Diktatur des Autos: Wir stecken in der Sackgasse – wie kommen wir da nur raus?
Experten und Wissenschaftler sind sich einig, selbst Lobbyverbände wie der ADAC pflichten bei: Das Auto muss Platz machen, in Teilen zurückgedrängt werden aus den Städten. Doch die Bürger machen nicht so richtig mit: Trotz ÖPNV-Ausbau, Radweg-Offensive, Anwohnerpark-Restriktionen und Parkplatzabbau steigt die Zahl der Autos immer weiter, in Hamburg gibt es so viele wie nie zuvor. Und die Nerven liegen bei vielen blank: Kaum ein Thema sorgt so verlässlich für überkochende Emotionen wie die Frage, wie wir uns am besten von A nach B bewegen. Neue Verkehrskonzepte wie autoarme Quartiere sollen Städte lebenswerter machen – sorgen aber immer für heftigen Streit, scheitern vor Gericht und an veralteten Verkehrsgesetzen, die aber nicht geändert werden. Wir stecken in einer Sackgasse fest, selbst Vorzeigeprojekte wie „freiRaum Ottensen“ kommen nur zäh voran, woanders ist der Widerstand groß. Lebenswertere Quartiere ohne Autodiktatur – ist das überhaupt noch möglich?
Experten und Wissenschaftler sind sich einig, selbst Lobbyverbände wie der ADAC pflichten bei: Das Auto muss Platz machen, in Teilen zurückgedrängt werden aus den Städten. Doch die Bürger machen nicht so richtig mit: Trotz ÖPNV-Ausbau, Radweg-Offensive, Anwohnerpark-Restriktionen und Parkplatzabbau steigt die Zahl der Autos immer weiter, in Hamburg gibt es so viele wie nie zuvor. Und die Nerven liegen bei vielen blank: Kaum ein Thema sorgt so verlässlich für überkochende Emotionen wie die Frage, wie wir uns am besten von A nach B bewegen. Neue Verkehrskonzepte wie autoarme Quartiere sollen Städte lebenswerter machen – sorgen aber immer für heftigen Streit, scheitern vor Gericht und an veralteten Verkehrsgesetzen, die aber nicht geändert werden. Wir stecken in einer Sackgasse fest, selbst Vorzeigeprojekte wie „freiRaum Ottensen“ kommen nur zäh voran, woanders ist der Widerstand groß. Lebenswertere Quartiere ohne Autodiktatur – ist das überhaupt noch möglich?
Schmale Straßen, enge Fußwege, Cafés, Restaurants, kleine Geschäfte: 2019 wurde das Zentrum von Ottensen um die Ottenser Hauptstraße kurzerhand zur autofreien Zone erklärt. Tischtennis auf der Straße, Platz für Fußgänger und massig Sitzgelegenheiten, all das war plötzlich möglich.
Verkehrsversuch in Ottensen wurde gerichtlich gestoppt
Lange währte es allerdings nicht. Das Hamburger Verwaltungsgericht gab Anfang 2020 Eilanträgen von zwei Gewerbetreibenden statt, die dagegen geklagt hatten. Der Bezirk Altona gab aber nicht auf, nannte das Projekt in „freiRaum Ottensen“ um. Im September 2022 wurde die Große Brunnenstraße für Autos gesperrt, nur noch Anwohner, Lieferdienste und alle mit einer Ausnahmegenehmigung durften rein. Das Gericht fand dieses Mal einen Formfehler, jetzt muss der Bezirk nachbessern.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Volksdorf, wo der Bezirk Wandsbek im Herbst eine temporäre Flaniermeile eingerichtet hatte. Schon vor Beginn gab es harsche Kritik, vor allem Gewerbetreibende sorgten sich um ihren Umsatz.
Deutsche Vekehrsgesetze sind aufs Auto ausgerichtet
Fakt ist: Großstädte wie Hamburg haben sich lange Zeit auf das Auto ausgerichtet. Das lässt sich auch an den deutschen Verkehrsgesetzen ablesen, die noch aus einer Zeit des automobilen Aufbruchs stammen – dem Deutschen Kaiserreich. Zwar wurden sämtliche Rechtsvorschriften bemüht neutral überarbeitet und umformuliert. Das Umweltbundesamt kam trotzdem zu dem Schluss, dass das Auto in vielen Fällen eben immer noch Vorrang habe.
„Unsere Bundesregierung bekommt es nicht auf die Kette, eine vernünftige Verkehrsgesetzgebung für solche Versuche hinzukriegen“, beschwerte sich Altonas Bezirkschefin Stefanie von Berg (Grüne) im MOPO-Talk zum Projekt „freiRaum Ottensen“ am Donnerstagabend. Im Koalitionsvertrag hatte der Bund das zwar angekündigt, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zögert allerdings bislang.
Wie können Menschen sich umgewöhnen?
Aber selbst wenn sich der gesetzliche Rahmen tatsächlich bald ändern würde – für alle Betroffenen bedeuten autoarme Quartiere erstmal eine Umgewöhnung in ihrem Alltag. „Viele Autofahrer identifizieren sich mit ihrem Auto und es wäre für sie ein starker Einschnitt“, weiß ADAC-Sprecher Christian Hieff. Der Mensch sei eben ein Gewohnheitstier. „Um umzusteigen muss es einen guten, aber auch bequemen öffentlichen Nahverkehr geben“, sagt er. Dazu kämen andere Interessensgruppen, wie Handwerker oder Gewerbetreibende, die immer von solchen Entscheidungen betroffen seien.
Schon jetzt berichten Anwohner von Gebieten wie dem Ottenser Kerngebiet, dass Handwerker Aufträge ablehnen, weil sie keinen Parkplatz fänden. Oder Lieferanten Ware einfach auf dem Gehweg abstellen und wegfahren, weil es anders nicht geht. Werden Straßen ganz gesperrt, gibt es daher immer Ärger, wer jetzt wo wann Ausnahmegenehmigungen bekommt.
Und dann ist da auch immer die Frage, wie der plötzlich autofreie Raum genutzt wird. Nachdem am Schulterblatt Parkplätze gegenüber der Roten Flora durch einen Platz mit viel Außengastronomie ersetzt wurde, begann sich das ganze Viertel in ein Partyquartier zu wandeln, langjährige Anwohner fühlen sich massiv belästigt.
Das Problem der steigenden Mieten
Gewerbetreibende, die viel transportieren müssen und das Fahrrad nicht als Alternative sehen, haben in einer autofreien Zone kaum eine Chance, ihren Betrieb aufrecht zu halten. Andere profitieren, wenn die Leute mehr Platz zum Flanieren und mehr Lust zum Verweilen haben.
Ganz zentral ist auch das Mietenproblem. Denn autofreie Zonen machen ein Viertel – auch wenn manche Bürger ihre automobile Freiheit beschnitten sehen – meist deutlich attraktiver. Die Folge: Immobilienpreise steigen, wovon Eigentümer profitieren. Mieten steigen aber auch. „So eine Veränderung hat immer auch Gewinner und Verlierer“, weiß Verkehrsforscher Wolfgang Maennig.
Fragt man Bürger, ob ihre eigene Straße verkehrsberuhigt sein soll, sagen fast alle immer ja, schildert Maennig. Wenn es aber darum geht, nicht mehr überall mit dem Auto hinfahren zu können, sieht die Lage bei vielen plötzlich anders aus. Gerade die gebeutelten Einzelhändler sind daher oft zwiegespalten, wenn es gegen das Auto geht. Hamburgs City-Managerin Brigitte Engler betont, wie wichtig die Erreichbarkeit der Innenstadt mit dem Pkw für die Einzelhändler bleibe. Deswegen brauche es ein gutes Parkhaus-System. Heißt: Nur mit Bus, Bahn und Rad kommen schlicht zu wenig Kunden. Vor Ort selbst aber kann es gerne autofrei sein. So werde „die verkehrliche Beruhigung zum Beispiel am Jungfernstieg sehr positiv von den Kunden aufgenommen.“
Das sind die europäischen Vorreiter für autoarme Quartiere
Tatsächlich gibt es etliche europäische Vorreiter, wie die slowenische Hauptstadt Ljubljana, die Autos bereits 2007 aus der Innenstadt verbannte. Barcelona richtet unterdessen „Superblocks“ ein, das sind mehrere Häuserblöcke, die zu einem autofreien Quartier zusammengefasst werden. Das Hamburger Nachahm-Projekt „Superbüttel“ rund um die Rellinger Straße in Eimsbüttel schlug 2021 zwar deutschlandweit Wellen, derzeit tritt es aber auch eher auf der Stelle.

Viele Unsicherheiten und oft ein zäher Kampf: Für Jonas Voß vom Hamburger Umweltverbund NABU steht trotzdem fest, dass in Hamburg in Zukunft weniger Autos fahren müssen. „Zum einen sinken die Feinstaubbelastung und der CO2-Ausstoß enorm“, sagt er. Aber es gehe vor allem um mehr Flächengerechtigkeit, der öffentliche Raum sei für alle da.
Nur: Die Bürger machen einfach nicht mit. 813.847 Autos waren Anfang 2022 in Hamburg gemeldet. 72.000 mehr als vor zehn Jahren. Zwar stieg auch die Zahl der Einwohner, die Zahl der PKW pro Kopf nahm trotzdem zu.
Und dann ist da noch der Klimawandel, vollasphaltierte Flächen erhitzen sich besonders stark. Der Umstieg auf Elektroautos reicht daher nicht. „Wenn weniger Autos auf versiegelten Flächen stehen, dann können dort Grünflächen geschaffen werden“, sagt Voß. „Die kühlen die Stadt in den künftigen Hitzeperioden nicht nur ab, sondern halten auch das Hochwasser zurück.“
Altonas Bezirkschefin ist jedenfalls trotz allem optimistisch, dass der Traum von „freiRaum Ottensen“ zur Realität wird. „Das Verkehrskonzept ist fertig und wir haben die ersten Gelder eingefahren“, sagt von Berg. Sie will das Projekt jetzt durchziehen, gegen alle Widerstände. Die ersten Umbauarbeiten sind für 2025 geplant – wenn nicht noch etwas dazwischen kommt.