Filz-Vorwurf: Jetzt wird es ernst für den Finanzsenator
Nun wird es ernst für den Finanzsenator: Die Opposition wird im Fall der fragwürdigen Direktvergabe eines Millionenauftrags an einen SPD-Parteifreund von Andreas Dressel (SPD) Akteneinsicht beantragen und verspricht „umfassende Aufklärung“. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags und eine Vergaberechtlerin bewerten das Vorgehen der Finanzbehörde kritisch.
Seit Wochen steht der Verdacht im Raum, Finanzsenator Dressel könnte einem Unternehmer, der den SPD-Parteivorstand im Wahlkampf beraten hat, mit einem Neun-Millionen-Auftrag zur Förderung von Start-ups begünstigt haben. Die Opposition will der Sache nun endgültig auf den Grund gehen.
Die Finanzbehörde hatte mit der Direktvergabe die EU-weite Ausschreibungspflicht umgangen und dies mit der juristisch zweifelhaften Angabe begründet, es habe sich um Corona-Gelder gehandelt, die eilig vergeben werden müssten. Nach der Aufdeckung des Falls durch die MOPO und massiver Kritik am Verfahren hatte Dressel am 11. Januar die Rückabwicklung der Vergabe bekannt gegeben.
„Der Vorwurf von einem erneuten schweren Fall von rotem Filz steht weiterhin im Raum, und auch wenn die dubiose Vergabeentscheidung inzwischen wieder rückgängig gemacht wurde, müssen die Hintergründe des vom Finanzsenator geplanten Neun-Millionen-Auftrags an einen SPD-Genossen umfassend aufgeklärt werden.“
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Nun wird es ernst für den Finanzsenator: Die Opposition wird im Fall der fragwürdigen Direktvergabe eines Millionenauftrags an einen SPD-Parteifreund von Andreas Dressel (SPD) Akteneinsicht beantragen und verspricht „umfassende Aufklärung“. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags und eine Vergaberechtlerin bewerten das Vorgehen der Finanzbehörde kritisch.
Seit Wochen steht der Verdacht im Raum, Finanzsenator Dressel könnte einen Unternehmer, der den SPD-Parteivorstand im Wahlkampf beraten hat, mit einem Neun-Millionen-Auftrag zur Förderung von Start-ups begünstigt haben. Die Opposition will der Sache nun endgültig auf den Grund gehen.
Hamburg: Opposition beantragt Akteneinsicht im Filz-Skandal
In seltener Eintracht werden CDU und Linke in der nächsten Bürgerschaftssitzung die Aushändigung sämtlicher Dokumente zu dem umstrittenen Vorgang einfordern. Die zu jedem Vergabeverfahren gehörende umfassende Dokumentation könnte Licht in die noch teils im Dunkeln liegenden Abläufe des Falls bringen.
Die Finanzbehörde hatte mit der Direktvergabe die EU-weite Ausschreibungspflicht umgangen und dies mit der juristisch zweifelhaften Angabe begründet, es habe sich um Corona-Gelder gehandelt, die eilig vergeben werden müssten. Nach der Aufdeckung des Falls durch die MOPO und massiver Kritik am Verfahren, hatte Dressel am 11. Januar die Rückabwicklung der Vergabe bekannt gegeben.
Auch wenn die Vergabeentscheidung inzwischen rückgängig gemacht worden sei, müssten die Hintergründe umfassend aufgeklärt werden, erklärt die CDU. Dafür müssten die Vorgänge der Bürgerschaft vorgelegt und transparent gemacht werden.
„Vorwurf von einem erneuten schweren Fall von rotem Filz steht weiterhin im Raum“
„Der Vorwurf von einem erneuten schweren Fall von rotem Filz steht weiterhin im Raum, und auch wenn die dubiose Vergabeentscheidung inzwischen wieder rückgängig gemacht wurde, müssen die Hintergründe des vom Finanzsenator geplanten Neun-Millionen-Auftrags an einen SPD-Genossen umfassend aufgeklärt werden“, erklärte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. Die Direktvergabe sei offensichtlich schon in die Wege geleitet worden, bevor der Antrag dazu in der Bürgerschaft überhaupt gestellt worden sei. Die Kriterien der Auftragsvergabe, die am 2. Juli in einer Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurden, seien genau auf den Begünstigten zugeschrieben worden.
Aus Sicht der CDU wurde der Stadt durch den Vorgang ein großer Schaden zugefügt. „Die fragwürdige und fehlerhafte Vergabe geht somit bedauerlicherweise zulasten der wirtschaftlichen Entwicklung des Standortes Hamburg“, so Thering. Die Hansestadt hätte die Start-up-Förderung dringend benötigt, um deutschlandweit als Innovationsstandort nicht weiter hinter anderen Bundesländern wie Berlin und Bayern zurückzufallen.
Linke: „Schwerer Schaden für die Entwicklung von FinTechs in Hamburg“
Auch die Linke will genau prüfen, ob „ein ordentliches Markterkundungsverfahren durchgeführt wurde oder die Ausschreibung von Anfang an auf einen Bewerber aus dem Umfeld des Finanzsenators zugeschnitten wurde“: „Dass Finanzsenator Dressel den Millionenauftrag nach einem zweifelhaften Vergabeverfahren zurückziehen musste, hat der Entwicklung von FinTechs in Hamburg schweren Schaden zugefügt. Der Vorwurf einer Bevorzugung seines Parteifreundes konnte nicht überzeugend ausgeräumt werden und es bestehen weiterhin Zweifel an der Durchführung des Verfahrens“, erklärte David Stoop, Finanzexperte der Linksfraktion. „Wir brauchen dringend mehr Transparenz und Verlässlichkeit in der Vergabe!“
Die SPD-Fraktion kritisiert das Aktenvorlage-Ersuchen der Opposition. CDU und Linke würden „bewusst die Ergebnisse der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 11. Januar außer Acht“ lassen. Der Finanzsenator habe in dieser Sitzung bereits Transparenz über den Vergabeprozess hergestellt und belegt, „dass die Vergabe sich an Recht und Ordnung gehalten“ habe. Der haushaltspolitische Sprecher Milan Pein: „Wer Fakten aber ignoriert und immer wieder mit gespielter Empörung nicht belegbare Behauptungen aufstellt, verliert seine eigene politische Glaubwürdigkeit.“
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages überprüft den Fall
Mittlerweile hat der Filz-Verdacht auch die bundespolitische Ebene erreicht. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich mit dem Inhalt der Direktvergabe beschäftigt und untersucht, ob Corona-Mittel überhaupt zur Förderung von Start-ups verwendet werden dürfen. Ergebnis: „Alle staatlichen Beihilfen, die eine Begünstigung eines bestimmten Unternehmens bezwecken und dadurch den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen“, seien „mit dem Binnenmarkt unvereinbar und somit unzulässig“. Und weiter: „Dies gilt grundsätzlich für alle Formen von Unternehmen und somit auch für die Förderung von Start-ups.“
Zwar erlaube die EU-Rechtsprechung in ganz besonderen Ausnahmen einen Verzicht auf die Ausschreibungspflicht. Zwingende Voraussetzung sei aber eine dringliche Notlage, deren Bewältigung nur durch einen einzigen Wirtschaftsteilnehmer erfüllt werden kann.
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„Dass die besondere Dringlichkeit eines Auftrags zur Koordinierung von Start-up-Förderung speziell mit einem pandemiebedingten Mangel an Waren und Dienstleistungen gemäß den einschlägigen Leitlinien der Kommission begründet werden könnte, erscheint hingegen eher zweifelhaft“, heißt es in dem Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.
Vergaberechtlerin: Kein Zusammenhang zwischen Start-up-Förderung und Bewältigung der Corona-Krise
Diese kritische Bewertung ist nach Aussage der auf Vergaberecht spezialisierten Rechtsanwältin Sylvia Meyerhuber „sehr deutlich“. Die Juristin erklärt: „Deutlicher kann der Dienst ohne Einsicht in die Akten und ohne juristische Prüfung gar nicht werden.“
Klar sei, dass es bei der Förderung von Start-ups nicht um die Bewältigung einer pandemiebedingten Krise ginge. Die EU-Kommission habe die Ausnahmen für Fälle wie beispielsweise die dringende Beschaffung von Masken oder Beatmungsgeräten vorgesehen. Auf die Förderung von Start-ups träfe das jedoch nicht zu. „Es lassen sich hier anhand der vorliegenden Informationen keine Beschaffungsprobleme begründen“, so Meyerhuber.
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Auch die Zeitnot, die Senator Dressel als Grund für die Umgehung eines angeblich langwierigen Ausschreibungsverfahrens von neun Monaten angegeben hatte, lässt Meyerhuber nicht gelten. „Man kann ein ordnungsgemäßes Verfahren auch in weniger als neun Monaten durchführen. Neun Monate ist schon der worst case und rechnet schon einen Rechtsstreit mit ein.“
Senator Dressel war durch die Rückabwicklung der Vergabe Mitte Januar einer juristischen Überprüfung zuvorgekommen. Durch die Vorlage der Akten soll nun zumindest eine parlamentarische Prüfung der dubiosen Vergabe erfolgen. Unter anderem geht es dabei auch um die Frage, ob der Senator tatsächlich eine Marktanalyse durchführen lassen hat, wie es in der Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung im Juli 2021 behauptet worden war und wie sie bei einer Direktvergabe als Abweichung vom Wettbewerbsgrundsatz vorgeschrieben ist. MOPO-Recherchen hatten ergeben, dass der Senator Wettbewerber, die fachlich möglicherweise besser geeignet gewesen wären als sein Parteifreund, nicht einmal kontaktiert hat, um ihnen eine Chance für den Auftrag einzuräumen.