„Die sind dann eben tot“: Hamburgs Chef-Entschärfer redet Klartext
5000 Bewohner des Schanzenviertels mussten kürzlich ihre Wohnungen verlassen – mitten in ihrem Quartier war eine 225-Kilo-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden worden. Sobald alle in Sicherheit waren, begann ihr gefährlicher Job: Die Männer des Kampfmittelräumdienstes der Hamburger Feuerwehr rückten an. Ronald „Ronny“ Weiler (61) ist der Chef-Entschärfer und berichtet im Gespräch mit der MOPO, wie es sich anfühlt, wenn ein Zünder sich nach Jahrzehnten im Erdreich nicht herausfräsen lässt, wie seine Familie mit seiner Arbeit umgeht – und welcher Gedanke ihm persönlich hilft.
5000 Bewohner des Schanzenviertels mussten kürzlich ihre Wohnungen verlassen – mitten in ihrem Quartier war eine 225-Kilo-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden worden. Sobald alle in Sicherheit waren, begann ihr gefährlicher Job: Die Männer des Kampfmittelräumdienstes der Hamburger Feuerwehr rückten an. Ronald „Ronny“ Weiler (61) ist der Chef-Entschärfer und berichtet im Gespräch mit der MOPO, wie es sich anfühlt, wenn ein Zünder sich nach Jahrzehnten im Erdreich nicht herausfräsen lässt, wie seine Familie mit seiner Arbeit umgeht – und welcher Gedanke ihm persönlich hilft.
Seit 27 Jahren gehört Weiler (61) zum Team des Kampfmittelräumdienstes, 2018 übernahm der ausgebildete Marinetaucher die Leitung. Bei jeder Aufgabe den Tod vor Augen zu haben, daran hat er sich schon lange gewöhnt: „Man ist sich bewusst, das jede Entschärfung schief gehen kann“, sagt er. Ruhe, Zurückhaltung, auch mal ein trockener Spruch, das zeichnet Hamburgs Chef-Entschärfer aus. Wie alle seine Vorgänger findet er in dem Gedanken Trost, dass er im Falle eines Falles die tödliche Detonation nicht miterleben wird: „Das geht so schnell, dass das Signal der missglückten Entschärfung gar nicht im Gehirn ankommt.“
„Die sind dann eben tot“
Hamburgs Boden ist voll mit Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg, und je mehr gebaut wird, desto mehr alte Sprengsätze werden ausgebuddelt. Rund 400 Bomben haben Ronny Weiler und sein Team bereits erfolgreich entschärft. Der bislang letzte Einsatz fand Mitte Juli in der Schanze statt. „Eine Aufgabe, die mir in Erinnerung bleibt, denn die Lage war heikel“, sagt Weiler zur MOPO. Mehrfach musste die Entschärfung verschoben werden, weil sensationslüsterner Gaffer die Absperrungen missachtet und sich in den Gefahrenbereich begeben hatten – etwas, für das Weiler überhaupt kein Verständnis hat. Auf die Frage, was im Gefahrenbereich bei einer Detonation mit den Menschen passiert, antwortet der Sprengmeister trocken: „Die sind dann eben tot.“
Als die Luft endlich rein war, stellten sich Komplikationen bei dem Herausfräsen des Zünders ein. Der heikelste Moment, sagt Weiler, ist der, wenn die Bombe freigelegt wird. „Man weiß nie was einen erwartet, wenn plötzlich Sonne an den Zünder gelangt oder der Zünder beim Bewegen des Blindgängers plötzlich auslöst.“
Sprengung in der Schanze
In der Schanze mussten letztendlich Teile der Bombe gesprengt werden – sieben Stunden nach Beginn der Entschärfung. „Eine lange und nervenzehrende Aufgabe.“ So einen Schritt mache man sich nicht leicht, da versuche man erstmal etwas anderes, berate sich im Team über die Vorgehensweise: „Es nützt ja nichts, wenn ich das alles alleine möchte, wenn mein Team sagt, das ist denen zu heikel. Die muss man schon mitnehmen.“ Was wäre passiert, wenn der 225-Kilo-Oschi in Gänze hätte gesprengt werden müssen? Weiler in gewohnter Nüchternheit: „In diesem Falle wären zwei Wohnhäuser weg gewesen.“

