Erektionsstörungen: Darum haben immer mehr junge Männer Potenzprobleme
Ärzte schlagen Alarm: Immer mehr junge Männer leiden unter Erektionsstörungen. Lange Zeit galten sie nur als Problem von Männern über 60 – und Betrunkenen. Wer keinen hochbekommt, galt als schwach und unmännlich – als Schlappschwanz eben. Als vor 24 Jahren die ersten Potenzmittel auf den Markt kamen, schienen die blutleeren Probleme des Alters endgültig gelöst. Geredet wird über das schambehaftete Thema allerdings immer noch wenig. Dabei gibt es mehr Betroffene als gedacht – wie das Beispiel eines jungen Hamburgers zeigt.
Sex ist für Tim – wie er heute sagt – einfach unmöglich. Die Reaktionen seiner Partnerinnen auf Tims schlaffe Reaktion reichten von Häme, Enttäuschung und Unverständnis bis hin zu Mitleid. „Ich habe mich irgendwann gedemütigt gefühlt und mich so geschämt“, erzählt der junge Hamburger.
Tims Leidensweg führte ihn durch unzählige Arztpraxen, auf dubiose Websites und letztendlich in ein „Gefängnis der Unsicherheit“. „Pro Jahr haben wir ca. 2500 bis 3000 junge männliche Patienten, die mit ihren Erektions- oder Ejakulationsbeschwerden zu uns kommen“, erzählt der Hamburger Experte Dr. Hartmut Porst. Ihm zufolge ist der Altersdurchschnitt der Patienten in den vergangenen Jahren enorm gesunken. „Vor 15 Jahren kamen überwiegend Männer über 50 zu uns. Mittlerweile ist der Altersdurchschnitt auf 30 gesunken. Viele meiner Patienten sind gerade erst volljährig und haben Probleme, wo wir lange dachten, dass sie fast nur alte Männer betreffen.“
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Ärzte schlagen Alarm: Immer mehr junge Männer leiden unter Erektionsstörungen. Lange Zeit galten sie nur als Problem von Männern über 60 – und Betrunkenen. Wer keinen hochbekommt, galt als schwach und unmännlich – als Schlappschwanz eben. Als vor 24 Jahren die ersten Potenzmittel auf den Markt kamen, schienen die blutleeren Probleme des Alters endgültig gelöst. Geredet wird über das schambehaftete Thema Erektionsproblem allerdings immer noch wenig – zu wenig. Denn gibt es mehr Betroffene als gedacht und vor allem können die Folgen Ausmaße annehmen, die weit über die Bettkante hinausreichen – wie das Beispiel eines jungen Hamburgers zeigt.
Tim weiß nicht weiter und wünscht sich zurück in „alte Zeiten“. Doch die alten Zeiten sind nicht lange her – um genau zu sein ein Jahr – und Tim ist kein alter Mann. Er ist Mitte 20, in der Blüte seines Lebens – wie er selbst halb ironisch, halb sehnsüchtig sagt. Seit einem Jahr hatte Tim keine Erektion mehr und das Leben, wie er es kannte und liebte, damit verloren.
Tim studiert in Hamburg, ist in einem Schwimmverein aktiv, sportlich, groß, Locken fallen ihm in die Stirn. Seine Stimme ist tief und er sieht – das lässt sich behaupten – gut aus. Er hatte immer viele Freunde, war sozial aktiv und hatte auch Kontakt zu Frauen. Doch all das scheint Tim nicht mehr wichtig zu sein. Seit Monaten trifft er sich nur noch selten mit Freunden und Frauen meidet er ganz, wenn er denn mal ausgeht.
Erektionsprobleme: Wenn Googeln nicht weiterhilft
„Als es die ersten Male passiert ist“, sagt Tim und erinnert sich an das Frühjahr 2021, „habe ich es auf den Stress oder die zwei Bier ein paar Stunden vorher geschoben. Ich wurde immer nervöser und konnte mich nicht mehr entspannen. Ich habe nur noch daran gedacht, dass ich letztes Mal keinen hochbekommen habe und gehofft, dass es heute nicht passiert.“
Doch es passierte immer wieder und nach drei Monaten entwickelte sich Tims immer schwerer zu verdrängendes Problem, zu einer Depression. Sex ist für Tim – wie er heute sagt – einfach unmöglich. Zu groß sei die Angst zu versagen und zu hoch der Druck, die Partnerin und sich selbst zu enttäuschen. Die Reaktionen auf Tims Erektionsprobleme reichten von Häme, Enttäuschung und Unverständnis bis hin zu Mitleid. „Ich habe mich irgendwann gedemütigt gefühlt und mich so geschämt.“ Tims Leidensweg führte ihn durch unzählige Arztpraxen, auf dubiose Websites und letztendlich in eine Depression, die er bei einem Psychotherapeuten behandeln lässt.
