Ein Tag am Hauptbahnhof: Elend, Fäkalien und Vertreibung
Der Hamburger Hauptbahnhof: Ekel-Hotspot und Verkehrsknotenpunkt, gemieden und dennoch gebraucht. An keinem Bahnhof in Deutschland kommen mehr Menschen mit der Bahn an – und an keinem anderen Bahnhof in Deutschland passieren mehr Straftaten. Deshalb greift die Polizei jetzt massiv ein – und vertreibt dabei auch die, die sonst nicht wissen, wohin.
Der Hamburger Hauptbahnhof: Ekel-Hotspot und Verkehrsknotenpunkt, gemieden und dennoch gebraucht. An keinem Bahnhof in Deutschland kommen mehr Menschen mit der Bahn an – und an keinem anderen Bahnhof in Deutschland passieren mehr Straftaten. Deshalb greift die Polizei jetzt massiv ein – und vertreibt dabei auch die, die sonst nicht wissen, wohin.
Es ist ein gewöhnlicher Mittwoch auf dem Heidi-Kabel-Platz – also dem Platz hinter dem Hauptbahnhof, an den das „Ohnsorg-Theater“ und die Junge-Bäckerei grenzen, und der das erste ist, was viele Menschen in Hamburg sehen. Hier und da lagern Drogenabhängige, lehnen Obdachlose an den Wänden, während S-Bahn-Wache und Polizei mit wachsamen Augen patrouillieren.
Hauptbahnhof: „Die Leute haben sich nicht unter Kontrolle“
Der Hauptbahnhof ist kein Ort, an dem man sich gerne lange aufhält. „Abends würde ich hier nie alleine herkommen“, sagt Lilleson D., die ihre Mutter in Hamburg besucht. Die 18-Jährige überquert den Platz schnellen Schrittes, schaut kaum nach links und rechts. „Hier fühle ich mich als Frau nicht sicher. Vor allem in unbelebten Ecken.“
Tatsächlich: Mit 23.110 Delikten war der Hamburger Hauptbahnhof im Jahr 2022 bundesweit der mit der höchsten Kriminalitätsrate. Allerdings nur in absoluten Zahlen, denn er ist auch der Bahnhof mit den meisten Fahrgästen.

Ein paar Meter neben Lilleson, direkt vor dem Theater, stehen Taxen, die auf Fahrgäste warten. Einer der Fahrer, er möchte anonym bleiben, deutet angeekelt auf die öffentliche Toilette, die die Stadt für viel Geld auf den Platz gestellt hat. Beide Kabinen sind defekt.
- Marius Roeer Die beiden Kabinen des teuren Klos sind defekt – das wird auch der Besucher gleich feststellen.
Die beiden Kabinen des teuren Klos sind defekt – das wird auch der Besucher gleich feststellen.
Durch den Schlitz unter den Türen kann man sehen, dass der Boden voller Fäkalien ist. „Viele Leute hier haben sich selbst nicht mehr unter Kontrolle“, sagt der Taxifahrer. „Die machen überall hin. Die Bettler belagern regelmäßig uns Fahrer und die Gäste des ,Ohnsorg-Theaters‘.“

Das Volkstheater selbst äußert sich verhalten: „Dem ,Ohnsorg-Theater“ war immer klar, dass der Standort am Hauptbahnhof nicht nur die großen Vorteile einer zentralen Lage mit sich bringt, sondern dass wir auch bestimmte ,Kehrseiten‘ in Kauf nehmen müssen“, schreibt eine Sprecherin. „Natürlich wollen und müssen wir auch dem Bedürfnis unserer Besucher nach Sicherheit und einem angemessenen Maß an Sauberkeit gerecht werden. Das können wir nur leisten, wenn es Bezirksamt und Ordnungsdiensten gelingt, die Situation am Bahnhof im Griff zu haben.“
Ehrenamtlicher: „Täglich neue Obdachlose auf der Straße“
Die aktuelle Strategie der Behörden lautet offenbar: Vertreibung. Gerade erst wurden ehrenamtliche Helfer darum gebeten, ihre Spenden nicht mehr am Hauptbahnhof zu verteilen. Die Begründung: eine angebliche „Überversorgung“. An diesem Mittwoch sind Polizei und Bundespolizei mit mehreren Mannschaftswagen gekommen. Um die Einhaltung des seit Oktober geltenden Waffenverbotes zu kontrollieren, sagen sie. Um noch mehr Obdachlose vom Hauptbahnhof zu vertreiben, sagen ehrenamtliche Helfer zur MOPO.
Die MOPO-Reporter versuchen mit Obdachlosen am Hauptbahnhof ins Gespräch zu kommen. Es gestaltet sich schwierig. Entweder sind die Menschen augenscheinlich zu betrunken, schlafen oder wollen nicht reden.

Die Tages-Bilanz der Polizisten: sechs Verstöße gegen das Mitführverbot von Waffen – und 56 Aufenthaltsverbote beziehungsweise Platzverweise. Viele davon dürften an Obdachlose gegangen sein.
„Das Problem wird aber nicht bekämpft, nur verlagert: in die Lange Reihe und die Adenauerallee, auf die Reeperbahn. Altona ächzt“, sagt Ronald Kelm vom Hilfsangebot „Gesundheitsmobil“. „Die Zahl der Obdachlosen steigt: Jeden Tag sehen wir neue Leute auf der Straße.“
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Seine Forderung: „Es muss mehr Straßensozialarbeiter geben, und die Kommunikation der Ehrenamtlichen mit der Stadt muss besser werden. Die ist so schlecht wie noch nie. Außerdem muss das Winternotprogramm ausgebaut werden – 800 Plätze sind ein Witz.“
Blumengeschäft: „Wir werden immer wieder bestohlen“
Obdachlosigkeit, Alkohol und Drogen: Auch das Blumengeschäft Karaolan am Steintorplatz leidet darunter. Es befindet sich direkt vor dem Eingang zur U-Bahn, die Blumen sind ein farbenfroher Hingucker inmitten all des Schmutzes. Hinter dem Tresen sitzt der Besitzer und pult einen Granatapfel. Er führt das Geschäft seit 42 Jahren und möchte nicht fotografiert werden – aus Angst, sagt er.
Als die MOPO ihn auf die Sicherheitsproblematik anspricht, wird er wütend. „Ständig werden wir bestohlen, heute morgen haben sie mein Telefon geklaut. Sie kacken uns in den Laden“, sagt er. „Die Polizei braucht eine halbe Stunde, eh sie da ist. Die Situation ist völlig außer Kontrolle.“
- Marius Roeer Der Blumenhändler Karaolan ist genervt von der Situation am Hauptbahnhof.
Der Blumenhändler Karaolan ist genervt von der Situation am Hauptbahnhof. - Marius Roeer Astrid Vollmer (45) findet den Hamburger Hauptbahnhof in Ordnung: Sie ist aus Frankfurt ganz andere Szenen gewohnt.
Astrid Vollmer (45) findet den Hamburger Hauptbahnhof in Ordnung: Sie ist aus Frankfurt ganz andere Szenen gewohnt.
Jeder Angesprochene ist unzufrieden mit der Sicherheitslage am Hauptbahnhof. Nur die Fuldaerin Astrid Vollmer (45), die gerade mit einem großen Koffer den Heidi-Kabel-Platz überquert, zuckt bloß mit den Schultern. „Ich fahre regelmäßig vom Bahnhof Frankfurt ab. Dagegen ist das hier gar nichts“, sagt sie.