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  • Foto: Christoph Nagel

FC St. Pauli: Jetzt hat das „Freudenhaus der Liga“ ein Museum!

St. Pauli –

Wow. Was für ein Museum! Auch Fußballmuffel dürften begeistert sein. Ja, und sogar HSV-Fans werden Gefallen daran finden – was schon einiges heißt, denn hier ist vom Museum des Erzrivalen die Rede, des FC St. Pauli. Am Donnerstag wird es zunächst exklusiv von Mitgliedern besichtigt, bevor es ab Freitag um 15 Uhr die Pforten öffnet für das breite Publikum. Hamburg hat ein neues Museum! „Kiezbeben – die zweite Geburt des FC St. Pauli“, so der Name der Schau.

Es wurde noch gehämmert, geschraubt und dekoriert, da hatte die MOPO Gelegenheit, sich die Ausstellung anzusehen. Was auffällt: Dieses Museum ist keine Spur langweilig. Es ist modern, multimedial, atemberaubend, spannend. In allen Ecken und Winkeln Bildschirme, auf denen Ex-Spieler, Ex-Trainer, Ex-Manager etc. Geschichten von früher erzählen. Dazwischen Fotos, Texttafeln, Original-Exponate.

Im FC St. Pauli Museum können sich Fans ein Wunschergebnis kreieren

Super sind die Nachbauten: Der Besucher findet sich mal in der berühmten Clubheimküche wieder, mal im Gang unter der alten Gegengeraden, mal im ersten Fanladen, dem Fanprojekt des Vereins. Alles mit vielen Original-Möbeln und Original-Requisiten ausgestattet. Besucher können sogar tun, wovon sie immer schon träumten: Hochsteigen zur letzten manuellen Stadion-Anzeigetafel der Liga und sich ein Ergebnis nach Wunsch kreieren. Wie wär’s mit Pauli gegen die Bayern 10:1?

Foto der alten Clubheimküche, die im Museum als Nachbau zu besichtigen ist.

Foto der alten Clubheimküche, die im Museum als Nachbau zu besichtigen ist. 

Foto:

Krewitt

Eine super Idee auch die Video-Box, in der sich der Besucher dabei filmen lassen kann, wie er preisgibt, welche Erinnerungen er mit dem FC St. Pauli verbindet. Was dabei herauskommt, dürfte spannend sein für die Historiker.

Hamburgs FC St. Pauli Museum von Fans für Fans

Knöpfe drücken, mitmachen, anfassen, ausprobieren – so geht Museum heute. Das haben die Macher begriffen. Dabei sind das gar keine Profis. Im Gegenteil: Hier haben – typisch für diesen Graswurzel-Verein  – ganz normale Fans die Initiative ergriffen. Einer davon ist Christoph Nagel, 46 Jahre alt, Historiker und von Beruf Texter. Wie es überhaupt dazu kam, dass Fans einen eigenen Verein zur Errichtung eines Museums gründeten – er erzählt es uns.

Der Gang unter der alten Gegengeraden - ein täuschend echter Nachbau im Museum. Jeder Fan wird sich erinnern.

Der Gang unter der alten Gegengeraden – ein täuschend echter Nachbau im Museum. Jeder Fan wird sich erinnern.

Foto:

Wunder

„Im Grunde“, so sagt er, „begann alles mit dem 100. Jubiläum des FC St. Pauli 2010. Damals habe ich mit Michael Pahl das offizielle Jubiläumsbuch geschrieben.  Dabei haben wir festgestellt, wie viel es zu erzählen gibt. So kam die Idee auf, ein Museum daraus zu machen. Die Mitglieder des FC St. Pauli haben das dann sogar ganz offiziell beschlossen.“

Hamburger Fans formierten sich: „Museum statt Goliathwache“

Wenig später wurde die neue Osttribüne des Millerntor-Stadions gebaut. Dass dort heute das Museum untergebracht ist – alles andere als selbstverständlich. Denn die Räume im Untergeschoss waren der Polizei versprochen für eine kombinierte Stadion- und Domwache.  Widerstand formierte sich. „Museum statt Goliathwache“, so die Parole, von der Christoph Nagel gesteht, dass er (über sein Alter Ego „Gegengeraden-Gerd“) es war, der sie erfand. In den Stadionrängen hielten dann Tausende Transparente und Banner mit diesem Slogan hoch. Nagel grinst: „Fußballfans stehen eigentlich ja nicht im Verdacht, sich besonders um Museen zu bemühen.“ Aber beim FC St. Pauli ist eben alles anders.

