Er ist der kunterbunte Kiez-Kapitän
Cäptn Clepto ist ein erfreulicher Fall von Verhaltensauffälligkeit. Das sagt zumindest ein Kiez-Kumpel über den langhaarigen Typen mit Schnauzer. Im Morgenrock geziert von pinken Flamingos sitzt er in der „Küche für alle“ eines selbstverwalteten Wohnkollektivs auf St. Pauli und trinkt Kamillentee. Verhaltensauffällig? Das würde Cäptn Clepto so nicht sagen.
Cäptn Clepto ist ein erfreulicher Fall von Verhaltensauffälligkeit. Das sagt zumindest ein Kiez-Kumpel über den langhaarigen Typen mit Schnauzer. Im Morgenrock geziert von pinken Flamingos sitzt er in der „Küche für alle“ eines selbstverwalteten Wohnkollektivs auf St. Pauli und trinkt Kamillentee. Verhaltensauffällig? Das würde Cäptn Clepto so nicht sagen.
„Ich gehe beschwingt durchs Leben, umarme gerne Menschen und kleide mich farbenfroh. Mein Name ist James Bunt, um mal ganz witzig zu werden“, sagt Timo Strohmann (51), wie er mit bürgerlichem Namen heißt. Ein Lebenskünstler. Ein Paradiesvogel mit breitem Hamburger Slang, der sich selber als Botschafter des Skateboardens sieht und bekannt wurde als Galionsfigur des Streetwear-Labels Cleptomanicx.
Timo ist ein bunter Typ. Nicht nur was seine auffälligen Klamotten, Sonnenbrillen und Hüte angeht. Sein ganzes Leben scheint bunt. Dabei begann es damals in Altenholz-Klausdorf nahe Kiel gutbürgerlich. Timo wuchs als Einzelkind in einer katholischen Familie auf. Das Gymnasium verließ er, „weil es mir nicht lag“. Auf der Gesamtschule machte er sein Abitur. Danach folgten Ausbildungen zum Zahntechniker und Tischler, der Versuch eines Studiums und Basketball, American Football und Baseball. Letzteres sogar bis zur zweiten Bundesliga. Timo spielte bei den Düsseldorf Bandits und Dietrichsdorf Dukes in Kiel. „Wir haben auf dem Weg zu den Spielen immer Bong oder Joint geraucht und standen dann total bekifft auf dem Platz“, sagt er schmunzelnd. Das ging gut, bis er sich die Schulter kaputt machte.

Ihm blieb das Skateboarden. Damit hatte Timo schon früh angefangen. Auch heute fährt er noch Rollbrett, wie er es nennt. Allerdings surft er mehr auf der Straße als Tricks zu üben. „Das Rattern übern Asphalt, die Haare im Wind – das bringt schon Bock.“ Als er 2002 nach Hamburg kam, gründete er eine Gang mit 15 Skaterjungs – die „Cobracabana“. „Das ist eine Lebensphilosophie. Es gab sogar Tätowierungen davon.“ In mehreren anderen Städten wurden ebenfalls Chapter gegründet. Damals war er Gründungsältester der Bande, was ihm den Namen „Opa Cobra“ oder kurz „Opi“, seinen Lieblingskosenamen, einbrachte.
Cäptn Clepto: Timo Strohmann ist ein bunter Typ
Zu Cäptn Clepto wurde er erst Jahre später. Als Timo in der Karibik einen Tauchschein machte, schickte er seinem Freund Pitt, dem Gründer von Cleptomanicx, eine Karte. „Er bekam ein Foto von mir im ersten Hawaiihemd des Labels am karibischen Strand.“ Unterschrieben mit „Dein Cäptn“. Dieses Bild war es, das ihn zur Galionsfigur der „Marke von der Waterkant“ machen sollte, bekannt durch die Silhouette einer Möwe. Allerdings erst ein paar Wochen später. Als Timo von seiner Reise zurück war, erwartete ihn nicht viel. Kein Job, keine Freundin, keine Wohnung. So entschied er kurzerhand, mit Freunden abzuhauen.

