Nach 50 Jahren: Hamburgs Kerzen-König steht vor dem Ruin
Kerzen, eine riesige Halle voll, von zierlichen Weihnachtsbaumkerzen bis zu hüfthohen Altarkerzen, und mittendrin er: Ralf Keller (79), der vor 50 Jahren das Unternehmen „Kerzen Keller“ gegründet hat. Jetzt steht der einstige Kiez-Kellner vor dem Ruin, es sei denn, es geschieht ein Wunder.
Vor der großen Halle auf dem Gut Wendlohe in Schnelsen, seit rund 20 Jahren Kellers Warenlager, steht ein weißer Transporter: „Kerzen Keller kleine Kosten“, steht darauf, und: „Von der Wiege bis zur Bahre: Kerzen Keller hat die Ware“. Platz ist auch für: „Kenner kaufen Keller Kerzen“. Wenn Ralf Keller und seine Lebensgefährtin mit diesem Gefährt das Lager leeren wollen, sind sie Weihnachten noch nicht fertig.
- Deutsch (Deutschland)
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Kerzen, eine riesige Halle voll, von zierlichen Weihnachtsbaumkerzen bis zu hüfthohen Altarkerzen, und mittendrin er: Ralf Keller (79), der vor 50 Jahren das Unternehmen „Kerzen Keller“ gegründet hat. Jetzt steht der einstige Kiez-Kellner vor dem Ruin, es sei denn, es geschieht ein Wunder.
Vor der großen Halle auf dem Gut Wendlohe in Schnelsen, seit rund 20 Jahren Kellers Warenlager, steht ein weißer Transporter: „Kerzen Keller kleine Kosten“, steht darauf, und: „Von der Wiege bis zur Bahre: Kerzen Keller hat die Ware“. Platz ist auch für: „Kenner kaufen Keller Kerzen“. Wenn Ralf Keller und seine Lebensgefährtin mit diesem Gefährt das Lager leeren wollen, sind sie Weihnachten noch nicht fertig.
Dabei drängt die Zeit: Nach jahrelangem Rechtsstreit wegen Wasserschäden und verweigerter Mietzahlungen muss Ralf Keller die Halle auf dem Gelände des Gutshofes räumen, besser heute als morgen. „Juristisch ist das Ding durch“, stellt der Mann mit dem Herzen für Kerzen nüchtern fest.
„Kerzen Keller“: Eine Lagerhalle voller Kerzen und Servietten
Das Problem liegt in unzähligen Hochregalen: Bis zur Decke stapeln sich die Paletten mit Stabkerzen, Paarkerzen („Zitrone, Lila, Flieder, Orchidee“), Kugel-, Stumpen- und Schwimmkerzen, mit Teelichtern und dicken weißen Kirchenkerzen mit 3000 Stunden Brenndauer. Keller zeigt auf einen Karton voll hellblauer Weihnachtsbaumkerzen: „Braucht ja keiner mehr, haben ja alle Lichterketten.“
Dazwischen Hochregale mit Kartons voller Servietten in allen Farben, mit Gläsern von Schnaps bis Weißbier. „Alles, was die Gastro an Nicht-Essbarem braucht“, fasst Ralf Keller sein Warenangebot zusammen: „Wenn jemand Fußmatten wollte, hatte ich die auch.“ Ein paar liegen noch in einer Ecke.
Rock’n Roll mit Rosi Sheridan
Wo soll das bloß alles hin? „Tja“, sagt der Kerzenkaufmann, der mal Kiez-Kellner war, davor Tankwart gelernt hat und „immer noch Rock’n Roll Freak“ ist. Und dann erzählt er von der schönen Zeit damals, in den 60er Jahren, als die junge Rosi Sheridan, heute legendäre Grand Dame vom Kiez, seine Rock’n Roll-Partnerin war: „Wenn irgendwo Preistanzen war, sind wir hin. Rosi war die Frau mit den fliegenden Beinen.“ Der junge Rock’n Roller hat im Starclub gearbeitet, als die Beatles auftraten, hat mit „Stahlnetz“-Erfinder Jürgen Roland geplaudert und im noblen Hotel Bellevue an der Außenalster gekellnert.
Gastro, das war sein Ding, die Tankwartslehre damals, die hat er nur dem Vater zuliebe beendet, der Beamter war und vor dem Krieg Oberbürgermeister in einem Ort an der Weichsel: „Ich bin aber nach Hamburg gekommen, da war ich so“, sagt Ralf Keller und hält seine Hände auf Babygröße auseinander. Als er vor 50 Jahren selbst Vater wurde, gab er das Kellnern auf und gründete „Kerzen Keller“, zunächst in einem 12-Quadratmeterladen in Hoheluft.
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Was Wirte wollten, wusste er ja und tatsächlich war das Wachsbusiness jahrelang ein Wachstumsbusiness: „Kerzen Keller“ belieferte die großen Hamburger Namen. Ganz oben im Regal steht noch ein Serviettenkarton mit der Aufschrift „Löwenkopf“. „Die waren für den König der Löwen“, sagt Ralf Keller.
Abwärts ging es nach dem Wasserschaden 2008, als er 60 Kubikmeter Kerzen und Fließtücher entsorgen musste. 90.000 Euro weg, die Versicherung wollte nicht zahlen, der Ärger mit dem Vermieter begann. „Und seit Corona bestellt auch keiner mehr Servietten und Kerzen“, stellt Keller fest. Worauf er hoffe? „Tja“, sagt er wieder. „Was soll ich noch machen?“ Und dann: „Vielleicht gibt es ja jemanden, der sozial eingestellt ist und wo ich meine Ware unterstellen kann.“
Ruhestand kommt nicht in Frage, auch wenn die einstigen Tanzbeine nicht mehr wollen: „Nee, dann bin ich ruckzuck tot.“ Keller brennt noch immer für seine Kerzen.