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  • Foto: Jasmin N.

Frank R. (†33) starb qualvoll und allein: Hätte sein Tod verhindert werden können?

St. Georg –

Rote Kerzen und ein heller Blumenstrauß stehen unter einem großen Baum im Lohmühlenpark. Sie erinnern an Frank R., der hier gestorben ist. Mitte August wurde er in seinem Schlafsack gefunden. Frank war 33 Jahre alt, Vater eines 6-jährigen Sohnes und obdachlos. Noch am Abend zuvor hatte ein Anwohner versucht, Frank R. zu helfen – hätte sein Tod verhindert werden können?

Jasmin N. (28) ist Franks Schwester. Franks Tod ist für sie ein Schock, scheint noch immer unwirklich, erzählt Jasmin der MOPO. Ihr Bruder wurde am Donnerstag, den 13. August, tot im Lohmühlenpark aufgefunden. Laut Schreiben des Landeskriminalamtes Hamburg starb Frank an Tuberkulose und einer Lungenentzündung, doch der Fall wirft Fragen auf: Wurde Frank Opfer einer Versorgungslücke in der Hamburger Obdachlosenhilfe – und haben Rettungsdienst und Polizei hier einen medizinischen Notfall verkannt?

Helfer Andreas Pick rief am Mittwoch noch den Notruf

Frank wurde am Mittwochabend von Anwohner Andreas Pick bemerkt, der in der Nähe Volleyball gespielt hatte. Er schlug wegen Franks schlechtem Zustand Alarm. „Er war völlig abgemagert und ist im Grunde verwahrlost dahinvegetiert“, berichtet der 58-Jährige der MOPO. Er habe unangenehm gerochen und sei von Fliegen umgeben gewesen. Pick findet Frank mit verdrehten Augen und kaum ansprechbar vor – und wählt den Notruf. Als der Rettungsdienst der Feuerwehr kommt, ist Frank R. wieder ansprechbar. Die Rettungskräfte stellen keinen medizinischen Notfall fest. Sie fahren wieder. Am nächsten Tag ist er tot.

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Ist hier eine medizinische Fehleinschätzung passiert? Oder hat sich Frank nicht helfen lassen wollen? „Frank war nicht der Typ für Ärzte“, erzählt seine Schwester Jasmin. Trotzdem kann sie nicht verstehen, dass die Rettungskräfte ihren Bruder nicht ins Krankenhaus gebracht haben. „Wenn jemand krank ist, muss man doch helfen“, sagt sie.

Die Hamburger Feuerwehr äußerte sich gegenüber der MOPO nicht zu ihrem Einsatz am Mittwochabend, da der Fall als Beschwerdeeingang intern geprüft werde.

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Kerzen und Blumen haben der Helfer Andreas Pick und seine Freunde in Gedenken an Frank R. aufgestellt.

Foto:

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Franks Familie wusste nicht, dass er obdachlos war

Die Aufarbeitung des Falls hat begonnen. Für Franks Familie ist das nur ein schwacher Trost. „Wir wussten nicht einmal, dass Frank obdachlos war“, erzählt die 28-jährige Schwester der MOPO. „Er hätte sich doch bei uns melden können.“ Dass Frank keine Hilfe bei seiner Familie gesucht habe, mache es nur noch schwerer.

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Doch wie ist Frank überhaupt auf der Straße gelandet? Jasmin lernte ihren Bruder erst kennen, als er 16 Jahre alt war. Wegen eines Missbrauchsfalls in der Familie wurde Frank als Säugling in eine Pflegefamilie gegeben. Frank war verheiratet und hatte einen 6-jährigen Sohn. Die Ehe ging in die Brüche, doch Frank hatte in Hamburg noch andere Beziehungen. Eine Ausbildung oder einen Studienabschluss hatte er nicht. Er schlug sich mit Schwarzarbeit und Aushilfsjobs durch: mal als Maler, mal als Dachdecker, auch Briefe hat er mal ausgetragen. Zuletzt hat er schwarz für einen Dachdecker gearbeitet – nur ein paar Wochen später ist er tot.

Frank war freundlich und hilfsbereit

Warum Frank auf der Straße gelebt hat, weiß Jasmin nicht. Er hat Drogen genommen, erzählt sie. Früher Speed, in letzter Zeit wohl Koks. Auch die Polizei berichtet, dass Frank als Betäubungsmittelkonsument bekannt gewesen sei. Jasmin glaubt, dass Frank depressiv gewesen sein könnte. Früher habe er häufiger gelogen, erzählt sie. Aber im Grunde sei ihr Bruder ein fröhlicher Mensch gewesen, habe jeden Spaß mitgemacht. Und hilfsbereit war er.

