Wie die neuen „Pulverfass-Macher“ das legendäre Travestie-Cabaret umkrempeln
Eigentlich sollte Hendrik Kupfernagel (41) bloß einen Käufer für das „Pulverfass“ an der Reeperbahn finden. Er führte etliche Gespräche. Die Angebote: wenig seriös. Der zurückhaltende Mann mit dem Schnauzer und der ruhigen Stimme lächelt. „Tja, und dann habe ich mich in den Laden verliebt.“ Eine Liebe, gegen die auch sein Verlobter Maximilian Protsch (36) wenig ausrichten konnte. Heute sind der Steuerberater und der Psychologe Inhaber des legendären Travestie-Cabarets, das jetzt seinen 50. Geburtstag feiert. Sie haben einiges umgekrempelt – vor allem auf einen Teil der Darbietung wird mittlerweile verzichtet.
Eigentlich sollte Hendrik Kupfernagel (41) bloß einen Käufer für das „Pulverfass“ an der Reeperbahn finden. Er führte etliche Gespräche. Die Angebote: wenig seriös. Der zurückhaltende Mann mit dem Schnauzer und der ruhigen Stimme lächelt. „Tja, und dann habe ich mich in den Laden verliebt.“ Eine Liebe, gegen die auch sein Verlobter Maximilian Protsch (36) wenig ausrichten konnte. Heute sind der Steuerberater und der Psychologe Inhaber des legendären Travestie-Cabarets, das jetzt seinen 50. Geburtstag feiert. Sie haben einiges umgekrempelt. Einen „Zirkus mit Transsexuellen“, die am Ende der Show blankziehen – das gibt es nicht mehr.
Viele Monate suchte der mittlerweile verstorbene Gründer Heinz-Diego Leers aus gesundheitlichen Gründen einen Käufer für sein Lebenswerk. Über einen Bekannten kam Leers zu Hendrik Kupfernagel und bat den Steuerberater anfangs nur um Unterstützung bei der Beantragung von Überbrückungshilfen. „Das lief so gut, dass er mich fragte, ob ich ihn auch beim Verkauf des ,Pulverfasses‘ unterstützten könnte.“ Mitten in der Pandemie. Der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um ein Cabaret zu verkaufen. „Zudem hatte Heinz eine nicht so geringe Kaufpreisvorstellung.“ Was das konkret heißt? Er lehnt sich auf dem plüschigen, roten Sofa zurück. „Ursprünglich wollte er zwei Millionen Euro haben. Das war einfach zu viel, und das gaben die Zahlen auch nicht her.“
Frau aus Monaco wollte Zirkus aus dem „Pulverfass“ machen
So seien die Gespräche mit potenziellen Interessenten auch alles andere als seriös gewesen. Eine Frau aus Monaco mit Geldgeber in der Schweiz hatte die Vision eines prächtigen Zirkuses mit Akrobaten aus Thailand. Andere Geschäftsleute planten einen Supermarkt. „Dann habe ich mich in den Laden verliebt. Ich hätte es schade gefunden, wenn so eine Kult-Einrichtung verloren geht“, sagt Hendrik Kupfernagel. Ein Steuerberater und ein Psychologe als Chefs eines Cabarets? Natürlich sei das nicht Bestandteil ihrer Lebensplanung gewesen. „Es hat sich einfach so ergeben. Nennen wir es Schicksal“, sagt er. Ein Gespräch mit seinem „lieben Schatz“ folgte. „Tickst du nicht sauber?“ Das war die erste Reaktion seines in dem Moment gar nicht so lieben Schatzes. „Hendrik ist schnell Feuer und Flamme. Ich lasse mich nicht von Emotionen mitreißen und sehe auch die Probleme“, sagt Maximilian Protsch.
Und Probleme gab es einige. Insbesondere den Eingangsbereich mit apricot-farbener Wischtechnik an den Wänden fand er einfach nur gruselig. „Auch der Saal war zum Teil ganz schön runtergerockt. Und die Garderoben waren einfach nur ekelig.“ Für ihn war klar: Wenn sie den Laden übernehmen, muss sich einiges ändern. Nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich. Doch die Seele des Hauses, die 48 Jahre Geschichte, überzeugten letztlich auch ihn. „Das ,Pulverfass‘ schließen, das wäre ein großer Schaden für Hamburg gewesen.“
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Schlaflose Nächte hatte das Paar vor der Übernahme nicht. Für Max am wichtigsten: Sie waren „gesettelt“. Zwei Hunde. Haus in Farmsen. Seit zehn Jahren zusammen. Es war alles in geregelten Bahnen. Mittlerweile sind die Männer sogar verlobt. Hendrik machte seinem „Schatz“ einen Antrag im „Pulverfass“. An dessen Geburtstag. In der vollen Bar. „Eigentlich so, wie man sich das nicht wünscht“, sagt Max lachend. Er winkt ab. „Nein nein, ich habe mich unglaublich gefreut.“ Aber er sei nicht der Typ für große Auftritte, große Emotionen vor Publikum.