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Auf unbegrenzte Zeit sollte es mit dem Auto durch Europa gehen. „Couchsurfen. Leuten auf den Sack gehen.“ Der Plan stand. Einzig das Auto machte Probleme. Es gab keins. Timo fuhr nach Kiel, um sich ein Fahrzeug anzuschauen. „Zwar fand ich kein passendes Auto, dafür aber Julia.“ Seine spätere Frau, die er in einem Club kennengelernt hatte. Er sagte die geplante Europa-Tour ab und fuhr fortan immer ins „Sasyl“. Sein Asyl in Sasel. Julias Elternhaus.

Zeitgleich meldete sich auf einmal Pitt und schlug ihm vor, als Cäptn Clepto die Marke zu repräsentieren. „Ich hatte richtig Bock drauf, Kapitän zu werden. Für Seemannsgarn und Rum und Ehre mache ich das gerne.“ Cäptn Clepto gab Interviews, war auf Plakaten zu sehen, beantwortete Leserbriefe und machte Werbespots. Legendär sein Auftritt in einem Astra-Spot, in dem es darum ging, wer zuerst da war: Das Huhn oder das Ei? Als die Werbeagentur anrief, „saß ich gerade auf Klo und hab ein Ei gelegt“, sagt Timo, ohne eine Miene zu verziehen. Wie passend. Da war sofort klar, dass er das Ei spielen wird. Es sollte ein Wettrennen zwischen Huhn („eigentlich war es ein Hahn“) und Ei werden.
Im Ei-Kostüm auf dem Skateboard
Ein Riesenspaß für Cäptn Clepto. Allerdings auch harte Arbeit. Zwölf Stunden lang musste er für den Dreh durch Hamburg jagen. „Immer wieder sollten wir die längste Rolltreppe Hamburgs gegen den Strom hochlaufen. Mit dem riesigen Ei-Kostüm konntest du nicht mal deine Füße sehen“, sagt Timo lachend. Das Ende vom Lied: Die Szene war nicht mal im Video zu sehen. Kritisch auch die Szene, in der Timo im Ei-Kostüm auf dem Skateboard fahren sollte. „Alle machten sich Sorgen, ob ich das hinbekomme. Um den Hahn Uke machte sich keiner Gedanken auf seinem Tretroller.“ Fatal: An der Davidwache krachte der Hahn derart hin, dass er im Krankenhaus am Kinn genäht werden musste. Da kam Timo glimpflicher davon. Das Ei hatte ihm bloß die Kniekehlen aufgescheuert. Trotzdem hätte es sich gelohnt. „Ich hatte so viele Kisten Astra wie nie zuvor.“

Die nächste große Anfrage kam vom „Pyjama-Hotel“ an der Reeperbahn. Cäptn Clepto sollte mehrere Zimmer gestalten. Als gelernter Tischler mit einem Händchen für Außergewöhnliches kein Problem. Er schuf Kajüten mit bunten, großformatigen Fotos von sich über dem Bett. Auch in der „Bretterbude“ in Heiligenhafen gestaltete er ein Zimmer. Demnächst folgt ein Hotel in Büsum. Zwar ist Timo nach wie vor als Cäptn Clepto unterwegs – aber nicht mehr als Galionsfigur von Cleptomanicx. „Die Marke wollte erwachsener werden und hat den Cäptn auf der einsamen Insel St. Pauli ausgesetzt.“
Von Bergstedt nach St. Pauli in die Wohlwillstraße
Da wohnt er jetzt. Nachdem er viele Jahre mit seiner Frau und den mittlerweile jugendlichen Töchtern Mathilda und Emily in einem Reihenhaus in Bergstedt gelebt hatte. „Den Schlüssel habe ich wieder abgegeben“, sagt Timo. Seitdem lebt er im „John-Lennon-Haus“. Einem roten Backsteingebäude im Hinterhof an der Wohlwillstraße. „Bisschen übertrieben der Name. Ich weiß nicht, ob John Lennon überhaupt mal im Haus war.“ Zumindest ziert das Foto des Musikers vor der Haustür ein Plattencover.

