Leben retten im Minutentakt: Der alltägliche Wahnsinn in einer Hamburger Notaufnahme
Die Arbeit als Pfleger in Notaufnahmen ist ein echter Knochenjob. Ob Verbrennungen, Kreislaufzusammenbrüche, lebensbedrohliche Entzündungen oder Wespenstiche – die Arten der Verletzungen sind vielfältig. Sharon Uhlemann (30) leitet die Pflege in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Bethesda Krankenhauses in Bergedorf. Während ihrer Schicht steht sie ständig unter Strom und hat keine Zeit für eine Pause – auch nicht, wenn ein Patient sein Leben lässt. Die MOPO hat sie einen Tag lang begleitet.
Als Sharon Uhlemann an diesem Montagmorgen ihre Schicht beginnt, wird sie von verzweifeltem Babygeschrei empfangen. Hinter einer Tür kümmern sich Uhlemanns Kollegen um einen Säugling, dessen Brust mit heißem Öl verbrüht wurde. Doch die Pflegerische Leiterin hat keine Zeit, sich mit diesem Fall zu beschäftigen, denn im Flur der ZNA liegen weitere Patienten und warten.
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Die Arbeit als Pfleger in Notaufnahmen ist ein echter Knochenjob. Ob Verbrennungen, Kreislaufzusammenbrüche, lebensbedrohliche Entzündungen oder Wespenstiche – die Arten der Verletzungen sind vielfältig. Sharon Uhlemann (30) leitet die Pflege in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Bethesda Krankenhauses in Bergedorf. Während ihrer Schicht steht sie ständig unter Strom und hat keine Zeit für eine Pause – auch nicht, wenn ein Patient sein Leben lässt. Die MOPO hat sie einen Tag lang begleitet.
Als Sharon Uhlemann an diesem Montagmorgen ihre Schicht beginnt, wird sie von verzweifeltem Babygeschrei empfangen. Hinter einer Tür kümmern sich Uhlemanns Kollegen um einen Säugling, dessen Brust mit heißem Öl verbrüht wurde. Doch die Pflegerische Leiterin hat keine Zeit, sich mit diesem Fall zu beschäftigen, denn im Flur der ZNA liegen weitere Patienten und warten.
Das Bethesda Krankenhaus in Hamburg-Bergedorf versorgt jährlich mehr als 14.000 stationäre und teilstationäre sowie 20.000 ambulante Patienten, hauptsächlich aus dem Osten Hamburgs und dem Süden Schleswig-Holsteins. Viele davon kommen zuerst zu Uhlemann in die Notaufnahme. Etwa 80 bis 100 sind es täglich. Das Baby wird nicht im Bethesda bleiben – hier gibt es keine Kinderstation und so geht es nach der Erstversorgung mit dem Rettungswagen (RTW) in eine andere Klinik.
Notaufnahme in Hamburg: Jeder Handgriff muss sitzen
Als Pflegerische Leiterin muss Uhlemann nicht nur von ihren Kollegen in der ZNA, sondern auch von außerhalb gut zu erreichen sein. In der Tasche ihres blauen Kittels liegen deshalb zwei Telefone, von denen etwa alle zehn Minuten eins klingelt. So wie jetzt: Der Rettungsdienst kündigt eine 62-jährige Frau mit starken Bauchschmerzen und Kreislaufproblemen an.
Etwa zeitgleich mit dem RTW samt Patientin trifft ein Hubschrauber mit dem zuständigen Arzt ein, der gerade in einem anderen Krankenhaus war. Das laute Brummen während der Landung ist Uhlemann schon gewohnt, und sie versorgt in der Zwischenzeit noch einen Patienten mit einem Schwächeanfall. Uhlemann ist schnell und gründlich. Während sie dem 80-Jährigen Blut abnimmt und die Vitalwerte misst, nimmt sie sich Zeit für ein kurzes privates Gespräch. Der Patient ist nicht zum ersten Mal hier. Er hat Bronchialkrebs.
Pflegedienst in der Notaufnahme – ein Knochenjob
Die 62-Jährige wird in den Behandlungsraum gefahren und plötzlich versammeln sich mindestens fünf Pflegekräfte und Ärzte um das Bett. Zugänge werden gelegt, Blut abgenommen, Werte gemessen. Ein Arzt führt einen Ultraschall durch und entdeckt die stark entzündete Gallenblase. Es liegt bereits eine Blutvergiftung vor. Uhlemann ist hochkonzentriert, hantiert mit Schläuchen und Spritzen und ruft hier und da eine Anweisung. Die Intensivstation wird informiert, ein OP angemeldet.
