Die überdeckte Gefahr: Sterben bald wieder mehr Menschen an Krebs?
Gehen auch Sie derzeit lieber nicht zum Arzt – aus Angst vor Corona? Onkologen warnen, dass viele Deutsche wichtige Vorsorgeuntersuchungen sausen lassen, weil sie eine Ansteckung fürchten. Die MOPO hat mit Barbara Schmalfeldt vom UKE gesprochen. Sie ist Direktorin der Klinik und Poliklinik für Gynäkologie mit einem Schwerpunkt auf der gynäkologischen Onkologie – und erklärt, wie sich das auswirkt.
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Gehen auch Sie derzeit lieber nicht zum Arzt – aus Angst vor Corona? Onkologen warnen, dass viele Deutsche wichtige Vorsorgeuntersuchungen sausen lassen, weil sie eine Ansteckung fürchten. Die MOPO hat mit Barbara Schmalfeldt vom UKE gesprochen. Sie ist Direktorin der Klinik und Poliklinik für Gynäkologie mit einem Schwerpunkt auf der gynäkologischen Onkologie – und erklärt, wie sich das auswirkt.
MOPO: Frau Schmalfeldt, gehen wegen Corona tatsächlich weniger Menschen zur Vorsorge?
Barbara Schmalfeldt: Ja, unsere Sprechstunden waren in den bisherigen Corona-Wellen weniger voll oder wir mussten unser Angebot zeitweise reduzieren. Darüber, wie groß der Effekt deutschlandweit ist, legen Krankenkassen unterschiedliche Zahlen vor. Laut der DAK gab es im Jahr 2020 im gynäkologischen Bereich bis zu 20 Prozent weniger Vorsorgeuntersuchungen, laut der AOK sechs Prozent. Bei Hautkrebsvorsorge waren es bis zu 25 Prozent weniger, auch die Prostata-Vorsorge ist zurückgegangen. Nur die Darmkrebsvorsorge blieb konstant und die für Schwangere und Kinder.
Ist es denn so dramatisch, mal einen Vorsorgetermin ausfallen zu lassen?
Es kommt nicht auf einen festen Termin an, aber auf Zeiträume, die von der Krebsart abhängen. Die Gebärmutterhalskrebsvorsorge ist zum Beispiel jährlich bis zum 35. Lebensjahr, das Mammographie-Screening alle zwei Jahre, Darmspiegelungen alle fünf Jahre. Man hat also in der Regel Zeit, die Untersuchungen nachzuholen. Das sollte man aber auch wirklich tun. Zum Beispiel im Sommer, wenn die Fallzahlen nicht so hoch sind.
Prof. Dr. Barbara Schmalfeldt ist Direktorin der Klinik und Poliklinik für Gynäkologie am UKE mit Schwerpunkt auf operative Gynäkologie und gynäkologische Onkologie.
Wie schnell wächst Krebs denn?
Das hängt vom Krebs ab. Gebärmutterhals- und Darmkrebs wachsen über fünf bis zehn Jahre. Bei Brustkrebs gibt es schneller und langsamer wachsende Tumore. Bei der Vorsorge geht es aber darum, sie so früh wie möglich zu erkennen. Durch die Mammographie zum Beispiel können Patientinnen oft durch eine Operation und Bestrahlung behandelt werden. Wenn es ausfällt, ist vielleicht kein Brusterhalt mehr möglich und eine Chemotherapie notwendig.
Aber ist das Risiko, sich mit Corona zu infizieren nicht höher, als Krebs zu bekommen? Wegen dieser Abwägung gehen ja viele nicht zur Vorsorge.
Das Risiko, sich ausgerechnet bei der Vorsorge mit Corona anzustecken, halte ich für extrem gering. Die FFP2-Masken schützen sehr gut, in Hamburg sind im Gesundheitswesen die allermeisten Beteiligten geimpft und geboostert. Dazu kommen die Hygieneregeln in Wartezimmern. Ich rate Menschen, die Angst haben, sich an ihren Arzt zu wenden und darüber zu sprechen.
Sieht man schon Folgen wegen der nachlässigen Vorsorge?
Bisher sehen wir Einzelfälle, statistischen Zahlen gibt es dazu noch nicht. Wenn es so weitergeht, könnten die Effekte aber auch statistisch relevant werden. Bei Gebärmutterhalskrebs konnte das Risiko der Erkrankung seit den 70er Jahren um 70 Prozent reduziert werden – allein durch die Vorsorge! Auch die Sterberate bei Brustkrebs ist um 20 Prozent gesunken. All diese Erfolge verspielen wir, wenn sich dieser Trend fortsetzt.
Also werden wieder mehr Menschen an Krebs sterben?
Wenn die Vorsorgeuntersuchungen nicht aufgeholt werden, glaube ich das schon. Aber das kann noch verhindert werden. Daher ist mein dringender Appell an alle Menschen, die Vorsorge-Termine nachzuholen.
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Auf welche Vorsorgeuntersuchungen sollte man auf keinen Fall verzichten?
Auf keine der gesetzlich empfohlenen: Die für Gebärmutterhalskrebs ab 20 Jahren, für Brustkrebs ab 30 Jahren, für Hautkrebs ab 35 Jahren, für Prostatakrebs ab 45 Jahren und für Darmkrebs ab 50 Jahren.