Ein Gebäude mit Historie. Ende der 80er wurde es besetzt. Nachdem mit dem Senat ein Nutzungsvertrag vereinbart worden war, durften die Bewohner das Haus in Eigenregie kernsanieren. Heute sind sie ein selbstverwaltetes Wohnkollektiv. In manchen Wohnungen leben Singles, in anderen Familien. Unten gibt es ein Gemeinschaftsbad, oben eine Gemeinschaftsküche. Und dann ist da noch die „Küfa“ – die Küche für alle. Das Herzstück. Ein großer Raum mit Sofas, Tischen und Stühlen, Bar und Kicker. Hier machen die Jugendlichen aus der Nachbarschaft jeden Freitag Essen für alle. „Das ist ein tolles Projekt. Eine Gemeinschaft, die man so nicht mehr kennt“, sagt Timo. Während des Lockdowns trafen sich die Bewohner jeden Dienstag in der „Küfa“. „Am Tuesday gab es was mit ‚t‘ – Toast Hawaii, Tortellini, Tortilla“, erklärt der Cäptn.
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Auch politische Treffen, Lesungen und Plenumsveranstaltungen finden statt. Aber da ist Timo raus. „Ich bin Politikverweigerer.“ Was nicht bedeutet, dass er keine Haltung zeigt. Auf seiner Kette steht „Alles allen“. „Ja, das wäre schön. Teilen ist eine gute Sache“, sagt er und berichtet von „Ramba Zamba“, dem Fanclub des FC St. Pauli, der sich bei „Viva con Agua“ engagiert. Vor Jahren war er das erste Mal mit seinem Manager von Cleptomanicx im Stadion. Cäptn Clepto machte sich extra eine Fahne aus einem Besenstiel und einem Bettbezug. „Piratenhut auf, voll aufgeregt und dann steh ich in der Südkurve und da brüllt einer: ‚Ey, nimm mal den blöden Hut ab. Ich kann nichts sehen.‘“ Der Cäptn ohne Hut flüchtete runter zum Zaun und lernte die Jungs von „Ramba Zamba“ kennen. „Seitdem steh’ ich bei jedem Spiel in der Südkurve“, sagt der Mann und ist schon wieder beim nächsten Thema.

Der Amazon-Prime-Serie „Luden“, in der er im kommenden Jahr zu sehen ist. Sechs Folgen über den Kiez der 80er Jahre. Über eine Bekannte war er beim Casting in München gelandet und gleich wieder rausgeflogen. „Ich sollte vorher nicht zum Friseur, war ich aber und habe mir die Kotletten ein wenig stutzen lassen.“ Ganz schlecht. Die Maske beschloss, dass er wieder nach Hause fahren darf. Abends kam der Anruf, dass er doch wieder dabei ist. So wurde Timo zu „Corvetten-Fred“. Ein Zuhälter aus dem Dunstkreis der GMBH. Der Beginn einer Filmkarriere? Ach wat. Mehr erleben, weniger arbeiten – das wünscht sich Timo für die Zukunft. „Ich war für einen Kapitän noch in zu wenig Ländern. Ein längeres Praktikum als Smutje wäre toll.“ Als Schiffskoch über den Atlantik ist sein Traum. Momentan arbeitet er als Kulissenbauer in Stellingen an dem Bühnenbild für das Musical „Aida“. Ein guter Job. Aber nichts für die Ewigkeit. Mal dies, mal das machen. Der Cäptn ist immer auf der Reise. Ankommen? „Man ist doch immer auf der Suche nach dem Juwel. Nach der Sternschnuppe.“
Steckbrief Timo Strohmann (51)

Spitzname und Bedeutung: Cäptn Clepto – entstanden ist der Name, als ich Galionsfigur von Cleptomanicx, der Marke von der Waterkant, wurde.
Beruf/erlernte Berufe: Kulissenbauer und Botschafter des Boardens, gelernter Zahntechniker und Tischler.
St. Pauli ist für mich … ein bunter, interessanter, facettenreicher Stadtteil mit Historie.
Mich nervt es tierisch, wenn … ich unrasiert bin.
Ich träume davon, … ein Segelboot zu klauen und abzuhauen.
Wenn mir einer blöd kommt, … dann mache ich ihn auf schlaue Art und Weise damit vertraut, dass Narrheit und Wahrheit dicht beieinander wohnen.
Zum Abschalten … fahre ich Fahrrad. Oder drücke einen Knopf.
Als Kind … habe ich oft am Fenster gesessen, rausgeschaut und geträumt – von fernen Galaxien, einem Universum, das uns alle zusammenschweißt.
Meine Eltern … waren so richtig fleißige, solide Leute. Nachkriegsgeneration.
Vom Typ her bin ich … maritim-maskulin.