Ein Panzer schoss ihm das Bein weg: Warum der Ukrainer Yuriy jetzt in Hamburg ist
Alle drei Wochen landet auf dem Hamburger Flughafen eine besondere Maschine aus der Ukraine: Ihre Passagiere können nicht selbstständig aussteigen. Sie müssen hinausgetragen werden. Viele von ihnen im Liegen. Es sind Soldaten, die im Krieg mit Russland schwer verletzt wurden. Und die zu Hause nicht behandelt werden können, weil die Krankenhäuser voll sind. In Hamburg finden sie Hilfe – und versuchen zu verarbeiten, was ihnen passiert ist.
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Alle drei Wochen landet auf dem Hamburger Flughafen eine besondere Maschine aus der Ukraine: Ihre Passagiere können nicht selbstständig aussteigen. Sie müssen hinausgetragen werden. Viele von ihnen im Liegen. Es sind Soldaten, die im Krieg mit Russland schwer verletzt wurden. Und die zu Hause nicht behandelt werden können, weil die Krankenhäuser voll sind. In Hamburg finden sie Hilfe – und versuchen zu verarbeiten, was ihnen passiert ist.
Ein grauer, trüber Tag in Mümmelmannsberg. Zwischen den Hochhausblöcken nahe der U-Bahn-Station sitzen Pavlo, Yuriy, Vasyl und Igor. Einer von ihnen ist im Rollstuhl. Er hat nur ein Bein. Die anderen haben Krücken neben sich lehnen.
Ukrainische Kriegsverletzte: Sie haben dem Tod ins Auge geblickt
Die Männer rauchen. Es wird nicht viel gesprochen. Das ist auch nicht nötig. Denn die vier haben Ähnliches durchgemacht. Sie haben dem Tod ins Auge geblickt. Und sind knapp davon gekommen. Hier in der Fremde geben sie sich gegenseitig Halt.
„Ich gehörte zur Vorhut und lag im Schützengraben“, erzählt Yuriy Basistyi. Der 40-Jährige ist eigentlich Tischler, kommt aus Chmelnyzkyj, und hat sich nach der russischen Invasion freiwillig gemeldet. Sechs Monate Soldatenausbildung. Dann ging es schon an die Front.
Eine Drohne habe ihn und seine fünf Kameraden im Graben erspäht. Dann kam der Panzer. Es krachte. Wurde heiß. Dann still. Jemand schrie: „Ein Verletzter!“ Gemeint war er, Yuriy. Sein Nebenmann wurde ebenfalls verletzt. Ein weiterer Kamerad war tot.
Ukrainischer Soldat: Seine Kameraden mussten ihn sieben Kilometer zum Fahrzeug tragen
Yuriy verlor bei dem Angriff sein Bein. Vielleicht hätte es gerettet werden können. Doch Yuriy musste von seinen Kameraden erst sieben Kilometer getragen werden bis zum Fahrzeug. Dann fuhren sie zehn Stunden bis zum nächsten Krankenhaus. Das Bein war in der Zeit abgebunden. Und als sie ankamen, war es blau. Es blieb nur die Amputation. Am 29. November wurde er nach Hamburg geflogen. Denn auch sein Arm ist kaputt.
Im Diakonieklinikum wurde ihm eine Metallplatte eingesetzt. Die Ärzte hoffen, dass der Ellbogenknochen wieder zusammenwächst. Damit Yuriy nicht noch eine zweite Prothese braucht. Sobald er die Beinprothese bekommt, wird er mit der Physiotherapie beginnen. Seine Frau ist bei ihm. Die drei Kinder (20, 14 und 12) sind seit November bei der Oma.
Yuriy ist einer von 150 ukrainischen Kriegsverletzten, die seit dem 24. Februar 2022 zur Behandlung nach Hamburg gebracht worden sind. Bundesweit sind es rund 1000. Damit leistet Deutschland wie alle anderen EU-Staaten einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen die russische Invasion. 75 Prozent der Transportkosten werden von der EU übernommen, 25 Prozent trägt der Bund. Die Verteilung erfolgt über das Kleeblattverfahren gleichmäßig entsprechend der Kapazitäten vor Ort.
Kosten für die Behandlung der ukrainischen Soldaten werden von den Krankenkassen getragen
Laut Bundesgesundheitsministerium ist wegen der typischen Verletzungsmuster von Schuss-, Explosions- und Sprengverletzungen, Verbrennungen oder dem Verlust von Gliedmaßen eine intensive medizinische Betreuung notwendig, die unter anderem auch durch den Einsatz von Sonderimplantaten sehr kostspielig ist. Hinzu kommen häufige Infektionen mit multiresistenten Keimen, deren Behandlung zeitintensiv und teuer ist.
Stellt die Behandlung der Ukrainer eine Belastung für das hiesige Gesundheitssystem dar? Die Hamburger Sozialbehörde versichert, dass es nicht zu Verzögerungen bei planbaren OPs kommt. Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen bzw. von den Kommunen. Um die Verletzten selbst und ihre Unterbringung kümmert sich der Verein „Feine Ukraine“.
Verletzter ukrainischer Soldat will schnell zurück an die Front und weiterkämpfen
Wegen der zunehmenden Brutalität durch Streumunition und Minen wurden die Verletzungen der angelieferten Soldaten zuletzt schwerer. Pavlo Skrypel fuhr am 20. August 2023 mit zwei Kameraden im Militärfahrzeug über eine Mine. Die Splitter stecken noch immer überall im Körper des Automechanikers aus Kiew. In Hamburg erhielt er eine neue Hüfte, weil seine durch den Sprengsatz zerschmettert wurde. Auch sein Knie muss noch operiert werden.
Eine psychologische Unterstützung, die ihm in Hamburg angeboten wurde, lehnt der 32-Jährige, der aussieht als wäre er 50, ab. „Wenn ich dem Psychologen erzähle, was passiert ist, müsste der selbst zum Psychologen“, lacht er. Er habe das Erlebte angenommen. „Es gehört jetzt zu meinem Leben, aber das Leben geht weiter.“
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Für Pavlo Skrypel bedeutet das vor allem eins: Er will so schnell wie möglich zurück an die Front. „Ich werde kämpfen, bis wir unser ganzes Land zurück haben.“ Und dazu gehöre auch die Krim. „Die Russen entführen unsere Kinder. Wenn wir jetzt nicht kämpfen, kämpfen wir irgendwann gegen unsere eigenen Kinder.“
Wenn er könnte, würde auch Yuriy Basistyi weiterkämpfen. Doch mit einem Bein wird das nicht möglich sein. Er hofft, dass er zumindest weiter als Tischler arbeiten kann. „Mein Chef sagt, er nimmt mich zurück“, sagt er hoffnungsvoll und blickt zu seiner Frau. Hauptsache, die Familie ist bald wieder vereint.