Mit Fäusten gegen Kriegstrauma: 14-jähriger Boxer fängt in Hamburg neu an
Unter den Amateurboxern in Mariupol kennt man Vitaliy Morozov. Der 14-jährige Ukrainer hat sich in mehr als hundert Kämpfen einen Namen gemacht. Er ist auf dem Weg nach oben – dann marschieren die Russen in seine Heimat ein. Vitaliy und seinen Eltern gelingt die Flucht. In Hamburg angekommen steht er wieder am Boxsack – und kämpft sich frei.
Unter den Amateurboxern in Mariupol kennt man Vitaliy Morozov. Der 14-jährige Ukrainer hat sich in mehr als hundert Kämpfen einen Namen gemacht. Er ist auf dem Weg nach oben – dann marschieren die Russen in seine Heimat ein. Vitaliy und seinen Eltern gelingt die Flucht. In Hamburg angekommen steht er wieder am Boxsack – und kämpft sich frei.
Vitaliys Fäuste fliegen durch die Luft. Kleine Schweißtropfen bilden sich auf seiner Stirn, während er mit gezielten Schlägen den Boxsack malträtiert. Jab, Cross, Haken. Vitaliy ist ganz bei sich. Aus den Lautsprechern dringt der treibende Beat eines ukrainischen Rapsongs.
14-jähriger Boxer flieht aus der Ukraine nach Hamburg
„Vitaliy kam nach Hause und war Boxer. Er hat niemandem von seinen Plänen erzählt und sich einfach in der Boxschule in Mariupol angemeldet“, erzählt seine Mutter Yuliia (36). Sie sitzt auf einem Sofa im Foyer der Boxschule Combat Lions in Hamburg-Niendorf und lächelt sanft. „Er sagte nur, Mama ich bin drinnen, du hast kannst nichts dagegen machen.“
Yuliia ist dankbar, dass die Betreiber von Combat Lions, Tim Albrecht und Sascha Micheel, ihren Sohn aufgenommen haben. Zweimal die Woche trainiert der 14-Jährige hier, zweimal bei dem Olympia-Boxer Dirk Meyer. Alles, was er an Ausrüstung braucht, bekommt er momentan noch von den Trainern. Aus seinem früheren Leben hat Vitaliy nur noch seine blauen Boxhandschuhe. Sie sind eine Erinnerung an seine Fähigkeiten: Er hat sie bei einem Kampf in Mariupol gewonnen.

Der russische Angriffskrieg beginnt in Mariupol direkt vor Vitaliys Haustür. Er und seine Eltern fliehen zunächst in ein anderes Stadtviertel. In einem Keller finden sie Schutz. 45 Tage harren sie dort aus – zusammen mit 90 fremden Menschen. Es gibt kein sauberes Wasser. Wenn sie kochen wollen, müssen sie eine Etage höher gehen. Während sie das Feuer entfachen, zerfetzt russische Artillerie die Gebäude um sie herum.
Wenn die ukrainischen Soldaten es erlauben, geht Vitaliy mit ihnen durch die Stadt auf der Suche nach Trinkwasser. Der 14-Jährige unterstützt sie beim Löschen kleiner Brände, versucht den Menschen zu helfen, die angeschossen und verwundet auf der Straße liegen. Doch die Lage in der Stadt, die heute in russischer Hand ist, wird immer schlimmer. Die Leichen vor dem Haus werden mehr. Es ist zu gefährlich sie wegzuschaffen.
Mit Helfern über Donezk nach Russland – und dann weiter
„Wir hatten die Wahl unter dem Haus begraben oder draußen erschossen zu werden“, sagt Yuliia. Sie entscheiden sich für die Flucht. Mit Helfern schaffen sie es über Donezk nach Russland. Im Zug geht es nach Litauen, von dort mit dem Schiff nach Travemünde in Deutschland, dann mit dem Zug nach Hamburg. Neun Tage ist die Familie unterwegs, bis die Musikerin Anne de Wolff und ihr Mann Ulrich Rode sie am Hauptbahnhof in Empfang und mit sich in ihr Haus in Wellingsbüttel nehmen.
„Wir sind Anne und Ulrich so dankbar“, betont Yuliia. Sie fühle sich endlich wieder sicher, das Zusammenleben sei wie das einer großen Familie. Doch nicht nur die Musiker, auch deren Freunde und Nachbarn unterstützen die ukrainische Familie. Es hat sich ein kleines Netzwerk gebildet: Alle helfen sich untereinander. Suse, eine der Nachbarinnen, boxt selbst bei den Combat Lions. Sie hat Vitaliy in den Club eingeführt, bringt ihn oft zum Training und holt ihn wieder ab.
Vitaliy boxt, um zu vergessen – und für seinen Traum
Im Box-Club lässt Vitaliy seine Fäuste gegen den Boxsack prasseln. Seine Muskeln sind angespannt, die Bewegungen dennoch leicht und spielerisch. Wenn er kämpft ist er wie ausgewechselt. Nichts erinnert mehr an den Jungen, der im Gespräch vor dem Training zusammengesunken, mit gebeugtem Rücken und vor der Brust verknoteten Armen neben seiner Mutter auf der Couch saß.

„Boxen ist für mich eine Lebensaufgabe“, sagt Vitaliy. Bei den Combat Lions habe er sich sofort gut gefühlt. Letztes Wochenende haben sie ihn mit nach Frankfurt zur Internationalen deutschen Meisterschaft der Boxer und Kickboxer genommen. „Am Anfang fühlte ich mich in Hamburg nicht wohl. Alles war fremd, es war kein gutes Gefühl“, erzählt Vitaliy leise. Doch das Wochenende mit den Combat Lions habe geholfen. „Ich bin glücklich, wenn ich mit ihnen zusammen bin.“ Sein Selbstwertgefühl komme langsam zurück.
Wenn Vitaliy trainiert, kämpft er gegen sein Kriegstrauma und für seinen Traum: Er will in die Fußstapfen des ukrainischen Profis Wassyl Lomatschenko treten, bei den Olympischen Spielen boxen – und gewinnen.
Damit Vitaliy seinen Traum vom Profi-Boxen auch in Zukunft leben kann, können Sie für Ausrüstung und Training spenden: https://www.betterplace.me/vitalii-boxt