung, Tendenz steigend. „Männer-Coach“ René Stein erklärt, warum viele Männer glauben, sie müssten sich nur mehr anstrengen, was die Gründe für die eklatante Zunahme der Fälle ist, welche Altersgruppe besonders betroffen ist – und was helfen kann.
„Aktuell leiden deutlich mehr Männer an depressiven Schüben“, schildert René Stein. „Ich hatte selten zuvor so viele Anfragen.“ Er nennt sich selbst „Männer-Coach“ und hat sich in seiner Praxis in Eimsbüttel auf die Behandlung des vermeintlich starken Geschlechts spezialisiert.
Leistungsdruck nimmt immer mehr zu
„Viele Männer sind erschöpft und das ist ja auch nicht verwunderlich“, sagt Stein. „Die Anforderung zu funktionieren und der Leistungsdruck nehmen zu, und dann ist da die ganze Informationsflut, die verarbeitet werden will.“ Das führe in die Überforderung. Erhöht werde der Leidensdruck durch aktuelle Ereignisse wie Corona und den Ukraine-Krieg.
„Leidet jemand bereits an einer Depression, können Krisen wie die Virus-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine wie ein Brennglas wirken und die Erkrankung negativ beeinflussen“, schildert auch Aileen Könitz, Ärztin und Expertin für psychiatrische Fragen bei der Krankenkasse KKH in Hamburg.
Laut Versichertendaten der Kasse ist die Zahl der Behandelten im vergangenen Jahr um sechs bis sieben Prozent gestiegen – verglichen mit der Vor-Corona-Zeit. Das sei moderat, aber sage noch nicht viel aus. „Von den ersten Anzeichen bis hin zu einer entsprechenden Diagnose können Monate oder Jahre vergehen.“ Daher könnten die Folgen der aktuellen Krisen erst viel später seriös ausgewertet werden.
Insgesamt leiden auch heute noch deutlich mehr Frauen an Depressionen als Männer – zumindest sind mehr von ihnen in Behandlung. So sind unter den 300.000 KKH-Versicherten in Hamburg, die mit Depressionen beim Arzt waren, zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer. Erstaunlich ist, dass in der Hansestadt jeder zehnte Mann schon einmal mit der Diagnose behandelt wurde, ein Spitzenwert. Noch mehr sind es nur in Baden-Württemberg.
Merkmale einer Depression sind extreme Niedergeschlagenheit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Die Betroffenen verlieren ihre Interessen und können darüber hinaus von Schlaflosigkeit, Selbstzweifeln, Schuldgefühlen und Konzentrationsstörungen geplagt sein.
Männer-Coach: Betroffene gehen nicht zum Therapeuten
Erkrankte sind oft nicht in der Lage, kleinste Entscheidungen zu treffen und Freude zu empfinden. Häufig spielen auch Schlafstörungen oder Appetitmangel, oft verbunden mit einem Gewichtsverlust, eine Rolle. Viele Betroffene empfinden zudem Ängste und körperliche Beschwerden wie Magen-, Kopf- oder Rückenschmerzen.
Die Männer, die sich mit ihrer Erschöpfung zu René Stein wagen, leiden nicht an schweren Depressionen, mit denen sie monatelang bei der Arbeit ausfallen. Es sind eher Menschen mit depressiven Episoden, die sich die Kraft zurückholen wollen, um ihren Alltag im Beruf und zu Hause zu meistern. „Oft höre ich zunächst Selbstvorwürfe“, berichtet der Coach. „Mir müsste es doch gut gehen. Ich habe Geld, ich habe eine Frau … was will ich eigentlich noch?“
Viele Männer nehmen die Hürde, sich Hilfe zu suchen, laut Stein erst gar nicht. Sie denken, sie müssten sich nur mehr anstrengen, dann werde alles wieder gut. Oder sie suchen die Schuld an ihrer Lage beim Chef und bei der Partnerin („wenn die sich nur anders verhalten würden…“). Frauen handelten meist früher.
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Die Männer, die zu Stein kommen, sind häufig 40 Jahre oder älter. „Mit 20 bis 30 hält man vieles noch aus, aber später verlässt Menschen die Kraft, seit der Kindheit unbewusst existierende Probleme zu unterdrücken.“ Und das sei dann ab Mitte 40 oder 50 eben auch das Alter, indem Männer sich fragten, ob sie das Leben geführt haben, das sie führen wollten. „Es wird eine erste Bilanz gezogen.“
Traumata durch fehlende Eltern und zwei Weltkriege
Dabei falle eine Parallele auf, die viele Lebenswege verbinde. „Viele der Betroffenen haben Eltern, die in ihrer Kindheit emotional nicht anwesend waren.“ Das sei auch kein Wunder, schließlich habe Deutschland zwei Weltkriege in den Knochen. „Da gibt es viele unverarbeitete Traumata, die über Generationen von Eltern an Kinder weitergegeben werden.“ Und ein Kind, dass früh zu wenig Liebe und Hilfe bekomme, sei weniger resistent gegen Stress. Die Folgen zeigten sich aber oft erst viel später.
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Doch was tun? „Ein Verhalten, dass sich jahrelang eingeprägt hat, lässt sich nicht von heut auf morgen ändern“, betont Stein. „Das bedarf viel Geduld und der Bereitschaft etwas zu ändern.“ Was nach viel Arbeit klingt, könne aber von Anfang an entlasten. Denn dazu gehöre auch, sich Auszeiten zu gönnen und gut zu sich zu sein. Stein: „So kommen Männer nach und nach wieder in ihre Kraft.“