x
x
x
  • Aus der Akte des Sondergerichts Bremen. Am 8. Juli fiel nach knapp zweieinhalbstündiger Verhandlung das Todesurteil gegen Walerjan Wróbel. Sechs Wochen später starb er.
  • Foto: Staatsarchiv Bremen

Ein NS-Justizmord: Der Tag, an dem Walerjan Wróbel in Hamburg hingerichtet wurde

„Liebe Mutti und Vati. Ich schreibe die letzten Worte an euch, da ich nicht zurückkehre nach Hause, denn es ist mir etwas Schweres geschehen. Aber ich bitte noch Gott, den Allmächtigen, möge er mir in der allerletzten Stunde helfen, damit ich zur Beichte und zur Kommunion gehen kann. Gute Nacht, liebe Mama, Papa, Bruder und Schwesterchen.“

Walerjan Wróbels Abschiedsbrief. Am Morgen des darauffolgenden Tages schreitet Hamburgs Henker Friedrich Hehr zur Tat. In der Hamburger Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis endet am 25. August 1942 um 6.15 Uhr das Leben des gerade mal 17-jährigen Jungen unterm Fallbeil. Was für ein Verbrechen!

Teil des Abschiedsbriefs, den Wróbel an seine Eltern schrieb. Geschmückt mit dem Bild eines Pferdes.

Teil des Abschiedsbriefs, den Wróbel an seine Eltern schrieb. Geschmückt mit dem Bild eines Pferdes.

Foto:

KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Walerjan Wróbel ist ein wenig zurückgeblieben

Walerjan Wróbel wird am 2. April 1925 im Dorf Falków südlich von Warschau geboren. Er wächst mit zwei Geschwistern in einfachen bäuerlichen Verhältnissen auf. Er ist ein bisschen zurückgeblieben. Die Schule mag er nicht. Er hat immer nur Quatsch im Kopf, muss mehrfach die Klasse wiederholen.

Stolperstein für Walerjan Wróbel vor dem Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Opfer eines Justizmordes.

Stolperstein für Walerjan Wróbel vor dem Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Opfer eines Justizmordes.

Foto:

Olaf Wunder

„Immer nach der Schule gingen wir zum Kühehüten aufs Feld“, erzählt Czeslaw Dabrowski, Walerjans Freund aus Kindertagen. „Dabei hatten wir viele Flausen im Kopf. Wir haben die Kühe losgebunden und über die Weiden gehetzt. Damals im Dorf gab es ja kein Spielzeug. Nichts haben wir gehabt. Höchstens einen Ofenring. Den konnten wir dann mit einem Drahtbügel über die Dorfstraße treiben.“

Wróbels Haus wird im Zweiten Weltkrieg zerstört

Die Guillotine in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis. Hier starb am 25. August 1942 der 17-jährige Walerjan Wróbel.

Die Guillotine in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis. Hier starb am 25. August 1942 der 17-jährige Walerjan Wróbel.

Foto:

Staatsarchiv

Am 1. September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Fünf Tage später greifen deutsche Bomber auch das Dorf an. Zahlreiche Häuser, darunter das der Wróbels, werden zerstört. Die Dorfbewohner leben in den Trümmern oder kommen bei Nachbarn oder Verwandten unter.

Weil immer mehr deutsche Männer an der Front kämpfen, rekrutieren die Nazis in den besetzten Gebieten junge Männer und Frauen als Zwangsarbeiter. Im April 1941 wird der Dorfschulze von Falków gezwungen, eine Gruppe von „Freiwilligen“ zu benennen. Auch Walerjan und sein Freund Czeslaw Dabrowski stehen auf der Liste. Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein.

Zweiter Weltkrieg: Wróbel wird nach Bremen gebracht

Walerjan Wróbel wird nach Bremen gebracht und dem Martens-schen Hof in Lesum zugeteilt. Er spricht kein Deutsch, kann sich nicht verständigen, hat großes Heimweh. Schon nach einer Woche reißt er aus, will die 900 Kilometer nach Hause zu Fuß zurücklegen. Doch er wird gefasst.

