40 Jahre im Job ohne Arbeitsvertrag: Er war der „Herr der Kräne“
Ein Leben ohne Sietas? Das kann sich Thorsten Pass gar nicht vorstellen. Der 61-Jährige hat fast sein ganzes Leben bei Hamburgs ältester Traditionswerft verbracht. Nun ist der Betrieb stillgelegt. Und der Werftarbeiter muss traurig mit ansehen, wie der Ort, der fast sein zweites Zuhause war, nach und nach verschwindet.
Ein Leben ohne Sietas? Das kann sich Thorsten Pass gar nicht vorstellen. Der 61-Jährige hat fast sein ganzes Leben bei Hamburgs ältester Traditionswerft verbracht. Nun ist der Betrieb stillgelegt. Und der Werftarbeiter muss traurig mit ansehen, wie der Ort, der fast sein zweites Zuhause war, nach und nach verschwindet.
Wenn Thorsten Pass an seinen ersten Arbeitstag auf der Sietas-Werft in Neuenfelde denkt, dann wird ihm ganz warm ums Herz. „Der alte Sietas hat mich noch per Handschlag eingestellt“, erzählt der Mann, der für den Transport und die Einlagerung von Teilen auf dem Gelände zuständig war. „Ich habe nie einen Arbeitsvertrag bekommen. Bis heute nicht.“
Insolvente Sietas-Werft: „Früher war das ein richtiger Familienbetrieb“
Beunruhigt hat ihn das nie. Pass hat auch nie um eine Korrektur gebeten. „Das war damals eine ganz andere Zeit“, erinnert sich der Werftarbeiter. Für Pass war Werft-Chef Johann Jacob Sietas, dessen Namenszug als J.J.Sietas noch immer auf vielen der stillgelegten Apparaturen prangt, eine Art Vaterfigur. „Das war ein richtiger Familienbetrieb. Und wir waren eine Gemeinschaft.“

21 Jahre jung war Thorsten Pass, als er 1982 direkt nach der Ausbildung bei Sietas anfing. Dass er nicht aus dem Hafen kam, sondern aus dem Kaufmännischen und ein Quereinsteiger war – Schwamm drüber. Das interessierte keinen. „Damals gab es noch etwas, was es heute nicht mehr gibt: Wertschätzung“, erzählt Pass.
Zum Geburtstag gab es vom Chef fünf Mark pro Beschäftigungsjahr geschenkt
Jedem Mitarbeiter wurde das Gefühl gegeben, dass er unverzichtbar ist. Dass er dazu gehört. „Wenn man Geburtstag hatte, ist man hoch gegangen zum Chef und hat fünf Mark für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit bekommen“, erinnert sich Pass.
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Das war die Zeit, als die Auftragsbücher voll waren. Als Schiffe an den Kaianlagen Schlange standen und alle Docks belegt waren. „Es gab massig zu tun“, sagt Pass. Das Ausmaß des Werftgeländes und die Größe der Kantine vermitteln eine Ahnung von dem Hochbetrieb, der hier mal herrschte und den Thorsten Pass – Spitzname „der Herr der Kräne“ – oft von hoch oben beobachtete.
Sietas-Werft: Die erste Insolvenz war ein Schock für die Arbeiter
Auch nach dem Tod des alten Sietas und der Übernahme seines Sohnes Hinrich blieb zunächst alles beim Alten. Rauher wurde es erst mit Beginn der Schifffahrtskrise. Erst wurde storniert, dann schwanden die Aufträge. Die HSH-Nordbank, größter Gläubiger der Werft, setzte ein neues Management ein – zum ersten mal seit 350 Jahren lag die Werft-Leitung nicht mehr in Familienhand.

Ende 2011 dann die erste Insolvenz. Ein Schock für Pass und seine Kollegen. Ab da zog die Angst um den Arbeitsplatz ein. Und tatsächlich mussten Hunderte gehen. „Das war sehr schmerzhaft für alle. Es sind ja über die Jahre viele Freundschaften entstanden.“ Und auch nach Übernahme durch die russische Pella Shipyards wurde es nie wieder so wie zuvor.
Wer kauft die Pleite-Werft in Neuenfelde?
Irgendwann ging es für Thorsten Pass nur noch ums Durchhalten. Genau wie jetzt nach der erneuten Insolvenz. Vier Jahre fehlen ihm bloß bis zur Rente. Doch ob er noch so lange bleiben kann, ist ungewiss. Nach wie vor gibt es keinen Käufer, der die Werft oder das auch industriell nutzbare Gelände aus der Insolvenzmasse retten könnte.
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Pass hofft nur eins: Dass er irgendwie bei seinen geliebten Kränen bleiben kann. Vor allem bei seinem „Jucho“ – dem weithin sichtbaren Portalkran, der so viel heben kann wie kaum ein anderer Kran in Norddeutschland und bis zuletzt Aushängeschild der Sietas-Werft war. Das Gerät könnte auch einem Nachfolge-Eigentümer nützlich sein.
„Jucho fahren – das kann nicht jeder“, sagt Thorsten Pass. Und dann steigt er in den wackeligen Fahrstuhl, der ihn schon unzählige Male die 65 Meter in die Höhe befördert hat und der schon so oft hängen geblieben ist. Thorsten Pass hat keine Angst mehr vorm Steckenbleiben. „Irgendwie geht es immer weiter.“