„Das Pflegepersonal hat einen besseren Überblick über die Situation und die Patienten als die Ärzte“, sagt Uhlemann. Im sogenannten „Stützpunkt“ im Zentrum der Notaufnahme bringen die Pfleger die Ärzte auf den Stand, während Anzeigen leuchten und Monitore piepen. „Für diesen Druck und Stress ist nicht jeder geeignet“, sagt Uhlemann. Das hier sei ein Knochenjob, der viel Fachwissen erfordere – jedoch leider von der Gesellschaft nicht als solcher anerkannt werde. „Viele Patienten behandeln uns von oben herab, betrachten uns als Hotelpersonal.“ Von der Politik gebe es statt Anerkennung – zum Beispiel in Form angemessener Boni – und einem besseren Personalmanagement im Gesundheitssystem immer noch mehr Aufgaben.
Manche Fälle lassen die Pflegerin auch am Feierabend nicht los
Uhlemann wird beim Erzählen jäh vom nächsten Fall, einer auf einer Liege eintreffenden Patientin, unterbrochen. Das Gesicht der alten Frau ist fahl und sie kann kaum noch sprechen. Für Uhlemann ist der Fall klar. „Ihre Zeit ist gekommen und die Angehörigen sind in Panik geraten. Unsere Aufgabe ist es nun, ihr einen möglichst angenehmen Abschied zu bereiten“, erklärt die Pflegerin. Sie bedauere es, dass die Frau nicht zu Hause sterben darf.
Auch nach Feierabend beschäftigen Uhlemann solche Geschichten. Besonders schlimm ist es, wenn alle Wiederbelebungsversuche scheitern – „der Jüngste, den ich gehen lassen musste, war 32“, sagt Uhlemann.
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Sie wechselt das Zimmer und übernimmt die Triage. Was viele als Horror-Begriff aus der Corona-Zeit kennen, ist in den Notaufnahmen seit Jahren Routine. Die Pfleger haben genau zehn Minuten pro Patient, um die Dringlichkeit der Behandlung einzuschätzen. Brauchen sie länger, gibt es Abzüge von der Krankenkasse.
Ein Mann um die 60 wurde von einer Wespe in die Zunge gestochen und klagt über Schmerzen, die bis in den Nacken ziehen. Geschwollen ist noch nichts, aber Uhlemann und der Arzt behalten ihn zur Kontrolle noch ein wenig hier. Währenddessen trifft ein 16-jähriges Mädchen ein, das wegen starker Bauchschmerzen von ihrer Hausärztin in die Notaufnahme geschickt wurde. Uhlemann nimmt Blut ab, stellt Fragen und trägt alles schnell ins System ein. Ob sie sich manchmal hinsetze, etwas esse oder zur Toilette gehe? „Diese Bedürfnisse stellt man häufig hinter die der Patienten.“
Hoher Krankenstand – Pfleger opfern freie Tage
Als Pflegerische Leiterin muss die 30-Jährige auch Dienstpläne schreiben und steht angesichts von Krankheitsausfällen und kaum vorhandenem Nachwuchs immer wieder vor schier unlösbaren Aufgaben. Oft müssen die Pfleger freie Tage opfern, weil einfach zu wenig Personal da ist. „Die Politik muss diesen Job wieder attraktiver machen“, sagt Uhlemann. Im Mai hatte sie bereits eine Petition dafür gestartet.
Denn man könne stolz auf diesen Beruf sein, sagt Uhlemann, und er mache Spaß: „Ich glaube, nirgends hat man so viel Abwechslung und Bewegung und kann gleichzeitig so viel Gutes tun. Zudem ist die Teamarbeit großartig“, sagt sie und strahlt. „Deshalb werde ich weiter für bessere Bedingungen kämpfen. Ein Jobwechsel ist keine Option. Ich mache das, bis ich alt bin.“
Und mit diesen Worten öffnet Sharon Uhlemann die Tür und bittet den nächsten Patienten ins Behandlungszimmer.