„Es war ein einziges Chaos!“: Der Zoff um die Flaniermeile im Hamburger Osten
Die Autos sind zurück: Vor einer Woche endete das Verkehrsprojekt „Autoarmes Volksdorf“, bei dem in zwei beliebten Einkaufsstraßen für mehrere Monate die Parkplätze radikal gestrichen wurden. Statt der Blechkisten standen dort dann begrünte Holzkisten und ein paar Bänke. Soll das zur Dauerlösung werden? Die MOPO hat sich vor Ort umgehört – und hat viele wütende Einzelhändler gesprochen.
Die Autos sind zurück: Vor einer Woche endete das Verkehrsprojekt „Autoarmes Volksdorf“, bei dem in zwei beliebten Einkaufsstraßen für mehrere Monate die Parkplätze radikal gestrichen wurden. Statt der Blechkisten standen dort dann begrünte Holzkisten und ein paar Bänke. Soll das zur Dauerlösung werden? Die MOPO hat sich vor Ort umgehört – und hat viele wütende Einzelhändler gesprochen.
Der Ortskern von Volksdorf ist ein Schmuckstück. Kleine Boutiquen reihen sich aneinander, dazwischen Eiscafés, Restaurants, Schreibwarenläden, Optiker und Bäckereien. Viele davon sind inhabergeführt und gehören nicht zu großen Geschäftsketten. Passanten schlendern mit Tüten durch die Straßen, bleiben stehen, um in die Schaufenster zu gucken oder setzen sich auf die Bänke vor den Geschäften.
Flaniermeile Volksdorf: Öffentliche Parkplätze fielen weg
Doch die Beschaulichkeit trügt. In der Claus-Ferck-Straße und in der Straße Im Alten Dorfe brodelt es – die Einzelhändler sind auf Zinne. Von Mitte Mai bis Mitte Juli wurden diese Abschnitte autoarm, alle öffentlichen Parkplätze fielen weg. Das autoarme Projekt wurde unter dem Schlagwort „Flaniermeile“ beworben.

„Es war ein einziges Chaos!“, schimpft Nicole-Caroline Treppenhauer, Inhaberin der Apotheke „Zur Alten Schmiede“. „Wir bekommen Lieferungen mit Biontech-Impfstoff, der ständig gekühlt werden muss. Der Fahrer war total wütend, weil er hier nicht parken konnte. Auch als ich eine riesige Menge von Kindersaft Ibuflam abgeholt habe, durfte ich nicht mal kurz damit vor dem Geschäft halten.“ Zudem seien viele Kunden der Apotheke ältere Patienten. „Die sind auf einen Parkplatz angewiesen“, sagt sie.
Das bestätigt Patrick Meier, Filialleiter des Schreibwarengeschäfts „Lerche“ ein paar Schritte weiter. „Unsere Umsätze sind sofort nach Beginn des Experiments eingebrochen“, erzählt er. „Der Schulanfang hat uns ein bisschen gerettet, aber vor allem ältere Kunden sind ganz weggeblieben.“

Auch Kerstin Flessner, Inhaberin des Damenmodegeschäfts „Stil & Blüte“ ist froh, dass die Parkplätze jetzt wieder zur Verfügung stehen. „Ich bin eigentlich ein Fan von so etwas“, sagt die studierte Architektin. „Aber das war verschwendetes Geld. Es gibt hier so viele Flächen, zum Beispiel vor der Deutschen Bank, die dauerhaft verschönert werden könnten. Oder die Politik könnte sich mal um die völlig kaputten Bürgersteige kümmern.“

Bei den Grünen in Wandsbek wertet man das Projekt wiederum als vollen Erfolg. „Wir haben viele positive Rückmeldungen bekommen und sind sogar gefragt worden, ob die Straßen nicht komplett autofrei gestaltet werden können“, sagt der Bezirksabgeordnete Jan Witt. „Sowohl Lob als auch Kritik konnte nicht bestimmten Gruppen zugeordnet werden. So gab es beispielsweise Senior:innen, denen die Neugestaltung sehr gut gefiel.“
Flaniermeile Volksdorf: Viel Kritik aber auch Lob
Eine davon ist Christa Weinhold, die 86-Jährige aus Meiendorf fährt viermal die Woche mit dem Bus nach Volksdorf. „Ich fand das sehr hübsch, schade dass es vorbei ist“, sagt sie bedauernd. Dem stimmt die 43-jährige Larissa Still zu, die Tochter Melissa an der Hand hält. „Es war viel mehr Platz und ruhiger“, berichtet die Volksdorferin, sie selbst besitzt kein Auto. „Aber bei der Gestaltung war noch Luft nach oben.“

Monika Krohn fand den Begriff „Flaniermeile“ übertrieben. „Wie wäre es mit mehr Bänken und Zebrastreifen?“, schlägt sie vor. Vor allem die älteren Besucher sei darauf angewiesen, vor den Geschäften zu parken. Das sieht auch die Opposition in der Wandsbeker Bezirksversammlung so. „Mobilitätseingeschränkte Personen werden wie Besucher zweiter Klasse behandelt“, kritisiert die FDP-Fraktionsvorsitzende Brigit Wolff. „Ihnen wird ein weiterer Weg zu den Praxen oder zum Einkaufen zugemutet.“

Die Volksdorfer vor Ort äußern im Gespräch mit der Mopo noch mehr Ideen: „Parkplätze für die Älteren, Ladezonen für den Einzelhandel und tatsächliche Orte zum Flanieren und nicht diese halbgare Schnellschussaktion mit ein paar lieblos aufgestellten Bänken wären gut“, sagt der 53-jährige Jan Swirski.

Diese und weitere Vorschläge können dem Bezirksamt Wandsbek noch bis zum 31. Juli gemacht werden. Die Bögen sind online verfügbar oder liegen in den Bücherhallen Volksdorf aus. Ob und wie die Flaniermeile zurückkehrt, wird ab Herbst dann Thema in den Bezirksausschüssen sein.