Eklat am Hauptbahnhof: Polizei stoppt Lebensmittelverteilung an Obdachlose
Krisenstimmung am Hamburger Hauptbahnhof: Am Samstagmittag ist es zu einem Streit zwischen Vertretern einer Hilfsorganisation für Obdachlose und den Ordnungshütern gekommen. Es kam zu chaotischen Situationen bei der Lebensmittelausgabe, als die Polizei die Spenden beschlagnahmte. Erst flogen die Fetzen, dann flossen die Tränen – aber das war noch nicht das Ende.
Krisenstimmung am Hamburger Hauptbahnhof: Am Samstagmittag ist es zu einem Streit zwischen Vertretern einer Hilfsorganisation für Obdachlose und den Ordnungshütern gekommen. Es kam zu chaotischen Situationen bei der Lebensmittelausgabe, als die Polizei die Spenden beschlagnahmte. Erst flogen die Fetzen, dann flossen die Tränen.
Sie hatten Kisten voll mit Obst und Gemüse mitgebracht, mit Brot und Kuchen, Joghurt oder Dosenfleisch. Gegen 12.30 Uhr begannen die Mitarbeiter des Vereins „Schau‘ nicht weg“ ihre Tische auf dem Hachmannplatz aufzubauen, um wie jeden Samstag Sachspenden verschiedener Supermärkte und der Hamburger Tafel an Bedürftige zu verteilen.
Bezirksamt: Am Hauptbahnhof gibt es eine Überversorgung für Obdachlose
Doch anders als sonst, standen diesmal Behördenvertreter und zahlreiche Einsatzkräfte der Polizei bereit, um die Aktion zu verhindern. Denn: Der Bezirk Mitte hatte den Verein aufgefordert, auf die Lebensmittel-Verteilung zu verzichten. Begründung: „Es gibt rund um den Hauptbahnhof eine große Zahl an Angeboten, insoweit erleben wir dort derzeit eher eine Überversorgung“, so hatte es Amtsleiter Ralf Neubauer am Freitag formuliert.
Aus Sicht des Bezirks könnte die Spendenverteilung auch an einem anderen Ort oder Stadtteil stattfinden und wäre dort sogar noch sinnvoller. Jule Wennmacher, Geschäftsführerin von „Schau‘ nicht weg“, sieht das komplett anders. „Viele unserer Gäste sind alt oder krank. Sie können sich nicht gut bewegen und brauchen diese zentrale Lage, um sich mit lebensnotwendigen Dingen zu versorgen“, so Wennmacher.

Da der Bezirk die Unterlassungsaufforderung erst zu einem Zeitpunkt abgegeben hatte, als die Spenden – darunter frische und verderbliche Lebensmittel – bereits eingesammelt waren, wollte Wennmacher sich so kurzfristig nicht von der Verteilung abbringen lassen. „Wir können die Lebensmittel im Wert von mehreren tausend Euro doch nicht einfach wegschmeißen!“, erklärte sie resolut.
Chaotische Situation bei der Lebensmittelausgabe am Hamburger Hauptbahnhof
Und so stellten sie und ihre Mitarbeiter immer neue Kisten auf die Tische, während die Polizeibeamten anfingen, die Lebensmittel zu konfiszieren und in einen Einsatzwagen zu schleppen. Eine chaotische Situation.

Hektisch wurden Telefonate geführt. Zur Vermittlung wurde die behördenübergreifende Task Force hinzugezogen. Doch auch die ersten Gespräche zwischen dem Task-Force-Koordinator Joscha Heinrich und Jule Wennmacher brachten kein Ergebnis. Mit Blick auf die rund 30 Obdachlosen, die auf ihr Essen warteten, wollte Wennmacher sich nicht vertreiben lassen.
Schließlich gab es einen Kompromiss: Die Ordnungshüter schlugen Wennmacher und ihrem Team eine nahegelegene Fläche an der Ecke Holzdamm/Ernst-Merck-Straße vor, die allerdings ein Privatgrundstück ist. Sollte es Beschwerden geben, müsste der Verein den Parkplatz sofort räumen, so die strenge Ansage des Einsatzleiters.
Kompromisslösung: Essensausgabe fand auf einem nahegelegenen Privatgrundstück statt
Jule Wennmacher brach vor Erleichterung in Tränen aus und bedankte sich für die Lösung. Und so zogen die Helfer samt Polizeibegleitung zu der kleinen Asphaltfläche nahe den Bahngleisen, wo binnen weniger Minuten die Essens- und Kleiderausgabe neu aufgenommen wurde.

Auch die Bedürftigen zeigten sich beruhigt. „Ich komme samstags immer aus Bergedorf her“, erzählt Harry (75). Er habe sein Leben lang einen guten Beruf gehabt und sei selbstständig gewesen. Doch dann kam die Scheidung von seiner Frau. Dazu Unterhaltsverpflichtungen. Das Geld schmolz dahin. Heute reicht seine Rente kaum zum Leben. Man sieht es Harry an: Er ist sehr dünn.
Dankbar nahm Harry die Tüte mit dem Kartoffelpüree, dem Gemüse und Toastbrot entgegen. Genau wie Jette, die in einem ähnlichen Alter wie Harry ist und jedes Mal aus Ratzeburg zur Spendenverteilung kommt. „Für mich ist es wichtig, dass das am Hauptbahnhof stattfindet“, sagt sie.
Zukunft ungewiss: Wo bekommen die Bedürftigen nächste Woche ihre Lebensmittel?
Der Besitzer des Privatgrundstücks hat sich am Samstag nicht gemeldet. Die Essensverteilung konnte problemlos zu Ende gebracht werden. Ob das allerdings nächste Woche nochmal möglich sein wird, ist unklar. Klar ist nur: Die Ordnungskräfte werden wieder da stehen. „Der Bezirk hat die Spendenverteilung bisher geduldet. Aber die Situation vor Ort hat sich verändert“, erklärt Joscha Heinrich. „Der Hauptbahnhof ist stark frequentiert. Wenn hier auch noch Tische stehen, kommen die Reisenden nicht mehr durch. Wir müssen das Wegerecht durchsetzen.“
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Am Dienstag soll es nun noch einmal ein Gespräch zwischen dem Verein und dem Bezirk geben. Jule Wennmacher hofft jedoch weiter, dass sie mit ihrer Hilfsaktion in der Nähe des Hauptbahnhofs bleiben kann. Sie will den Eigentümer des Parkplatzes ausfindig machen und um Erlaubnis fragen. Wennmacher: „Es ist ja nur einmal die Woche für zwei Stunden. Und wir verlassen die Fläche nicht, ohne alles sauber zu machen. Wir hinterlassen keine Spuren.“