Grünkohl: Hamburger Expertin verrät die besten Tricks – und entlarvt einen Mythos
Fast überall in Norddeutschland kommt im Winter Grünkohl auf den Teller: Mit Kochwurst, Kasseler und Kartoffeln ist er das mit Abstand beliebteste Wintergemüse. Mit „Mythos Grünkohl“ hat die Hamburger Autorin Johanna Rädecke ihm deshalb ein ganzes Buch gewidmet. Im MOPO-Interview verrät sie, wo es in Hamburg den besten Grünkohl gibt, wie Schnaps und Pralinen aus dem Wintergemüse schmecken – und was wir bei der Zubereitung des Kult-Essens immer falsch machen.
Fast überall in Norddeutschland kommt im Winter Grünkohl auf den Teller: Mit Kochwurst, Kasseler und Kartoffeln ist er das mit Abstand beliebteste Wintergemüse. Mit „Mythos Grünkohl“ hat die Hamburger Autorin Johanna Rädecke ihm deshalb ein ganzes Buch gewidmet. Im MOPO-Interview verrät sie, wo es in Hamburg den besten Grünkohl gibt, wie Schnaps und Pralinen aus dem Wintergemüse schmecken – und was wir bei der Zubereitung des Kult-Essens immer falsch machen.
MOPO: Es ist Mitte November und wir haben immer noch 12 Grad. Wird das dieses Jahr nichts mit dem Grünkohl? Er braucht doch Frost, damit er richtig gut schmeckt, oder?
Johanna Rädecke: Nein, Grünkohl braucht keinen Frost – das ist ein Mythos. Aber es ist schon richtig, dass er milder schmeckt, wenn er niedrigen Temperaturen ausgesetzt war. Dann reichert er sich selbst mit Zucker an, um sich vor Frostschäden zu schützen, und wird süßer. Aber das tut er auch schon, wenn es mal einige Tage unter zehn Grad Celsius war. Außerdem sind bei den meisten Sorten die Bitterstoffe ohnehin schon rausgezüchtet. Auf dem Hitscherberger Hof in Kirchwerder beispielsweise wird Grünkohl sogar ganzjährig angebaut. Die jungen Blätter schmecken toll in einem Smoothie.

Was macht Grünkohl so beliebt?
Der Grünkohl versorgt uns mit wichtigen Nährstoffen, um gut durch den Winter zu kommen. In ihm stecken Magnesium, Ballaststoffe, Proteine, Carotin, Eisen und vor allem Vitamin C. Eine Portion Grünkohl beinhaltet bis zu zehnmal mehr Vitamin C als eine Zitrone! Und natürlich steht Grünkohl auch für Geselligkeit. Mit ihm verbinden wir etliche Festivitäten im Norden – wie das Biikebrennen an der nordfriesischen Küste und den Inseln oder die Kohlfahrten in Bremen, Oldenburg und dem Ammerland. In Mecklenburg-Vorpommern ist Grünkohl ein traditionelles Weihnachtsessen.
Gibt es diese Bräuche schon lange?
Die Kohlfahrten sind 1841 in Oldenburg entstanden. Friedrich Ludwig Jahn, bekannt als Turnvater Jahn, hat damals die Turn-Bewegung gegründet, um die jungen Menschen für den Kampf gegen die napoleonische Besatzung zu trainieren. Er ist mit den Jugendlichen durch die Wälder marschiert. Jahrzehnte später hat man diese Tradition dann mit einem Grünkohl-Essen kombiniert. Heute stehen bei den Kohlfahrten die Leibesübungen nicht mehr so im Vordergrund (lacht). Jetzt zieht man mit Freunden mit dem Bollerwagen, Schnaps und Glühwein los und spielt Boßeln oder Teebeutel-Weitwurf. Am Ende wird in einem Restaurant eingekehrt, um Grünkohl zu essen.

