Erste Funde! Hier graben sie nach der Bornplatzsynagoge
Für den Beobachter ist es nur eine kleine, grüne Scherbe. Doch für die Archäologen ist es eine Sensation! Ein Stück Fensterglas der 1938 von den Nazis zerstörten Bornplatzsynagoge. Stück für Stück holen die Archäologen auf dem Joseph-Carlebach-Platz gerade das aus der Erde, was von dem prächtigen Gotteshaus noch übrig geblieben ist. Eine Sisyphusarbeit, spannend wie eine Schatzsuche.
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Für den Beobachter ist es nur eine kleine, grüne Scherbe. Doch für die Archäologen ist es eine Sensation! Ein Stück Fensterglas der 1938 von den Nazis zerstörten Bornplatzsynagoge. Stück für Stück holen die Archäologen auf dem Joseph-Carlebach-Platz gerade das aus der Erde, was von dem prächtigen Gotteshaus noch übrig geblieben ist. Eine Sisyphusarbeit, spannend wie eine Schatzsuche.
„Die Glasscherben verraten uns, welche Farbe die Fenster der Synagoge hatten“, erzählt Bodendenkmalpfleger Kay-Peter Suchowa, der die Ausgrabungen im Grindelviertel (Rotherbaum) leitet. Für den Archäologen sind die Scherben das bisher Spektakulärste, was bei den Buddelarbeiten gefunden wurde.
„Die wenigen Fotos, die es von der Bornplatzsynagoge gibt, sind schwarz-weiß oder nachkoloriert“, sagt Suchowa. Daraus könne man nicht herleiten, welche Farbe die Fenster hatten.
Grabungen: Archäologen tragen wichtige Informationen über die Bornplatzsynagoge zusammen
Für die geplante Rekonstruktion der Synagoge könnten die neu gewonnenen Informationen daher wichtig sein. Auch, wenn noch gar nicht feststeht, wann der Bau beginnt und ob das Gebäude originalgetreu wiedererrichtet oder eine moderne Neufassung wird. Der Architekturwettbewerb soll noch in diesem Jahr beginnen.
Seit einer Woche sind Kay-Peter Suchowa und sein neunköpfiges Team, zu dem einige Studenten der Archäologie gehören, auf dem Joseph-Carlebach-Platz am Kratzen. Sie haben drei Felder der Größe drei mal fünf Meter abgesteckt, in denen sie Zentimeter für Zentimeter tiefer gehen und vorsichtig die Schichten abtragen. Aktuell haben sie eine Tiefe von 80 Zentimetern erreicht. Bis Anfang Januar werden die Gruben eine Tiefe von 2,5 Metern erreicht haben.
Joseph-Carlebach-Platz in Hamburg: Archäologen finden Glasscherben und Säulenkapitelle
Die Kosten für die Grabungsarbeiten sind mit 300.000 Euro veranschlagt. Darin ist auch die anschließende Nachbereitung und Auswertung eingerechnet. Viele Anwohner des Grindelviertels bleiben stehen, um den Archäologen beim Schaben zuzusehen und Fragen zu stellen. Auch Rabbiner Shlomo Bistritzky besuchte die Ausgrabungsstätte am Dienstag und sah sich die Funde an.
Neben den Glasscherben haben Suchowa und seine Leute auch zwei Säulenkapitelle gefunden, deren ionische Struktur noch gut zu erkennen ist. Zudem wurde eine vielversprechende Steinplatte freigelegt: „Das könnte eine Kellerdecke sein“, sagt Suchowa. Die Entdeckung von alten Gemäuern wäre für die Archäologen die Krönung ihrer Bemühungen, möglichst viel von der einstigen Bornplatzsynagoge freizulegen und dabei etwas über ihre Architektur und Geschichte zu erfahren.
Rituelles Bad: Ende Oktober soll die Mikwe freigelegt werden
Spannend wird es auch noch einmal Ende Oktober oder Anfang November werden, wenn ein viertes Feld geöffnet wird – die Stelle, an der die Mikwe war. Das rituelle Bad.
Besonders für die jüdische Gemeinde in Hamburg hat diese Freilegung eine große Bedeutung. Denn seit einer ersten Grabung 1982 ist klar, dass von der Mikwe noch mindestens eine Außenwand erhalten ist – und ein Teil des Reinigungsbeckens.
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Gefreut hat sich Archäologe Suchowa auch über den Fund von zwei kleinen Pfeifenstielen, die vielleicht zwei Männer in den 1920er Jahren nach dem Paffen achtlos auf den Boden geworfen haben. „Pfeifen verraten uns viel über die Geschichte des Tabakkonsums“, erzählt Suchowa mit leuchtenden Augen.
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Aber es gibt auch Funde, die bedrücken. Einer der Studenten bürstet einen schwarzen Klumpen aus der Erde. „Schlacke“, stellt er fachmännisch fest. Sie entsteht bei hohen Verbrennungstemperaturen – wie sie in der Reichspogromnacht am 9. November 1938, als die Synagogen in Deutschland brannten, erreicht wurden.
Der Klumpen – er ist Zeugnis für das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, das mit der Reichspogromnacht begann und mit dem Holocaust endete. Sechs Millionen Juden wurden ermordet.