Eröffnung des Cabarets noch während der Bauarbeiten
Max Protsch mag lieber Zweisamkeit. Doch das kommt momentan deutlich zu kurz. Er kümmert sich gemeinsam mit dem zweiten Geschäftsführer Thomas Birkhahn um das Pulverfass. Hendrik Kupfernagel unterstützt und arbeitet zudem weiterhin als Steuerberater in seinen beiden Kanzleien in Eppendorf und nahe Lüneburg. Harte Arbeit. Jedoch nichts neues. Von Anfang an war es turbulent. Im Corona-Sommer 2021 übernahmen sie den Laden. Geplant war, während des Lockdowns zu renovieren. Doch als die Arbeiten starteten, begann auf einmal die Öffnungsphase. Was machen? „Wir waren uns der Bringschuld bewusst. Die Mitarbeiter waren lange in Kurzarbeit, die Künstler hatten lange keine Jobs mehr. Wir mussten öffnen.“ Und so lief es parallel: Baustelle und Spielbetrieb. Das Foyer war komplett rausgerissen, die Bar im Saal ebenfalls. Roher Beton. Immerhin: Zwei Stunden vor der Eröffnung wurde der neue Boden fertig.

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Anfangs lief es schleppend. Auf dem Kiez war wenig los. Zu groß die Sorge, sich anzustecken. Das ist Geschichte. Mittlerweile sind viele der Shows am Wochenende ausverkauft. Obwohl oder gerade weil das Konzept komplett umgekrempelt wurde. So gibt es keine Freikarten mehr, wie früher. Als die Gäste statt Eintritt einen Mindestverzehr von 20 Euro zahlen mussten. „Die Getränkepreise sind fair und die Eintrittskarten kosten wie überall Geld. Dann nimmt man eine Show auch anders wahr. Das ist eine Wertschätzung für die Künstler“, sagt Max Protsch. Früher mussten alle Shows ab sechs Gästen gespielt werden. Heute kommen an schlechten Tagen mindestens 60 Gäste.
Steuerberater früher als Go-go-Tänzer unterwegs
Sie wollen die Shows sehen, die gemeinsam mit dem künstlerischen Direktor Christian Schäfer neugestaltet wurden. Keine leichte Aufgabe für den Steuerberater und den Psychologen. Aber ganz unbedarft war zumindest Hendrik Kupfernagel nicht. Er kennt viele Dragqueens und Tänzer. Hobbymäßig habe er früher als Go-go-Tänzer auf Partys getanzt und noch seinen Instagram-Account mit 45.000 Followern. „Er hatte seine Pubertät erst spät“, sagt Max lachend. Hendrik blickt ihn lächelnd an. „Aber die Kontakte haben uns viel gebracht.“ Max nickt. Da kann er nur zustimmen.
Neben „Pulverlesque“ – der Burlesque-Show mit Eve Champagne – setzen die „Pulverfass“-Chefs vor allem auf themenbezogene Revues mit Sängern, Akrobaten und Magiern. „Ein buntes Spektakel mit Drag und Travestie. So ein Queer-Varieté wie wir es haben, gibt es in Deutschland nicht nochmal“, sagt Max Protsch stolz. Klar, es geht noch immer erotisch zu. Aber am Ende der Show die Männlichkeit preisgeben, wie es Jahrzehnte zum Programm gehörte – das gibt es nicht mehr im „Pulverfass“.

„Wir verbieten es nicht. Aber die Künstler entscheiden das selbst. Seit wir ihnen die Entscheidung überlassen haben, gab es niemanden, der das wollte.“ Hendrik Kupfernagel findet das „ein bisschen traurig.“ Weil es zeige, dass sich die Künstler gezwungenermaßen entblößt haben. „Hinzu kommt bei transsexuellen Menschen, dass sie sich vielleicht in ihrer Haut nicht wohl fühlen, die Geschlechtsumwandlung aber nicht machen können, weil sie Gefahr laufen, ihren Job zu verlieren. Das kann nicht sein. Wir veranstalten hier keinen Zirkus mehr mit Transsexuellen“, sagt Max Protsch entschieden.
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Klingt nach harter Kritik am alten Konzept. Er schüttelt den Kopf. „Früher wurde das einfach anders gesehen. Das war eine andere Zeit. Heute funktioniert das nicht mehr.“ Und die beiden Chefs sind sich einig: Sie wollen es auch nicht mehr. „Ob Mann oder Frau – wer weiß es genau?“ Das bleibt ein Geheimnis. Und beflügelt die Fantasie der Gäste. Gerade Eve Champagne wird häufig für ein Mann gehalten. „Gut, sie ist auch teilweise männlicher als einige Männer. So richtig derbe. Wie ein Schlachter oder Maurer.“ Das kommt gut an beim Publikum.
Die Gäste, das sind nach wie vor viele Touristen, aber auch immer mehr Hamburger. „Wir haben eine große Bandbreite an neuen Gästen. Von Anfang 20 bis Ende 70“, sagt Max Protsch. Meistens geht es gesittet zu. Aber nicht immer. Einmal stürzte eine Frau auf die Bühne und wollte beim Finale Künstlerin Hellen Pietris an die Brüste fassen. „Die konnte froh sein, dass sie keine von Hellen in die Fresse bekommen hat. Die Bühne ist tabu. Bei dem einen oder anderen fehlt die Hemmschwelle.“ Insbesondere Frauen seien unter Alkoholeinfluss so manches Mal recht zügellos. Und ab und an auch völlig hilflos. Schon mehrfach mussten Rettungswagen alarmiert werden, weil der Zustand der Damen „besorgniserregend“ war.
50 Jahre „Pulverfass“: Große Gala und Torte für Bedürftige
Max Protsch lacht. Er muss an eine Frau denken, die für eine Rettungsaktion gesorgt hat. Weil sie der Meinung war, die WC-Tür würde nicht mehr aufgehen, versuchte die Dame untendurch zu krabbeln. Blieb jedoch zwischen Tür und Kacheln stecken. „Dann hing sie im Klo, weil ihr Hintern zu groß war. Dabei war die Tür eigentlich offen“, sagt der Mann in Turnschuhen und Shorts laut lachend. Er reibt sich die Augen. „Oh Mann, ich bin kaputt.“ Die Chefs sind schwer im Stress. Das „Pulverfass“ wird 50 Jahre alt.
Am Sonntag fand die große Gala für geladene Gäste statt. Eigentlich sollte auch der Bürgermeister dabei sein. Weil er im Ausland ist, hat er vorab die Geburtstagstorte mit Eve Champagne verteilt. Im „CaFée mit Herz“ – an Bedürftige. „Uns war es wichtig, auch etwas für den Kiez zu tun. Es ist ein toller Zusammenhalt hier. Da wollen wir auch etwas zurückgeben“, sagt Hendrik Kupfernagel. Noch nicht einen Moment haben er und sein Verlobter bereut, den Laden übernommen zu haben. Ihr Ziel: Sie wollen das „Pulverfass“ die nächsten 50 Jahre führen. Und wenn sie irgendwann mit Rollator anrücken müssen.

Steckbrief Maximilian Protsch (36)
Spitzname und Bedeutung Max. Liegt ja auf der Hand.
Beruf/ erlernte Berufe Inhaber des „Pulverfasses“, studierter Wirtschaftspsychologe.
St. Pauli ist für mich… ein Ort der Freiheit.
Mich nervt es tierisch, wenn… Menschen inkonsequent sind.
Ich träume davon,… mehr Zeit mit meinem Schatz zu verbringen.
Wenn mir einer blöd kommt,… werde ich verbal sehr ungemütlich. Und ich vergesse nichts.
Zum Abschalten… liebe ich Musik. Am liebsten Taylor Swift.
Als Kind… war ich sehr anstrengend. Bis ich zehn war, haben sie mich ‚Mister 1000 Volt‘ genannt. Immer in Bewegung.
Meine Eltern… und mein Bruder waren immer das Wichtigste für mich. Und jetzt ist noch Hendrik dazugekommen.
Vom Typ her bin ich… ein kreativer, loyaler Perfektionist.

Steckbrief Hendrik Kupfernagel (41)
Spitzname und Bedeutung Einen Spitznamen hatte ich nie, mein Künstlername bei Instagram ist Marco Taxfighter.
Beruf/ erlernte Berufe Inhaber des Pulverfasses und Steuerberater. Ich bin gelernter Diplom-Kaufmann, Steuerberater und habe einen Abschluss in Jura, den Baccalaureus Juris.
St. Pauli ist für mich… ein Ort der Leidenschaft.
Mich nervt es tierisch, wenn… Leute unzuverlässig sind.
Ich träume davon,… die nächsten 50 Jahre mit dem „Pulverfass“ vollzumachen.
Wenn mir einer blöd kommt,… bleibe ich immer freundlich.
Zum Abschalten… kuschele ich mit unseren Hunden und gehe ins Fitnessstudio.
Als Kind… war ich Einzelgänger.
Meine Eltern… habe ich sehr lieb.
Vom Typ her bin ich… zurückhaltend.