Grünkohl ist ein norddeutscher Trend, oder?
Da muss ich die Norddeutschen leider enttäuschen. Grünkohl ist sogar ein sehr internationaler Trend. Ich war tatsächlich überrascht, wo man überall auf Grünkohl trifft. Wissenschaftler gehen davon aus, dass er im Mittelmeerraum seinen Ursprung hat. Vor 2000 Jahren wurde Grünkohl in Griechenland das erste Mal erwähnt. Er hat sich dann in Europa verbreitet, von dort kam er durch Auswanderer auch nach Russland und Amerika. Sogar in Afrika essen die Menschen Grünkohl. In Äthiopien gibt es zum Beispiel das Gericht Gomen Wot, mit gedünstetem Grünkohl, Zwiebeln, Tomaten und Gewürzbutter.
Aber in Bayern mag keiner Grünkohl.
Das stimmt (lacht). In Süddeutschland ist dieser Trend anscheinend kulturell nicht gewachsen.
Wie bekommt man Grünkohl am besten hin?
Der größte Mythos ist, dass Grünkohl stundenlang köcheln muss. Das stimmt nicht! Die ganzen Nährstoffe und das Vitamin C verkochen dabei. Diese klassische norddeutsche Zubereitungsweise ist zwar lecker, hat aber keine gesundheitlichen Vorzüge mehr. Es reicht vollkommen, den Grünkohl 20 bis 30 Minuten zu kochen. Es gilt: Je kürzer er kocht, desto gesünder ist er. Für diese Zubereitung im Kochtopf eignen sich die herberen Sorten Westländer Winter, Winnetou oder Halbhoher Krauser am besten.

Neuerdings isst man doch auch Grünkohl roh als Salat, oder?
Es gibt auch milde Grünkohl-Sorten wie Lerchenzunge oder Toskanischer Palmkohl, die man gut roh als Salat essen kann. Er sollte aber vorher für 20 Minuten gut durchgeknetet werden. Was auch wunderbar schmeckt: Diesen Kohl drei bis fünf Minuten lang blanchieren oder anbraten und dann in Risotto, zu Pasta, auf Pizza oder im Auflauf essen.
Wie viele Sorten Grünkohl gibt es denn?
Es gibt etwa 160 Grünkohl-Arten weltweit. Es gibt zum Beispiel auch japanischen Grünkohl, roten, schwarzen, grünen, braunen Grünkohl, welchen mit blasigen oder krausen Blättern.
Gibt es auch ungewöhnliche Kombinationen mit Grünkohl?
In Afrika isst man Grünkohl auch gern mit einem Löffel Erdnussbutter. In Nordrhein-Westfalen reicht man Apfelmus dazu. Ich komme aus Schleswig-Holstein. Dort lieben die Menschen süße Komponenten zur deftigen Küche – deshalb gehören auf jeden Fall karamellisierte Kartoffeln dazu.

Wo gibt es in Hamburg den besten Grünkohl?
In den Supermärkten gibt es oft nur die drei gängigsten frischen Sorten. Ich würde Grünkohl entweder auf dem Wochenmarkt oder beim Erzeuger direkt kaufen. Zum Beispiel auf dem Hitscherberger Hof in Kirchwerder, auf dem Gut Wulksfelde in Tangstedt oder auf dem Gut Wulfsdorf in Ahrensburg. Aus der Dose würde ich Grünkohl gar nicht kaufen, denn da sind kaum mehr Nährstoffe drin. Wenn es mal schnell gehen muss, dann lieber tiefgekühlten.
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In welchen Restaurants essen Sie Grünkohl am liebsten?
Die klassische Variante esse ich am liebsten in der „Oberhafen-Kantine“ in der HafenCity. Moderne Varianten bietet Thomas Sampl in seinem „Hobenköök Restaurant“ (HafenCity) an – wie Süßkartoffel-Grünkohl-Auflauf mit Rosinen und Feta. Sebastian Junge hat in seinem Bio-Restaurant „Wolfs Junge“ (Uhlenhorst) auch spannende wechselnde Grünkohl-Gerichte auf der Karte wie frittierten Grünkohl mit Rahmkraut und Wildschinken. Ihre Rezepte stehen auch in unserem Buch.
Ist Ihnen bei Ihrer Recherche auch etwas Skurriles rund um den Grünkohl begegnet?
Ich fand es tatsächlich skurril, mit wie viel Passion einige Menschen Grünkohl-Produkte herstellen. In Oldenburg habe ich Grünkohl-Gin probiert – der wurde mit dem Kohl destilliert und schmeckt traumhaft! Eine Oldenburger Konditorei bietet Grünkohl-Pralinen an. Sie bestehen aus einer milden Grünkohl-Sorte, weißer Schokolade, rosa Pfeffer und Korn zur Haltbarmachung. Sie waren grün von innen, schmeckten aber toll und gar nicht so kohlig.

Das Buch: „Mythos Grünkohl. Das neue Superfood – eine kulinarische Kulturgeschichte“
von Jens Mecklenburg und Johanna Rädecke (160 Seiten, KJM Buchverlag, 22 Euro). Mit traditionellen und modernen Rezepten, Küchen- und Restauranttipps und der Kulturgeschichte des Grünkohls.