Walerjans Schwester erinnert sich an die Briefe des Bruders. „Schon im ersten hat er geschrieben, dass man ihn retten, irgendwie von dort rauskriegen soll. Und dass ihn fror, hat er geschrieben, dass ihm kalt war. Und dann hat sich Mutter hingesetzt und einen Anzug für ihn geschneidert. Ob er den jemals bekommen hat, das weiß man nicht.“

Walerjan Wróbel legt in einer Scheune Feuer

Am 29. April 1941 legt Walerjan in der Scheune des Bauernhofs Feuer. In seiner Naivität denkt er: „Wenn ich nur beweise, wie unbrauchbar ich hier bin, dann werden die mich nach Hause schicken.“ Tatsächlich passiert bei dem Feuer nicht viel. Es wird früh entdeckt, und Walerjan hilft sogar bei den Löscharbeiten.

Kurz darauf wird er von der Gestapo wegen „Sabotage“ verhaftet und ins KZ Neuengamme gesteckt, wo die SS ihn furchtbar schuften lässt: Walerjan muss mithelfen, einen 600 Meter langen Stichkanal vom KZ-Gelände bis zur Dove Elbe zu bauen. „Das war die schwerste Arbeit“, so Michal Piotrowski, ein Ex-Häftling, „nur Wasser, Schlamm, Erde. Und Hunger.“

Walerjan Wróbel wird zum Tode verurteilt

Im Sommer 1942 wird Walerjan Wróbel ins Untersuchungsgefängnis Bremen zurückverlegt, denn am 8. Juli findet sein Prozess statt. Nach nicht einmal zweieinhalb Stunden fällt der Richter das Urteil: Der Junge wird wegen „Verbrechens nach § 3 der Volksschädlingsverordnung“ zum Tode verurteilt.

Am 20. Juli 1942 reicht Wróbels Verteidiger ein Gnadengesuch ein, verweist auf die geistigen Defizite seines Mandanten. Staatsanwaltschaft und Richter sprechen sich jetzt ebenfalls dafür aus, die Todesstrafe in eine langjährige verschärfte Straflagerinhaftierung umzuwandeln. Der angerichtete Schaden sei gering, das Motiv des Täters nicht deutschfeindlich gewesen … Doch Staatssekretär Roland Freisler – er wird später noch berühmt-berüchtigt in seiner Funktion als Präsident des Volksgerichtshofs – lehnt am 15. August ab.

„Wróbel nahm das Gerichtsurteil ruhig entgegen“

In einer „Niederschrift über das Verhalten des Wróbel zum Zeitpunkt der Eröffnung der bevorstehenden Vollstreckung bis zur Vollstreckung“ heißt es: „Wróbel nahm das Urteil ruhig entgegen und fragte, ob er seine Tat nicht auf andere Weise büßen könne, sonst käme er ja nie wieder zu seinen Eltern zurück. Er meinte, wenn er vielleicht sterben müsste im Alter von 40 Jahren, so wäre es ja nicht so schlimm, aber schon so jung sterben zu müssen, sei doch sehr hart und er habe doch noch nichts vom Leben gehabt. Pfarrer Behnen schenkte Wrobel mehrere Heiligenbilder, die dieser, nachdem er sie mit seinem Namen versehen hatte, dem Pfarrer zurückgab mit der Bitte, sie an seine Eltern zu senden …“

Wróbels Henkersmahl: Gemüsesuppe mit Rindfleisch

Die Henkersmahlzeit besteht aus Gemüsesuppe mit Rindfleisch. Er isst mit gutem Appetit dreieinhalb Liter, raucht während der Nacht 25 Zigaretten. Am frühen Morgen wird er abgeholt. An der Richtstätte wird ihm noch einmal das Todesurteil vorgelesen. Fünf Sekunden später ist Walerjan tot. Ein Justizmord. Das Urteil widersprach geltendem Recht.

Von den Juristen, die daran mitgewirkt haben, muss sich keiner je verantworten. Sie sind nach dem Krieg weiter als Anwälte, Richter und Staatsanwälte tätig. Die Familie Wróbel in Falków erfährt erst 1984, wie Walerjan zu Tode gekommen ist. 1992 kommt ein Film in die Kinos, der den Titel trägt: „Das Heimweh des Walerjan Wróbel“. In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird heute an das Schicksal des Jungen erinnert. Vor der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis liegt ein Stolperstein.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp