Eine Kindheit in Altenwerder: „Wir geben die Reste des Dorfes nicht kampflos auf!“
Sie ritt auf dem Rücken ihres Ponys „Pfanni“ durchs Dorf und lief mit Schlittschuhen über die zugefrorene Süderelbe ganz nach Finkenwerder. Solche Bullerbü-Zeiten hat Christel Wulff (67) in ihrer Kindheit in Altenwerder noch erlebt. Heute steht sie kampfbereit vor der Kirche, dem einzigen übriggebliebenen Gebäude ihres Geburtsortes. Nach dem Willen des Senats sollen nun auch noch die letzten grünen Reste von Altenwerder Logistik-Unternehmen weichen – und Christel Wulff und ihre Mitstreiter mobilisieren den Widerstand.
Sie ritt auf dem Rücken ihres Ponys „Pfanni“ durchs Dorf und lief auf Schlittschuhen über die zugefrorene Süderelbe ganz nach Finkenwerder: Solche Bullerbü-Zeiten hat Christel Wulff (67) in ihrer Kindheit in Altenwerder noch erlebt. Heute steht sie kampfbereit vor der Kirche, dem einzigen übriggebliebenen Gebäude ihres Geburtsortes. Nach dem Willen des Senats sollen nun auch noch die letzten grünen Reste von Altenwerder für Logistikflächen weichen – und Christel Wulff und ihre Mitstreiter mobilisieren den Widerstand.
Wer die Kirche St. Gertrud in Altenwerder besucht, der findet sich in einer kleinen grünen Idylle mit knorrigen überwucherten Apfelbäumen, malerischen Wassergräben und einem verwunschenen Friedhof wieder. Im Laufe von Jahrzehnten ist hier ein unberührtes Biotop gewachsen. Doch der Ort ist lärmumtost, denn was der Besucher wegen des üppigen Grüns nicht sieht: ganz nah im Osten liegt das HHLA-Terminal Altenwerder und im Westen die A7. Hinter dem 65 Meter hohen Kirchturm ragt riesig der Rotor einer 200 Meter hohen Windkraftanlage auf.
Altenwerder fiel der Hafenerweiterung zum Opfer
Dieses kleine grüne Gebiet, das „Altenwerder Kirchtal“ rund um die Kirche sowie ein weiterer grüner Streifen, die „Bullerrinne“, blieben vor 20 Jahren verschont, als Altenwerder der Hafenerweiterung zum Opfer fiel. Jetzt sollen auch sie für Containerlager und Güterschienen genutzt werden. Außerdem sind fünf weitere Windkraftanlagen geplant. Nur Kirche und Friedhof bleiben erhalten, wie dicht genau die Aufschüttung heranreichen wird, das planen Umwelt- und Wirtschaftsbehörde gerade.

Christel Wulff und etliche Mitstreiter wollen noch versuchen, das zu verhindern. „Diese Flächen sind so wertvoll“, sagt sie. Es gab bereits erste Treffen, um Proteste zu organisieren. Für Wulff wiederholt sich etwas, das lange ihr Leben prägte. Der Kampf gegen die Zerstörung von Altenwerder. Denn sie und ihr Lebensgefährte gehörten zu den letzten, die den Ort Ende der 90er nach jahrzehntelangem Protest verließen.
Grünes Biotop in Hamburg-Altenwerder bedroht
Die Räumung dieses einstmals lebendigen kleinen Dorfes für ein Containerterminal zog sich über Jahrzehnte hin, das Sterben des Dorflebens auch. Die Schule wurde geschlossen, der Friseur und auch der Zahnarzt waren irgendwann weg. „Als wir einmal nach dem Urlaub nach Hause kamen, da hatte die Stadt eine Kolonne Arbeiter durch den Ort geschickt. Die hatten alle Bäume an der Straße runtergeschnitten, ihnen die Zweige gekappt“, erinnert sich Christel Wulff an die letzten Jahre. Da fuhren auch schon die Kipplaster durch den Ort und lieferten das Material für die gigantische Aufschüttung der Hafenflächen. Teile Altenwerders versanken vor ihren Augen unter meterhohem Sand.

Und damit verschwanden auch Orte, an denen Wulff und ihre drei Geschwister ihre Kindheit verbrachten. Eine Kindheit auf dem Bauernhof, die von Freiheit und Natur geprägt war. „Wir spielten viel an der Elbe, ich bin mit meinem Pony geritten und war in einer Mädchen-Fußballmannschaft.“ In kalten Wintern konnte man mit Schlittschuhen auf der Alten Süderelbe bis nach Finkenwerder laufen.
Auch an Besuche im lichtdurchfluteten Haus des bekannten Altenwerder Malers Johannes Holst nebenan erinnert sie sich, eines seiner Bilder mit Hadag Fähre am Anleger Altenwerder hängt heute in ihrem Wohnzimmer. Es gelangte als Bezahlung für Fisch-Rechnungen in ihre Familie. Holsts Motive von Segelschiffen auf hoher See sind mittlerweile in die ganze Welt verkauft worden und kommen heute für fünfstellige Summen in den USA unter den Hammer.
2002 ging das Container-Terminal in Betrieb
Wulff und ihr Lebensgefährte Werner Boelke gehörten mit dem Fischer Heinz Oestmann zu den letzten, die nach langem Kampf Altenwerder verließen. Nur noch etwa vier Häuser waren bewohnt, als sie 1998 die Segel strichen und nach Finkenwerder zogen. Da war ihr Sohn sieben Jahre alt. Seinen ersten Aufsatz hat sie noch in der Schublade, er trägt den Titel: „Die Schweine im Hamburger Rathaus gehören verkloppt“.
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„Wir haben lange gekämpft. Aber vielleicht habe ich auch immer geahnt, dass wir es nicht schaffen“, denkt Wulff heute. 2002 ging das Container-Terminal in Betrieb. Die Kirche, die immer auch der Ort des Widerstandes war, die gibt es noch heute und auch die Glocken läuten noch regelmäßig dank des ehrenamtlichen Küsters Georg Schindler (69).
Alle paar Wochen gibt es auch einen Gottesdienst vor Ort. Der nächste ist zum Erntedank am 1. Oktober. Besucher können sich danach auch Fotos aus dem alten Dorf und einen Doku-Film ansehen. Damit die Erinnerung an Altenwerder lebendig bleibt. Christel Wulff bleibt optimistisch, auch wenn der Senat seine Beschlüsse gefasst hat: „Auch wenn wir einmal unterlegen sind, ich glaube, dass wir die letzten Reste von Altenwerder jetzt noch retten können.“