Erektionsprobleme: Immer mehr junge Männer betroffen
So wie Tim geht es immer mehr jungen Männern. Prof. Dr. Hartmut Porst beobachtet diese Entwicklung schon seit einigen Jahren. Der weltweit anerkannte Spezialist für Andrologie und Sexualmedizin leitet das European Institute for Sexual Health am Rothenbaum. „Pro Jahr haben wir in Hamburg ca. 2500 bis 3000 junge männliche Patienten, die mit ihren Erektions- oder Ejakulationsbeschwerden zu uns kommen.“ Laut Prof. Dr. Porst sei der Altersdurchschnitt der Patienten in den vergangenen Jahren enorm gesunken. „Vor 20 Jahren kamen überwiegend altere Männer zu uns – meist über 50 Jahre alt. Mittlerweile ist der Altersdurchschnitt auf ungefähr 30 gesunken. Viele meiner Patienten sind gerade erst volljährig und haben Probleme, wo wir lange dachten, dass sie fast nur alte Männer betreffen.“
Die Gründe für eine erektile Dysfunktion, so heißt das Leiden im Fachjargon, sind sehr verschieden, doch haben oftmals die gleichen Auswirkungen. „Viele junge Männer werden regelrecht depressiv, wenn sie keine Erektion mehr bekommen können“, sagt Prof. Dr. Porst dazu. Auch in Tims Leben hat sich plötzlich alles um dieses eine Problem gedreht. „Ich habe es erst versucht zu verdrängen, doch mit der Zeit mein Selbstbewusstsein verloren und auch, wenn sich nicht alles in meinem Alltag um Sex dreht, wurden meine Erektionsstörungen omnipräsent, und ich schaffte es kaum noch, unbeschwerte Momente zu genießen.“
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Die Hemmschwelle junger Männer, einen Urologen aufzusuchen, sei generell sehr hoch, meint auch ein Hamburger Sexualtherapeut, der anonym bleiben möchte. Und so suchte auch Tim erstmal im Internet nach Lösungen. Auf halblegalen Websites bestellte überteuerte Potenzmittel aus dem Ausland und wurde nur verzweifelter, weil sich seine Probleme trotzdem nicht lösten. Allgemein gilt: Rauchen, mangelnde Bewegung und eine schwache Beckenboden-Muskulatur können zu Erektionsproblemen führen. Urologen haben aber auch Stress, Leistungsdruck, Übermüdung, Geschlechtskrankheiten und sogar Haarwuchsmittel, wie Finasterid, als auslösende Faktoren ausgemacht.
Organischer Defekt oder reine Kopfsache
Vor dem wilden Ritt durch die Potenz-Apotheke gilt es laut Prof. Dr. Porst immer abzuklären, ob ein organischer Defekt, wie zum Beispiel ein venöses Leck vorliegt, oder psychische Gründe eine maßgebliche Rolle spielen. Begünstigt werden Erektionsstörungen zudem durch Bluthochdruck und Diabetes. Wichtig sei es, einen Spezialisten zu finden, der sich Zeit für eine ordentliche Diagnose nimmt und vor allem, das Leiden der jungen Männer ernst nehme, sagt Prof. Dr. Porst. Potenzmittel seien bestenfalls temporär gegen die Symptome einzusetzen, aber keine Medizin, ergänzt Porst.
Auch die Pornografie, die statistisch schon in den meisten Kinderzimmern zur Normalität geworden ist, kann laut zahlreicher Studien Potenzprobleme hervorrufen. Die starken visuellen Reize der Sex-Clips wirken im Belohnungszentrum des Gehirns und sorgen für eine Ausschüttung von Glückshormonen wie Dopamin. Das kann süchtig machen und natürliche körperliche Erregungsmuster können abstumpfen.
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Die MOPO führte das Gespräch mit Tim, zwei Monate vor dem Erscheinen dieses Artikels. Da in Tims Fall keine körperlichen Ursachen für seine chronischen Erektionsprobleme zu finden waren, war eine Therapie bei einem erfahrenen Psychiater die einzige Behandlungsmöglichkeit. Die MOPO konnte sich ein zweites Mal mit Tim unterhalten und erfahren, wie es Tim heute geht: „Vor zwei Monaten ging es mir richtig dreckig und auch wenn ich heute nicht gesund bin und noch lange nicht alles so wie früher ist, geht es mir besser.“
Tim sagt, ihn begleite immer noch die große Angst zu versagen und keine Erektion zu bekommen, wenn es zählt, aber beschreibt auch, was ihm am meisten hilft: „Seit einigen Wochen habe ich eine Freundin und begriffen, wie wichtig es ist, jemandem wirklich vertrauen zu können und sich wirklich fallen zu lassen. Ich fühle mich geborgen.“ Das und die Therapie, sagt Tim heute, mache den großen Unterschied und helfe ihm mehr, als alle Potenzmittel und Tipps aus dem Internet. „Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich nicht in diese Negativ-Spirale gerutscht und hoffe, dass allen, denen es ähnlich geht, wie mir verstehen, dass man sich helfen lassen muss.“