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  • Ohne das kirchliche Sonderarbeitsrecht würden die vielen tausend Beschäftigten in der Pflege gerechtere Löhne verdienen, meint MOPO-Gastautor Wolfgang Rose.
  • Foto: imago/McPHOTO

Dumpinglöhne in der Pflege: Weg mit dem Sonderarbeitsrecht für die Kirchen!

„Erst wurde geklatscht, dann kam die Klatsche“ – vor wenigen Tagen stimmte die „Arbeitsrechtliche Kommission“ des Caritasverbandes auf Bundesebene gegen einen Bundestarifvertrag für Altenpflege und verweigerte damit dessen Allgemeinverbindlichkeit. Aber nicht die Pflegekräfte bei der Caritas waren die Opfer dieser Entscheidung, sondern die Beschäftigten bei privaten und kommerziellen Pflegeheimen mit tariflosen Dumpinglöhnen – alleine in Hamburg etwa 6000. Sie arbeiten ohne Geltung oder Anwendung eines Tarifvertrags und ihre Löhne wären bei einer Allgemeinverbindlichkeit teilweise erheblich angehoben worden.

Verhindert wurde dies durch ein Sonderarbeitsrecht von Kirchen, Diakonie und Caritas, mit dem die üblichen Tarifverträge mit Gewerkschaften in eine innerkirchliche Kommission verlegt wurden, die dann über die Allgemeinverbindlichkeit für alle mitentscheiden darf. Dort wurde jetzt entschieden – auf dem Rücken der betroffenen Beschäftigten.

Der Gegenwind gegen diese Entscheidung war heftig: Minister Hubertus Heil: „Bitterer Rückschlag“, CDU-Fraktion: „bedauert“, SPD-Fraktion: „entsetzt“, Grüne: „fatal“, Verdi: „scheinheilig“ und die Caritas-Mitarbeitervertreter: „unsolidarisch“.

Sogar 17 katholische Sozialethik-Professoren empörten sich in einer öffentlichen Stellungnahme und „möchten die Beschäftigten ermutigen, ihren ,Dienstgebern‘ machtvoll entgegenzutreten und die Unterstützung der Caritas für einen einheitlichen Tarifvertrag Altenpflege zu erstreiten“.

Kirchliches Sonderarbeitsrecht: der „Dritte Weg“

Der Hintergrund für diesen Konflikt liegt allerdings viel tiefer und holt zugleich einen historischen Geburtsfehler des bundesdeutschen Rechtssystems an das Licht der Öffentlichkeit: das kirchliche Sonderarbeitsrecht, den sogenannte „Dritten Weg“. Seit mehr als 70 Jahren keine Betriebsräte, keine Tarifverträge, Kündigung bei Kirchenaustritt oder Scheidung und weitere Anachronismen. Der katholische Theologe und Sozialethiker Bernhard Emunds, einer der Unterzeichner der Ethik-Stellungnahme, bringt es auf den Punkt: „Der Dritte Weg ist am Ende.“

Das „Gallische Dorf“ bei Tarifverträgen sind die Nordkirche und ihre Diakonie in Hamburg und Schleswig-Holstein – und vielleicht auch bald in Mecklenburg-Vorpommern. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die ersten Tarifverträge zwischen der schleswig-holsteinischen Landeskirche und den Gewerkschaften auch als Lehre und „Nie-wieder-Bündnis“ aus der Erfahrung von Faschismus und Krieg vereinbart.

Geburtsfehler für den „Dritten Weg“: die Auslegung der „Weimarer Reichsverfassung“

Einige Landeskirchen und diakonische Einrichtungen haben in den letzten Jahren nachgezogen. Und in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, der „Mutter der Tarifverträge in der Diakonie“, gilt mittlerweile sogar eine Dienstvereinbarung, die für die Beschäftigten die Pflicht zur formalen Kirchenmitgliedschaft durch einen gemeinsamen Diskurs über das Leitbild ihres Sozialunternehmens ersetzt.

Der Geburtsfehler für den „Dritten Weg“ war die Auslegung der „Weimarer Reichsverfassung“. Nach der Novemberrevolution 1918 erhielten die Kirchen in Artikel 137 ihre Selbstbestimmung „innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze“. Diese Verfassungsvorschrift beinhaltete das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre Ämter im Unterschied zur früheren Staatskirche nun ohne Mitwirkung des Staates zu verleihen.

„Dienstgemeinschaft“ – dieser Begriff kommt aus der Nazizeit

Das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 galt aber selbstverständlich auch für Kirchen, Diakonie und Caritas – einschließlich des Streikrechts. Zum Beispiel gab es damals in Berlin einen Streik der Friedhofsgärtner. Erst die Nationalsozialisten beseitigten 1934 Betriebsräte und Tarife mit dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“. Im öffentlichen Dienst wurde per Gesetz das Prinzip von Führer, Gefolgschaft und Dienstgemeinschaft vorgeschrieben – und die Kirchen beschlossen, das für sich zu übernehmen. „Dienstgemeinschaft“ – dieser wohlklingende Begriff hat hier seine historische und ideologische Wurzel.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bestanden die Kirchen darauf, nicht wieder in das weltliche Arbeits- und Tarifrecht zurückzukehren, das in der Weimarer Republik noch für sie gegolten hatte. Sie legten nun die Weimarer Reichsverfassung so aus, dass sie anstelle von Betriebsverfassungsgesetz und Tarifverträgen ein eigenes Sonderarbeitsrecht mit innerkirchlichen Mitarbeitervertretungen und Arbeitsrechtlichen Kommissionen anwenden dürfen. Sie nannten es „Dritter Weg“.

Adenauer wollte sich nicht mit den Kirchen anlegen. Er übernahm nicht nur Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung als Artikel 140 in das Grundgesetz, sondern sorgte darüber hinaus dafür, dass Betriebsverfassungsgesetz und Bundespersonalvertretungsgesetz im Unterschied zur Weimarer Republik nicht für die Kirchen galten. Die höchsten Gerichte haben sie dabei in späteren Jahrzehnten weitgehend unterstützt.

Adenauer wollte sich nicht mit den Kirchen anlegen

Hier schließt sich der Kreis. Tausende tariflos beschäftigte Pflegekräfte in Hamburg und hunderttausende in ganz Deutschland bei den privaten und kommerziellen Trägern haben jetzt die Auswirkungen dieses kirchlichen Sonderarbeitsrechts zu spüren bekommen: Weil die Caritas die Allgemeinverbindlichkeit eines bundesweiten Pflegetarifvertrags abgelehnt – und die Diakonie dann gleich auf die Abstimmung verzichtet und sich einen „weißen Fuß“ gemacht hat – werden ihre Löhne nicht angehoben: eine sozial- und gesellschaftspolitische Respektlosigkeit sondergleichen.

Wenn der „Dritte Weg“ zu einem „Weg zulasten Dritter“ wird, wie jetzt in der Altenpflege, dann ist seine Abschaffung überfällig. In 70 Jahren darf man gerne klüger werden.

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