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  • Der alte Hannoversche Bahnhof in Hamburg: Unser Foto zeigt Soldaten des Infanterieregiments 76 bei ihrer Rückkehr von der Front im Dezember 1918. Viele Soldaten tragen den Erreger der Spanischen Grippe in sich.
  • Foto: Staatsarchiv Hamburg

Der Tag, an dem …: Die Spanische Grippe – eingeschleppt von Soldaten

Vor 102 Jahren traf es Deutschland, traf es Hamburg schon einmal äußerst hart. Die Spanische Grippe grassierte ausgerechnet im Kriegsjahr 1918, als die Bevölkerung durch Hunger und Not sowieso schon geschwächt war. Im Deutschen Reich starben bis 1920 etwa 500.000 Menschen an der Viruserkrankung. Weltweit waren es rund 50 Millionen Tote – damit forderte die Grippe weit mehr Opfer als der Krieg.

Zahlen für Hamburg gibt es zwar nicht. Aber hochgerechnet könnten es gut 8500 Tote in der Stadt gewesen sein. Dass davon trotzdem heute selten die Rede ist, es nirgendwo ein Denkmal für die Opfer gibt, hat einen simplen Grund: Die Menschen waren nach vier Jahren Krieg an den Tod gewöhnt. Die nahezu zeitgleich erfolgte Kapitulation der deutschen Armee und der Zusammenbruch des Kaiserreiches überlagerten alles. In der öffentlichen Wahrnehmung spielte die Epidemie kaum eine Rolle.

Spanische Grippe: Erreger entstand im Mittleren Westen der USA

Es ist der 27. Mai 1918, als der Begriff „Spanische Grippe“ das erste Mal die Runde machte. Diese Bezeichnung wählte die Nachrichtenagentur Reuters, als sie darüber berichtete, der spanische König Alfonso XIII. leide unter einer rätselhaften Krankheit und liege darnieder. Das „Hamburger Fremdenblatt“, bemühte sich um Beschwichtigung und äußerte die Vermutung, es sei gar nichts Neues, sondern bloß die Influenza, die Europa bereits 1889 heimgesucht hatte. Ein Irrtum.

Der Liveticker zum Coronavirus in Hamburg

Auch, wenn die Erkrankung Spanische Grippe genannt wird – entstanden ist der Erreger im Mittleren Westen der USA. In Mobilisierungslagern der US-Armee in Kansas, wo zehntausende Männer auf engstem Raum für den Kriegseinsatz in Europa gedrillt wurden, gab’s die ersten Infektionen. Drei Wochen später traf das Virus mit den amerikanischen Truppentransporten in Frankreich ein – und verbreitete sich in alle Himmelsrichtungen.

500.000 deutsche Frontsoldaten erkrankt

Im Rahmen ihrer Frühjahrsoffensive 1918 machten die deutschen Truppen zahlreiche britische, französische und amerikanische Gefangene – und steckten sich an. Schnell waren 500.000 deutsche Frontsoldaten krank. Ab Juni 1918 wurden sie zur Erholung in die Heimat verlegt – so erreichte das Virus Städte wie Hamburg.

Die erste Welle im Frühsommer verlief noch harmlos. Als im September/Oktober 1918 die zweite Welle anrollte, starben die Menschen wie die Fliegen. Dass es sich beim Erreger um ein Virus handelte – er wurde erst 1933 entdeckt – wussten die Mediziner nicht, wohl aber, wie er sich überträgt. Deshalb war auch klar, was die richtigen Maßnahmen gewesen wären: die Schließung von Schulen, Kinos, Theater und der Verbot größerer Versammlungen. Doch es passierte ist – nichts. Es war Krieg. Den Leuten auch noch das letzte Vergnügen zu nehmen – das wagte die Reichsregierung nicht.

Spanische Grippe: Schreckliche Symptome

Und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Der Hamburger Medizinhistoriker Professor Philipp von Osten berichtet davon, dass während des Ersten Weltkriegs der Rohbau der Pathologie in Eppendorf (in dem sich heute das Medizinhistorische Museum befindet) wegen der Epidemie zur Unterbringung von Kranken genutzt wurde. „In Krankenakten aus der Zeit finden sich“, so Osten, „ständig Einträge wie ,hat Grippe‘ oder ,beide Eltern an Grippe erkrankt‘.“

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Was den Erreger so gefährlich machte: Er löste eine Überreaktion des Immunsystems aus. Die Abwehrkräfte des Körpers beließen es nicht dabei, eindringende Viren zu neutralisieren, sondern griffen auch die eigenen Körperzellen an. Genau deshalb war es vor allem die Gruppe der 18- bis 40-Jährigen mit besonders starkem Immunsystem, die unter dem Influenza-A-Virus H1N1, so die Fachbezeichnung für die Spanische Grippe, am meisten litt. Die Kranken bluteten aus Nasen und Ohren, spuckten Blut, liefen aus Sauerstoffmangel im Gesicht blau an – und starben vielfach.

St. Louis reagierte richtig

Was können wir lernen aus der Spanischen Grippe? Etwa, dass es beim Kampf gegen eine solche Pandemie darauf ankommt, wie entschlossen Behörden reagieren. Schauen wir uns dazu an, was 1918 in den USA passierte: In Philadelphia fand im Herbst eine große Militärparade statt – 200.000 Menschen waren auf den Straßen. Drei Tage später waren die Krankenhäuser zum Bersten gefüllt.

Und in St. Louis? Da schloss die Stadt zwei Tage nach den ersten Krankheitsfällen Schulen und Kindergärten und untersagte Menschenansammlungen. Die Folge: die Ausbreitung der Epidemie verlangsamte sich, die Todesfallrate wurde um die Hälfte reduziert.

Verschwörungstheorien rund um die Spanische Grippe

Was es auch bei der Spanischen Grippe schon gab: Verschwörungstheorien und die Suche nach Sündenböcken. 1918 waren in in den USA viele überzeugt, die Deutschen hätten das Bayer-Produkt Aspirin mit dem Erreger versehen, um so den Kriegsgegner zu schwächen. Und in Südafrika war es für viele Weiße ausgemachte Sache, dass die mangelnde Hygiene der Schwarzen die Krankheit auslöse – die Apartheid, die offiziell erst 1948 begann, hatte ihren Ursprung in der Grippewelle von 1918.

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