Die Fans setzten sich durch. Die Polizei zog nicht ein, stattdessen gibt es ab 2014 immer wieder temporäre Ausstellungen, 2017 etwa über den FC St. Pauli im Dritten Reich – eine äußerst bemerkenswerte, vor allem selbstkritische Schau.

Hamburg FC St. Pauli Museum bleibt als Daueraustellung

Was anders ist an der aktuellen Ausstellung? Sie bleibt. Sie verschwindet nicht nach ein paar Wochen wieder. Ein richtiges Museum mit Dauerausstellung ist entstanden.

Auf über 600 Quadratmetern erzählt „Kiezbeben“ wie der FC St. Pauli wurde, was er heute ist. Es geht um Fußball, Politik und Totenköpfe, um Tore, Tragik und Ekstase – um ein fußballerisches und zeitgeschichtliches Beben, das bis heute nachwirkt.

 In den 70er Jahren: Da ist der FC St. Pauli noch alles andere als hipp, sondern total spießig.

 In den 70er Jahren: Da ist der FC St. Pauli noch alles andere als hipp, sondern total spießig.

Foto:

Wunder

Wer die Ausstellungsräume betritt, findet sich zunächst in einem Wohnzimmer der 70er Jahre wieder.  An den Wänden eine orange-braune Tapete. Auf den Bildschirm eines Röhrenfernsehers flimmert eine  Tagesschau-Ausgabe, in der es darum geht, dass Frauen sowas wie Gleichberechtigung fordern. Nein, wie anmaßend…!

FC St. Pauli Geschichte: Plötzlich wehte die Totenkopf-Fahne

Der FC St. Pauli zu jener Zeit: ein Spießer-Verein. Und zudem in der Krise: leere Ränge. Die Stimmung auf dem Nullpunkt. Weil sich der Verein sportlich und finanziell verkalkuliert hatte, kam’s zum Zwangsabstieg in die dritte Liga.

„Kiezbeben“ heißt die Dauerausstellung.

„Kiezbeben“ heißt die Dauerausstellung – und damit ist die Zeit gemeint, als Punks und Hafenstraßenbewohner erst vom Stadtteil, dann vom Verein Besitz ergreifen. Ein Bild aus den 80er Jahren.

Foto:

Krewitt

Und dann folgte das Beben, das die Ausstellungsmacher zum Motto der Schau gemacht haben: Die Punks, die Hausbesetzer aus der Hafenstraße nahmen den Kiez, nahmen den Club in Besitz. Plötzlich wehte die Totenkopf-Fahne im Stadion. Der Verein war plötzlich links und antirassistisch. Und Torhüter Volker Ippig – lange Haare und die Faust zum Gruß der Arbeiterbewegung erhoben – wurde zum Idol der Massen.

Wie der FC St. Pauli zum „Freudenhaus der Liga“ wurde

Davon erzählt das Museum des FC St. Pauli: von der zweiten Geburt, durch die ein bürgerlicher Club zum „Freudenhaus der Liga“ wurde, zu einem Fußballverein, der sich nicht nur verantwortlich fühlt für Punkte und Tore, der sich stattdessen einsetzt für die Armen und Entrechteten, für die kleinen Leute, für die  Schiefen und Krummen, für die mit Ganzkörper-Tattoo, Alkoholfahne und Irokesenhaarschnitt.

Schön, dass es dieses spannende Museum gibt!

Standort: Millerntor-Stadion, Gegengerade, Heiligengeistfeld 1,
Öffnungszeiten: Do 15-22 Uhr, Fr 15-19, Sa + So 11-19 Uhr. An Donnerstagen gibt es „Kiezbeben-Nächte“ mit Sonderprogramm.
Eintritt: 7 Euro regulär, 4 Euro ermäßigt, 10 Euro Soli-Preis.
Dauerkarten: 20 Euro regulär, 12 Euro ermäßigt, 30 Euro Soli.
Infos:kiezbeben.de

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