„Der Kiez ist in den vergangenen Jahren aggressiver geworden“
Kaum jemand kennt den Kiez so gut wie sie: Dragqueen Valery Pearl, die seit fast 20 Jahren im Hamburger Nachtleben zuhause ist. In ihrer Beobachtung hat das Aggressionspotenzial gegenüber queeren Personen deutlich zugenommen – das zeigt auch die deutlich gestiegene Zahl der registrierten Straftaten gegenüber homo- und transsexuellen Personen. Warum ist das so und vor allem: Wie kann sich das ändern? Darüber hat die MOPO mit Valery Pearl gesprochen, die eine neue Kampagne unterstützt.
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Kaum jemand kennt den Kiez so gut wie sie: Dragqueen Valery Pearl, die seit fast 20 Jahren im Hamburger Nachtleben zuhause ist. In ihrer Beobachtung hat das Aggressionspotenzial gegenüber queeren Personen deutlich zugenommen – das zeigt auch die deutlich gestiegene Zahl der registrierten Straftaten gegenüber homo- und transsexuellen Personen. Warum ist das so und vor allem: Wie kann sich das ändern? Darüber hat die MOPO mit Valery Pearl gesprochen, die eine neue Kampagne unterstützt.
MOPO: Was bedeutet der Kiez für Sie?
Valery Pearl: Inzwischen ist der Kiez für mich zu einer Heimat geworden. Hier hat alles angefangen. Meine ersten Schritte als Dragqueen habe ich zwar in einer Bar auf St. Georg gemacht, aber St. Pauli war der Ort, der mich ins Hamburger Nachtleben geführt hat – und auch überzeugt hat, zu bleiben.
Wie hat sich St. Pauli über diese ganze Zeit verändert?
Das Schöne ist, dass der Kiez inzwischen viel offener geworden ist und allein durch die Kiez-Führungen sehr viel dazugewonnen hat. Aber ich finde, früher war das Nachtleben hier entspannter, der Kiez ist in den vergangenen Jahren aggressiver worden. Vor allem seit den zwei Pandemiejahren hat das meiner Meinung nach enorm zugenommen. Weil solange kein Nachtleben möglich war, gab es einen sehr hohen Nachholbedarf, wodurch aber wiederum der Alkoholkonsum und damit die Aggressionen gestiegen sind.
Haben Sie selbst Diskriminierung oder Gewalt erlebt?
Gott sei Dank habe ich selbst noch nie einen körperlichen Angriff erleben müssen. Ich kenne das natürlich, dass mir Sprüche hinterhergerufen werden. Die ignoriere ich dann immer und gehe einfach weiter, obwohl das natürlich auch kein schönes Gefühl ist. In meinem Umfeld wurden aber schon viele Leute angegriffen, weil sie queer sind. Dadurch, dass ich seit 20 Jahren hier unterwegs bin, würde ich mich selbst auch als Ansprechpartnerin in der Community bezeichnen. Gerade in den letzten anderthalb Jahren wurden es immer mehr Fälle.
Wird denn aus Ihrer Sicht ausreichend dagegen vorgegangen?
Ich finde, dass die Polizeipräsenz teilweise nicht groß genug ist. Sie ist es an den Hotspots, aber eben nur da. Vor einem Jahr an Halloween wurden zwei schwule Bekannte von mir heftig vor der „WunderBar“ zusammengeschlagen. Ein Ort, der eigentlich ein Safe Space für die Community sein sollte. Die Politik hat zwar danach fantastische Ansätze vorgestellt, aber ich habe nicht das Gefühl, dass die Polizeipräsenz seitdem stärker geworden ist. Das müssen nicht einmal zehn Beamte sein, es reichen auch ein oder zwei Personen.
Also ist die Aufmerksamkeit nur dann da, wenn etwas passiert …
Ja, aber wir haben inzwischen zwei Ansprechpartner bei der Polizei für die LGBTQIA+ Themen, die einen fantastischen Job leisten. Die beiden sollen ja auch nach innen wirken, also zum Beispiel die Sensibilität von Polizeikräften im Umgang mit betroffenen Personen erhöhen. Es passiert schon etwas, aber die Präsenz ist eben immer noch zu wenig. Es sind 67 Angriffe im vergangenen Jahr bekannt, aber die Dunkelziffer wird deutlich höher sein. Viele – nicht nur queere Personen – tragen nach derartigen Vorfällen eine Art Scham mit sich. Dieser hält sie leider oft davon ab, Anzeige zu erstatten.
Was muss sich neben mehr Polizeipräsenz also noch ändern?
Auch im Bereich der Security und den Türstehern muss mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Ich kenne einen Fall, als es einen Angriff vor einem Club gab und der Türsteher sagte: Wenn du so herumläufst, darfst du dich auch nicht wundern. Genau da setzt die Kampagne des „BID Reeperbahn+“ an.
Wofür steht die Kampagne?
Die Kampagne „Lieb Sein!“ soll alle, die auf der Reeperbahn unterwegs sind, ermahnen, respektvoll miteinander umzugehen. So soll die DNA von St. Pauli erhalten bleiben: Jeder kann hierherkommen, egal wie alt man ist oder aussieht, wo man herkommt, queer oder nicht. Auf den Plakaten gibt es außerdem den wichtigen Hinweis, sich im Falle einer Bedrohung an die Polizei-Notfallnummer 110 oder an das Quartiers-Personal zu wenden. In erster Linie soll die Kampagne Aufmerksamkeit schaffen – und im zweiten Schritt hoffentlich auch die Aggression weniger werden lassen.