Hamburger wollte Urlaub machen – und war plötzlich im Krieg
Eigentlich wollte er einfach nur Urlaub machen. Sein Ziel: die ukrainische Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer. Auf der Autofahrt dorthin machte er einen Stopp in Kiew und wurde just vom Ausbruch des Krieges überrascht. Mehr als eine Woche ist das jetzt her. Inzwischen hat es der Wilhelmsburger Martin Hagen wohlbehalten bis zurück in die Heimat geschafft. Gott sei Dank.
Aber hier bleiben? Das will er nicht. „Ich habe zwei Nächte gut ausgeschlafen. Jetzt fahre ich wieder los. Zurück in die Ukraine. Es gibt viel zu tun.“
Die MOPO hat Martin Hagen getroffen. Der 61-Jährige sammelt erfolgreich spenden, will diese in das umkämpfte Land bringen - und Flüchtlinge zurück. Ist das nicht gefährlich, in der Ukraine herrscht immerhin Krieg? Da hat der Mann eine klare, beeindruckende Meinung zu.
- Deutsch (Deutschland)
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Eigentlich wollte er einfach nur Urlaub machen. Sein Ziel: die ukrainische Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer. Auf der Autofahrt dorthin machte er einen Stopp in Kiew und wurde just vom Ausbruch des Krieges überrascht. Mehr als eine Woche ist das jetzt her. Inzwischen hat es der Wilhelmsburger Martin Hagen wohlbehalten bis zurück in die Heimat geschafft. Gott sei Dank.
Aber hier bleiben? Das will er nicht. „Ich habe zwei Nächte gut ausgeschlafen. Jetzt fahre ich wieder los. Zurück in die Ukraine. Es gibt viel zu tun.“
Krieg in der Ukraine: Hamburger Martin Hagen kehrt zurück
MOPO-Reporter lernen den 61-jährigen Mann zufällig vorm Verteilzentrum des Hamburger Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Rissen kennen, dort, wo all die Spenden lagern, die der ASB für seine Hilfsprojekte in aller Welt braucht.
Martin Hagen wird dort vorstellig, erzählt von seinen Plänen und bittet um Lebensmittel und Hygieneartikel und um alles, was der ASB sonst noch erübrigen kann. „Meine Absicht ist es, diese Hilfsgüter nach Lviv bringen“ – so nennen die Ukrainer Lemberg. „Auf dem Rückweg will ich Flüchtlinge mit nach Hamburg nehmen“, so Hagen.
Ob das nicht ganz schön riskant ist, im Auto allein durch ein Land zu fahren, in dem jederzeit und überall russische Raketen einschlagen könnten?, fragt der MOPO-Reporter. Hagen zuckt mit den Achseln. „Was soll ich stattdessen tun? Mich auf die Couch setzen und in die Glotze starren? Nein, da helfe ich lieber.“
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Martin Hagen ist gehbehindert und Frührentner. Früher war er als Speditionskaufmann tätig. Er erzählt, dass er vor einem Jahr Urlaub in Odessa gemacht habe, total beeindruckt gewesen sei von der Stadt und dem Land und dass er dort auch liebe, nette Menschen kennengelernt habe. „Tja, und deshalb hatte ich beschlossen, dieses Jahr erneut dort hinzureisen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es ausgerechnet jetzt Krieg gibt.“
Hamburger hilft Menschen in der Ukraine zur Flucht über die Grenze
Statt bei Kriegsausbruch sofort umzukehren und zurück nach Deutschland zu fahren, was wohl die meisten getan hätten, war Hagen so mutig, seine Fahrt von Kiew nach Odessa wie geplant fortzusetzen – aber nicht allein. „Ich habe Leute aufgelesen, die da am Straßenrand standen – Flüchtlinge, die eine Mitfahrgelegenheit suchten. „Platz genug habe ich ja im Auto“, sagt Hagen und zeigt ins Innere seines Fahrzeugs. „Außer mir passen da sechs Leute rein.“
Russische Soldaten seien ihm unterwegs Gott sei Dank nicht begegnet. „Dafür wurde ich bei der Ankunft in Odessa von ukrainischen Uniformierten mit vorgehaltener Waffe kontrolliert.“ Er sagt: „Da muss man cool bleiben. Ich habe gleich gemerkt, dass die viel nervöser waren als ich. Ich habe denen erklärt, wer ich bin und dass ich Flüchtlinge in Sicherheit bringen möchte. Das haben die dann kapiert, mir auf die Schulter geklopft und sich bei mir bedankt.“
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Damit war das Abenteuer aber immer noch nicht vorbei: Um möglichst vielen Menschen zu helfen und sie rauszuholen aus dem Land, hat er dann nach eigenen Angaben einen regelrechten Shuttle-Service eingerichtet. „Ich bin beispielsweise dreimal von Odessa bis zur moldawischen Grenze gefahren, und habe jedesmal Menschen mit rüber genommen.“ Schließlich sei er dann von Moldawien aus in die Heimat zurückgekehrt.
Ukraine-Krieg: Martin Hagen sieht sich nicht als Held
Soweit seine verblüffende Geschichte. Nach einer Pause meint er dann: „Aber ich bin nicht zum ASB gekommen, um Ehre und Ruhm einzuheimsen. Ich bin kein Held. Absolut nicht. Ich will einfach nur helfen und brauche Hilfsgüter soviel es geht.“
Und die kriegt er auch. Die ASB-Mitarbeiter – ziemlich beeindruckt von der ungewöhnlichen Geschichte des Mannes – versorgen ihn mit einer Palette Cornflakes, mit Damenbinden, Windeln, Babynahrung, Zahnbürsten und Seife. Günter Arndt, Mitglied im Vorstand des ASB-Ortsverbands Hamburg-Mitte, verabschiedet Hagen schließlich mit den Worten: „Kommen Sie bloß heil zurück!“
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Bevor er sein Auto startet und sich aufmacht Richtung Autobahn, wollen wir noch wissen, was eigentlich seine Frau dazu sagt, dass er sich so in Gefahr begibt. Er antwortet schmunzelnd: „Frau? Ja, hatte ich mal.“ Er sei geschieden, Kinder habe er auch keine, ja, nicht mal mehr einen Hund. „Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig.“
Was ist schon normal in diesen Zeiten?
Ein paar Stunden später, als MOPO-Reporter sich nochmal telefonisch bei Hagen melden, erzählt er, dass er gerade auf Höhe Witzhave sei. Es liegt noch eine ordentliche Wegstrecke vor ihm. Er verspricht, sich von unterwegs zu melden, uns zu berichten, wie es ihm geht und wie die Lage ist.
1210 Kilometer sind es bis Lviv. Unter normalen Umständen eine Reise von 13 Stunden. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten?