Die gute Seele im Hamburger Hafen: Der Held der Seeleute geht von Bord
Für die Sorgen der Seeleute hatte er stets ein Ohr: 36 Jahre lang war Jan Oltmanns die gute Seele im Hamburger Hafen. Der Chef des Seemannsclubs „Duckdalben“ in Waltershof kümmerte sich um die Besatzungsmitglieder der Containerfrachter oder Kreuzfahrtschiffe, hörte zu und half, wo er nur konnte. Jetzt geht der 65-Jährige in Rente – und die Seeleute verlieren einen Freund.
Drei Matrosen treten durch die Tür des „Duckdalben“ und schauen etwas orientierungslos um sich. „Magandang hapon!“, begrüßt Jan Oltmanns die Filipinos. Die freuen sich über die Ansprache in ihrer Muttersprache. Dabei hat Oltmanns nur geraten.
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Für die Sorgen der Seeleute hatte er stets ein Ohr: 36 Jahre lang war Jan Oltmanns die gute Seele im Hamburger Hafen. Der Chef des Seemannsclubs „Duckdalben“ in Waltershof kümmerte sich um die Besatzungsmitglieder der Containerfrachter oder Kreuzfahrtschiffe, hörte zu und half, wo er nur konnte. Jetzt geht der 65-Jährige in Rente – und die Seeleute verlieren einen Freund.
Drei Matrosen treten durch die Tür des „Duckdalben“ und schauen etwas orientierungslos um sich. „Magandang hapon!“, begrüßt Jan Oltmanns die Filipinos. Die freuen sich über die Ansprache in ihrer Muttersprache. Dabei hat Oltmanns nur geraten.
Hamburger Hafen: Chef des „Duckdalben“ geht in Rente
„Mit den Jahren bekommt man einen Blick dafür, woher die Leute kommen“, sagt der Seemannsdiakon. Manchmal liege er aber auch daneben. Dann, wenn er einen Koreaner versehentlich mit „Ni Hao“ willkommen heißt. „Macht aber nichts. Dann hat man gleich ein Gesprächsthema.“
Begrüßungen und ein paar Floskeln kann Oltmanns auf mehr als einem Dutzend Sprachen sagen. Flüssig spricht er neben Deutsch aber nur eine Sprache: Oostfreeske Taal. Das ostfriesische Platt. Oltmanns kommt aus Esens im Landkreis Wittmund.
Der Job am Wasser wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Gleich nach dem Abitur machte er ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Seemannsmission in Altona, anschließend Zivildienst bei der Seemannsmission in Bremerhaven. Am Rauhen Haus studierte er Sozialarbeit und ließ sich zum Diakon ausbilden. Wenn nicht die Fältchen in seinem Gesicht wären, man könnte Oltmanns immer noch für einen Zivi oder Studenten halten. Die langen Haare, der drahtige Körper, die fröhlichen blauen Augen verleihen ihm eine jugendliche Ausstrahlung.
Seemannsdiakon: „Es war keinen einzigen Tag langweilig“
Genau diese Mischung aus Jugendlichkeit und Erfahrung war es, die Oltmanns so wertvoll für die Seeleute machte. Routine – das gab es für ihn nicht. „Es war keinen einzigen Tag langweilig“, sagt Oltmanns.
„Das Schönste für mich ist der Kontakt zu Menschen“, sagt der 65-Jährige. Mal könne er direkt helfen, zum Beispiel wenn es um Auslandsüberweisungen an kranke Familienangehörige ginge. Oder wenn ein Seemann den Schlüssel seiner Ehefrau, den er versehentlich mitgenommen hat, dringend zurück schicken muss.
Oft muss Oltmanns aber auch einfach nur zuhören. „Das Schwierigste ist die Einsamkeit“, weiß der Diakon. Wenn ein Seemann beispielsweise als einziger Filipino monatelang mit einem rein polnischen Team unterwegs ist, dann sorge das für ein Gefühl der Isolation. „In solchen Situationen bin ich vor allem Seelsorger“, sagt Oltmanns.
Hamburg: Im Seemannsclub „Duckdalben“ können Matrosen auf Landsleute treffen
Hilfreich für die heimwehgeplagten Seeleute ist es dann, dass sie im „Duckdalben“ auf Landsleute treffen können. In dem roten Backsteinbau gleich neben dem Eurogate-Terminal können sie klönen, Billard spielen, haben Wlan-Zugang und anders als in allen Seemannsclubs auf der Welt, wird das Bier, wird die Schokolade dank der Spenden vieler Hamburger Bürger nicht zu überteuerten Preisen verkauft.
Aufgrund seiner Beliebtheit wurde der „Duckdalben“ deshalb vor Jahren zum besten Seemannsclub der Welt ausgezeichnet. Seit Beginn der Corona-Pandemie bietet der „Duckdalben“ zwei Mal die Woche kostenfreie Impfungen für die Seeleute an. „Bei uns wird mehr geimpft als sonstwo in der Stadt“, sagt Oltmanns stolz.
Mit dem Herzen sehen: Seemannsdiakon Oltmanns liebt den kleinen Prinzen von Saint-Exupéry
Selbst zur See gefahren ist der Diakon nur ein Mal: Eine Woche lang fuhr er auf einem Frachter von Durban nach Kapstadt mit. „Mir ist so schlecht gewesen“, erinnert sich Oltmanns. Bis heute war es für ihn eine wichtige Erfahrung: „Ich habe das Leben an Bord kennengelernt. Die harte Arbeit, das Gefühl der Abhängigkeit, der Selbstaufgabe“, sagt Oltmanns. Sein Verständnis für die Seeleute ist seitdem noch größer.
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Das Motto, das Oltmanns Leben bestimmt, stammt aus dem kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Darum geht es ihm: Mit dem Herzen zu sehen. „Es ist für mich das schönste Buch der Welt“, sagt Oltmanns, der verschiedene Ausgaben des 1943 erstmals erschienen Märchens sammelt. 80 Bücher hat er schon – in 54 Sprachen.
Der Abschied vom „Duckdalben“ fällt Oltmanns nicht leicht. Helfen tut ihm das große Vertrauen, das er in seinen Nachfolger Sönke Wichmann setzt. Und: „Seit zwei Wochen gibt es zwei gute Gründe aufzuhören“, lacht Oltmanns und sieht dabei überglücklich aus. Er ist Großvater von Zwillingen geworden. Wie schon bei zwei älteren Enkeltöchtern will Oltmanns aktiv in die Betreuung einsteigen. Sich mit vollem Herzen um andere zu kümmern – das ist Oltmanns Lebensaufgabe.