Auch Sylvia Senger von der Obdachlosenhilfe „Zwischenstopp“ erinnert sich an Frank. Vor einigen Wochen wurde er an der Hilfsstation am ZOB mit dem Nötigsten ausgestattet. Als „Frankie“ habe er sich ihr vorgestellt, erzählt sie der MOPO. Frank sei freundlich, ruhig und höflich gewesen, berichtet Senger, überhaupt nicht aufdringlich oder fordernd. Nur erschöpft habe er gewirkt – und dünn.

Warum brachte man Frank nicht in eine Notunterkunft?

Wie dünn Frank ist, macht Andreas Pick auch am Mittwochabend Sorgen. Er besorgt ihm zu essen und zu trinken und organisiert ein Bett in der Notunterkunft für Obdachlose in der Friesenstraße. Frank möchte gern in die Unterkunft. Nur: Wie kommt er dahin? Die Einrichtung bietet keinen Transport an. Pick ruft die Polizei. Doch die Beamten halten Franks Situation nicht für einen Notfall – und sehen sich nicht dafür zuständig, Frank in die Unterkunft zu bringen. Frank sagt zu seinem Helfer Pick, dass er es am nächsten Tag selbst in die Friesenstraße schaffen will – doch dazu kommt es nicht mehr.

Versorgungslücke in Hamburgs Obdachlosenhilfe

Laut Sozialbehörde gibt es unterschiedliche Hilfsangebote für bedürftige Menschen – darunter auch aufsuchende Angebote, wie Straßensozialarbeiter, die sich zu den Obdachlosen begeben. Dennoch sei der Umgang mit Menschen, die aus dem medizinischen Regelsystem entlassen wurden, aber noch weiterer Versorgung bedürfen, eine Herausforderung, so der Pressesprecher Martin Helfrich zur MOPO. Es gebe aber Möglichkeiten zum Transport in Unterkünfte, wie Krankentransporte, über die jeweils im Einzelfall entschieden werde.

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Axel Mangat, der Leiter der Hamburger Bahnhofsmission, sagt der MOPO, dass die Zusammenarbeit der Mission am Hauptbahnhof mit Feuerwehr und Polizei normalweise gut funktioniere. Andere Sozialarbeiter und Helfer sehen das jedoch anders. Sie berichten, dass sie in der Praxis häufiger vor einem Problem stehen, wenn sie bedürftige Menschen in Notunterkünfte bringen lassen wollen.

Straßensozialarbeiter sieht Polizei und Feuerwehr verantwortlich

Julien Thiele ist Straßensozialarbeiter beim Wohlfahrtsverband Caritas. „Wir erleben es leider häufig, dass Rettungskräfte oder die Polizei Obdachlose nicht mitnehmen, auch wenn sich die Menschen offensichtlich in einer Notsituation befinden und sie der Versorgung zustimmen“, sagt er der MOPO.

Video: Wie geht es Obdachlosen in der Krise?

„Wenn nicht Feuerwehr und Polizei für den Schutz von obdachlosen Menschen zuständig sind, deren Selbsthilfemöglichkeiten aufgrund der desolaten gesundheitlichen Notlage auf null reduziert sind,– welche staatliche Institution bleibt dann noch?“, fragt er. Die Versorgung bedürftiger Menschen in Hamburg könne nicht nur durch wohlfahrtsverbandliche und ehrenamtliche Organisationen erfolgen, da dies keine strukturelle Sicherheit zum Schutz der Würde aller Bürger darstelle, so Thiele.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat im Fall Frank nun einen Vorprüfvorgang zum Handeln der Rettungskräfte und Polizeibeamten eingeleitet.

Jasmin N.: „Ich finde, es fehlt an Menschlichkeit.“

Frank wird in einem Friedwald beerdigt, seine ehemalige Frau hat schon einen Baum ausgesucht, unter dem Frank seine letzte Ruhe finden soll. Sein Fall hinterlässt Hamburg jedoch mit einer Diskussion darüber, wie in unserer Stadt mit Hilfsbedürftigen umgegangen wird – wie „Hinz&Kunzt“ berichtet, hat die Frage auch die Hamburger Bürgerschaft erreicht.

„Ich wünsche mir, dass zukünftig nicht weggeschaut, sondern geholfen wird“, sagt Jasmin. Jemanden krank und verwahrlost im Park zurückzulassen, das kann sie nicht verstehen: „Ich finde, da fehlt es an Menschlichkeit.“

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