Der irre Eichhörnchen-Zoff an den Landungsbrücken
Keine hundert Meter weiter an den Landungsbrücken ziehen täglich die Touristenschwärme vorbei. Aber auf einem kleinen Biotop am Venusberg und auf dem Spielplatz am Eichholz spielen sich Szenen ab wie aus einer Wildnis-Tierreportage. Ein Neustädter kümmert sich dort liebevoll um die ansässigen Eichhörnchen. Allerdings: Nicht alle Nachbarn sind darüber erfreut.
Eigentlich sind wir für eine andere Geschichte unterwegs im Portugiesenviertel. Da fällt uns ein Mann auf, der in das bewaldete Stück am Venusberg klettert, irgendwelche Dinge im Baum deponiert. Was ist da los? Sind wir gerade Zeugen einer Drogenübergabe geworden? „Das ist Eichhörnchen-Artur“, sagt uns ein Nachbar am Hafentor. „Macht mal ’ne Geschichte über den. Lohnt sich!“
Disclaimer: Dieser Text ist ein MOPO-Klassiker aus dem Archiv
Keine hundert Meter weiter an den Landungsbrücken ziehen täglich die Touristenschwärme vorbei. Aber auf einem kleinen Biotop am Venusberg und auf dem Spielplatz am Eichholz spielen sich Szenen ab wie aus einer Wildnis-Tierreportage. Ein Neustädter kümmert sich dort liebevoll um die ansässigen Eichhörnchen. Allerdings: Nicht alle Nachbarn sind darüber erfreut.
Eigentlich sind wir für eine andere Geschichte unterwegs im Portugiesenviertel. Da fällt uns ein Mann auf, der in das bewaldete Stück am Venusberg klettert, irgendwelche Dinge im Baum deponiert. Was ist da los? Sind wir gerade Zeugen einer Drogenübergabe geworden? „Das ist Eichhörnchen-Artur“, sagt uns ein Nachbar am Hafentor. „Macht mal ’ne Geschichte über den. Lohnt sich!“
„Tschuck-tschuck – das machen die Eichhörnchen, wenn sie aufgeregt sind“
Kurz darauf sind wir verabredet mit Artur Fischer-Meny (46), Radio-Journalist und passionierter Liebhaber der kleinen orangeroten Nager. „Großstadt-Eichhörnchen“ nennt sich seine Facebook-Seite. Auf der postet der Hörnchen-Papa liebevoll gestaltete Videos, in denen er meist seine Schützlinge füttert. Oder sie beim Kommunizieren aufnimmt. „Wuck-wuck“ würden sie immer machen, sagt er. Oder aber: „Tschuck-tschuck – das machen sie, wenn sie aufgeregt sind.“ „Singen“ könnten sie auch, im Video klingt es wie Wehklagen. Soll aber wohl vor Feinden warnen, die das Revier bedrohen.
Apropos Feinde: Die hat Arturs Projekt im Grunde, seit er vor fünf Jahren anfing, gelbe Warnschilder aufzustellen, die Autofahrer warnen sollten: „Squirrel Crossing“ stand zunächst drauf. Zu Deutsch: Eichhörnchen queren. Vergleichbare Schilder kennt man aus Australien für Kängurus. Einer von Arturs späteren Schützlingen war angefahren worden. Was folgte, war ein ewiges Hin und Her. Jemand baute die Schilder ab, der Eichhörnchen-Papa sie wieder auf. Der Streit schaukelte sich hoch.
„Stellt euch das mal vor: Melooouuunen! Hier in Hamburch!“
Das alles erfahren wir allerdings nur von den Nachbarn, Artur mag eigentlich nicht mehr reden über die Vorfälle, nach jahrelangem Streit herrscht gerade so etwas wie eine Feuerpause. „Das Bezirksamt hat die Schilder irgendwann genehmigt“, berichtet Fischer-Meny. Sogar die Bäume, die über den Venusberg ragen, werden an einer Stelle nicht mehr so stark beschnitten, damit die kleinen Nager von Zweig zu Zweig über die Straße hüpfen können.
Außerdem hatte Artur damals angefangen, kleine Nuss-Futter-Stationen aufzustellen. Seitdem befüllt er die täglich. Hauptsächlich mit ausgesuchter Bioware eines süddeutschen Anbieters. Auch Ungewöhnliches steht auf dem Speiseplan: Äpfel etwa, Bananen oder auch Melonen. „Die sind im Sommer ein klasse Ersatz für Trinken“, sagt „Eichhörnchen-Artur“. Um die Melonen-Stücke zu lagern, würden die Nager sie auf Zweigen im Baum aufspießen.
„Stellt euch das mal vor“, sagt eine Nachbarin, die nicht mit Namen genannt werden mag, im leicht nordischen Slang: „Melooouuunen! Hier in Hamburch! So ein Eichhörnchen soll Bucheckern essen und nicht so’n Biokram aus Süddeutschland!“
Irgendwie muss sich der Eichhörnchen-Streit seltsam hochgeschaukelt haben
Das eigentliche Thema beim Streit seien aber nicht die Hörnchen selbst. Sondern der Fanatismus von Fischer-Meny. Kameras habe der mal aufgestellt. Zur Dokumentation. Davon hätten sich aber Nachbarinnen gestört und beobachtet gefühlt.
Wie gesagt: Irgendwie muss sich der Streit seltsam hochgeschaukelt haben. Alle Beteiligten haben irgendwann verpasst, abzubiegen. Wird über die Gegenseite geredet, klingt das eher, als rede man über einen nervigen Verwandten. Dennoch: Es habe Anzeigen wegen Nuss-Station-Zerstörung gegeben, Hörnchen-Fallen hätten sich als Ratten-Fallen herausgestellt, Schläge seien dem Eichhörnchen-Papa angedroht worden, der wiederum drohe ständig allen.
„Chap“ kommt während des Interview-Termins vorbei, beschnuppert die MOPO-Reporter
Dabei geht es eigentlich doch um etwas Schönes. Geradezu herzzerreißend sind die Videos, in denen Artur mit den Hörnchen kommuniziert, sie mit Bio-Nüssen füttert. „Chap“ kommt während des Interview-Termins vorbei, beschnuppert uns Reporter. Enkelchen, Spiderhorn, Fleckchen: Fischer-Meny hat allen Namen gegeben, kann sie auseinanderhalten. Weit über Hamburgs Grenzen hinaus werden seine Videos verfolgt und mit Herzchen kommentiert.
Muck Giovanett (52) war lange ein Widersacher von Fischer-Meny, wohnt in der „Reimers-Burg“, einem Haus zwischen Venusberg und Eichholz. „Er greift in den Hausfrieden ein, man fühlt sich permanent beobachtet“, sagt Giovanett. „Er hatte sogar Kameras auf dem Spielplatz aufgestellt.“
Im Dezember habe es aber ein Mediatoren-Treffen mit dem Bezirksamt gegeben. Seitdem scheint man sich geeinigt zu haben: Eichhörnchen-Artur filmt nicht mehr auf Häuser, bleibt am Venusberg. Alle Beteiligten hoffen jetzt, dass der „Reimers-Burgfrieden“ lange anhält.