Eine befürchtete Mega-Evakuierung am 22. Juli blieb glücklicherweise aus: Bei den Bauarbeiten für die neue Sternbrücke waren neun verdächtige Gegenstände im Boden entdeckt worden, die zunächst als mögliche Blindgänger galten. „Das wäre der größte Einsatz in der Hamburger Geschichte gewesen“, sagt Weiler: „Etwa 13.000 Menschen hätten evakuiert werden müssen. Und das nicht nur für wenige Stunden, denn wären unter den neun Gegenständen auch nur zwei Bomben gewesen, wäre die Lage hochbrisant gewesen: Die Erschütterung einer Bombe hätte die andere zur Explosion bringen können.“
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Der ausgebildete Marinetaucher hat den Job von der Pike auf gelernt. Wie die meisten Sprengmeister hat er eine Ausbildung bei der Bundeswehr absolviert, bevor er zur Feuerwehr kam. 1990, als er zu der Truppe der Entschärfer stieß, war Manfred Schubert der Chef, ein erfahrener Sprengmeister, der schon unzählige Blindgänger in Hamburg entschärft hatte und seine Erfahrungen an Weiler weitergab. Zum Team gehörten damals noch Peter Voss, Peter Bodes und Hermann Borelli. Alle waren nach Schuberts Pensionierung nacheinander Chef des Kampfmittelräumdienstes.

2018 übergab Borelli den Spezialschlüssel symbolisch an Ronny Weiler. Seitdem hören Journalisten, die bei der Feuerwehr nachfragen, wann eine Entschärfung denn wohl vorbei sei, gerne mal den Schnack: „Gut Ding will Weiler haben!“ In all den Jahren zuvor hatten die Profis gemeinsam die Vorgehensweise bei der Entschärfung der gefährlichen Hinterlassenschaften revolutioniert und ein Gerät entwickelt, das Zünder mit einem Hochdruckwasserstrahl schonend herausfräst und die Gefahr einer ungewollten Detonation minimiert.
Der gefährlichste Einsatz des Sprengmeisters
Bis dieses Gerät zum Einsatz kam, wurden die Zünder mit einem Spezialschlüssel herausgedreht. Ein gefährliches Unterfangen, denn die Zünder waren über die Jahre verrostet, und die Rillen, in denen der Schlüssel angesetzt wurde, waren abgenutzt. Viel Kraft war notwendig – und immer bestand die Gefahr, mit dem Schlüssel abzurutschen und die Bombe durch diese Erschütterung zur Explosion zu bringen.

Den gefährlichsten Moment seiner Sprengmeister-Karriere erlebte der Familienvater 2007 in der HafenCity: „Dort, wo jetzt die Elbphilharmonie steht, wurde eine amerikanische Fliegerbombe mit Langzeitzünder gefunden. Eine Entschärfung erübrigte sich wegen des deformierten Zünders. Eine Sprengung kam auch nicht in Frage, weil sonst alle Spundwände in der Umgebung zerstört worden wären“. Die Lösung: Weiler und seine Kollegen hievten die Bombe in ein Schiff und brachten sie nach Schweinesand. Dort wurde sie dann gesprengt.
Die Familie des Sprengmeisters
Wie die Familie mit seinem Job umgeht? Seine Frau und die inzwischen erwachsenen Kinder sind zwar stets auf das Schlimmste gefasst, wenn der Ehemann und Vater irgendwo in Hamburg mal wieder zu einem Blindgänger gerufen wird, aber: „Sie haben gelernt, mit meinem Job zu leben“, sagt Weiler.
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Die Mammut-Aufgabe der Männer vom Kampfmittelräumdienst ist längst nicht erledigt: „Als ich anfing, ging man von mehr als 3000 Blindgängern aus. Nun dürften es immer noch rund 2600 sein, die da im Erdreich schlummern.“