• Die Medienfassade des St.-Pauli-Klubhauses auf dem Spielbudenplatz.
  • Foto: pa/obs/Social Media Week

Der geteilte Kiez: Prunk-Bauten, Sauf-Buden und St. Pauli-„Schmuddel“

St. Pauli –

Das Licht spiegelt sich auf der Fassade der tanzenden Türme. Die Glaspaläste am Eingang der Reeperbahn sind ein Blickfang, ganz klar. Sie sind aber auch Symbol für einen anderen Kiez, eine Highend-Version St. Paulis, ein krasser Gegensatz zum Elend, das es nur wenige Meter weiter – rund um den Penny-Markt – auch gibt. Dazwischen wechseln sich Sauf-Klitschen, Neubauten, teure Bars und billigere Tanzlokale ab. Eine Meile der Gegensätze, die vermeintlich mit den Bewohnern St. Paulis nicht mehr viel gemein hat. Oder doch? Ein Ortsbesuch. 

Ein Montag Ende August. Zwei junge Frauen posen vor einem Graffiti. „Ich liebe mich“ steht da vor schwarzem Hintergrund auf dem Bauzaun, der sich fast über die gesamte östliche Südflanke des Spielbudenplatzes zieht. Die beiden 21-jährigen Touristinnen sind für ein paar Tage nach Hamburg gekommen. Jacinta, so heißt eine der Frauen, geht in die Knie und modelt für die Smartphone-Kamera: Hand zum Gesicht, Blick nach schräg unten.

Bauzaun als Instagram-Hotspot

Luisa (links) und Jacinta (rechts) vor dem Bauzaun am Spielbudenplatz.

Foto:

Daumann

Dass sich hinter ihrer Fotokulisse eine von Hamburgs wohl umstrittensten Baustellen verbirgt, wissen Jacinta und ihre Freundin Luisa nicht. „Es sieht einfach cool aus“, erklären sie ihre Motivwahl. Dabei wurden auf dem Grundstück hinter dem Zaun 2014 die Esso-Hochhäuser abgerissen – und mit ihnen 110 Wohnungen. Seitdem liegt das Grundstück brach, denn lange ließ sich keine Baugemeinschaft für das zentrale sogenannte Baufeld 5 finden. Nun ist die Stadt eingesprungen. 2021 sollen die Bauarbeiten des neuen „Paloma-Viertels“ starten, der Streit mit weiteren Investoren und Initiativen beigelegt sein. So der Wunsch.

Der Hamburger Kiez im Wandel

St.-Pauli-Klubhaus

Die Medienfassade des St.-Pauli-Klubhauses auf dem Spielbudenplatz.

Foto:

pa/obs/Social Media Week

Der Stadtteil St. Pauli ist im Wandel. Ob alte und neue Anwohner – in Initiativen und Bürgervereinen oder alleine – ansässigen Geschäfte, Clubs, Kult-Institutionen oder die Stadt selbst: Alle wollen die Entwicklung des Viertels mitgestalten. Hier prallen verschiedene Ideologien aufeinander, darunter mischt sich noch das Rotlichtmilieu und Partyvolk. Das ist schwierige Verhandlungsarbeit, die sich in dem durchmischten Stadtbild widerspiegelt: Die Wohnungen des „Pestalozzi-Quartiers“ wurden nur einen Steinwurf von der Partymeile „Große Freiheit“ entfernt gebaut, und als die maroden Esso-Hochhäuser noch standen, wurde der Spielbudenplatz schon durch Neubauten schick hergerichtet. Jetzt blinkt hier die Medienfassade des „Klubhauses-St-Pauli“ in der Nähe der denkmalgeschützten Fassade des ehemaligen „Apollo“-Hallenbads.

Geht der ursprüngliche Charakter des Kiezes durch die funkelnden Neubauten verloren? Gerade kommen zwei Touristinnen die Reeperbahn hochgebummelt, betreten den Spielbudenplatz von Westen her. „Im unteren Teil der Reeperbahn gibt es mehr zu gucken als hier“, findet die 35-jährige Maria. „Der Teil wirkt einfach viel authentischer.“ Einige Hamburg-Besucher freuen sich bei dem obligatorischen Besuch der legendären Vergnügungsmeile eben auf ein bisschen „Schmuddel“. Aber auch viele Anwohner hängen an dem alten „Look“ der Reeperbahn: Dieter Lohberger ist erster Vorsitzender des St.-Pauli-Bürgervereins. „Mir sind die alten Fronten zehnmal lieber als die schickimicki Fassaden“, sagt er. „Man soll doch erkennen können, dass man in Hamburg ist und nicht in irgendeiner anderen x-beliebigen Großstadt.“ Andererseits könne man aber auch froh sein, wenn jemand investiert, meint er.

Das könnte Sie auch interessieren:  Paulihaus besiegelt! Berliner Milliardär erhält Zuschlag für umstrittenes Bauprojekt.

In den Tanzenden Türmen spült Philipp Roschka mit schwarzem Hut und einem gemusterten Tuch, das er als Maske trägt, gerade ein paar Gläser aus. Der 33-Jährige ist „General Manager“ der schicken Craft-Beer-Bar „BrewDog“ im Erdgeschoss der Hochhäuser. Die Brauerei wurde 2007 in Schottland gegründet, mittlerweile ist das Unternehmen weltweit vertreten – seit Sommer 2019 auch mit einer Location auf der Reeperbahn.

Philipp Roschka

Philipp Roschka ist General Manager des BrewDog.

Foto:

Roeer

Edle Biere im „BrewDog“ in Hamburg

Hier gibt es bodentiefe Fenster, Industrie-Look, Sitznischen, aber auch Gruppentische aus Holz und Sitzmöbel mit dunkler Lederoptik. Hinter dem Tresen sind die ausgeklügelten Biere mit Namen wie „Vagabond“, „Elvis Juice“ oder „Obstkomplott“ aufgelistet. 6,75 Euro kosten hier 0,5 Liter des „Hausbieres“. Roschka findet den Preis berechtigt: hochwertige Zutaten, keine Massenproduktion, auch die Miete in den Tanzenden Türmen spielt eine Rolle.

Für Touristen aus Skandinavien und Großbritannien sind die Preise noch günstig. Ungefähr 50 Prozent der Gäste machen die ausländischen Touristen aus, schätzt Roschka. Auch die kulturellen und touristischen Angebote am Spielbudenplatz locken viele Besucher in Gegend – und verleiten dazu, in die Bar-Container auf dem Spielbudenplatz und die umliegenden Lokalitäten wie dem „BrewDog“ einzukehren. „Die meisten Gäste kommen zum Genießen her“, sagt der 33-jährige Bar-Leiter zur MOPO. Nur ganz alteingesessenen St. Paulianern würde man hier weniger begegnen. Auch Roschka selbst wohnt nicht in St. Pauli – übrigens auch niemand anderes des „BrewDog“-Personals.

In der Kult-Kneipe „Zum Silbersack“ geht es ursprünglicher zu

Alte Seebären, wie man sie noch aus alten St.-Pauli-Geschichten kennt, findet man wohl eher einige hundert Meter weiter westlich. Hier steht Dominik Großefeld hinter einem großen Holztresen. Er ist Wirt der Kult-Bar „Zum Silbersack“. Das Gebäude ist eines der letzten Flachbauten des Viertels, hat eine niedrige Decke, im Inneren dominieren Holzvertäfelungen mit Wandbildern. Aus der Juke-Box in der Ecke dudeln Schlager. 

Dominik Großefeld

Dominik Großefeld in seiner Bar.

Foto:

Roeer

Wie die Lokalitäten am Spielbudenplatz, kennt auch der „Silbersack“ den Rhythmus der Theatervorstellungen, denn Gäste und Schauspieler kehren auch hier ein. Dazu die üblichen Partygänger, aber eben auch Anwohner und Stammgäste. „Das Schönste am Silbersack sind die Gäste selber“, sagt Großefeld. „Sie machen die Stimmung hier aus und da kommt es darauf an, dass die Diversität dargestellt wird.“ 

Das könnte Sie auch interessieren:  Kiez-Areal wird umgebaut. Gibt’s hier bald Büros mit Raucharoma? 

Der 35-Jährige fühlt sich der Tradition der Kneipe verpflichtet, die seit zehn Jahren wie ein Zuhause für ihn ist. Er selbst wohnt nur einige Meter entfernt. Er hat den „Silbersack“ direkt von der Vorbesitzerin Erna Thomsen übernommen – in 70 Jahren Betriebsgeschichte ist er somit erst in zweiter Hand und eine der ältesten Institutionen auf der Reeperbahn. Ein Astra bekommt man hier für 2,40 Euro.

Kultkneipe Zum Silbersack

Die Kneipe „Zum Silbersack“ auf St. Pauli.

Foto:

Roeer

Gegen die neueren, schicken Bars um den Spielbudenplatz hat Großefeld trotzdem nichts. Im Gegenteil: „Das Erscheinungsbild des Spielbudenplatzes ist aktuell das Attraktivste, was die Reeperbahn zu bieten hat“, findet er. Die unterschiedlichen Barkonzepte der Meile bedienten eben verschiedene Nachfragen – und spiegelten die Diversität der Gesellschaft wieder, so Großefeld. Gerade diese Vielseitigkeit mache die Reeperbahn aus und ansprechend. 

Der Spielbudenplatz zwischen Touristen und Anwohnern

Jactina und Luisa haben inzwischen ihre Fotos gemacht und sind weitergezogen – vielleicht bis zum Schild der Davidwache, das bei Touristen ein ebenso beliebter Foto-Spot ist. Am Montagnachmittag könnte man die Lücke, die die Esso-Hochhäuser mit ihren Wohnungen in der Fassadenfront des Spielbudenplatzes hinterlassen haben, fast sinnbildlich in dem Publikum wiederfinden, das hier unterwegs ist: Touristen schlendern mit Rucksäcken und Kleinkindern mit großen Augen über den Platz, folgen geführten Touren oder stehen in der Schlange zum Panoptikum an, nur Anwohner sieht man hier keine.

Das könnte Sie auch interessieren:  „Prostituierte auf St. Pauli. Ein Schuldenberg, der abgearbeitet werden muss.“

Aber der Schein kann trügen: Ulla lebt seit zwölf Jahren in einer der Genossenschaftswohnungen des Bavaria-Quartiers um die Ecke. Besonders mittwochsabends verwandelt sich der Spielbudenplatz für die 62-Jährige zu einem Treffpunkt mit Freunden und Nachbarn, denn dann findet hier der Wochenmarkt statt, auf dem sie Fisch, Gemüse, Käse und Fleischwaren einkauft. Auch die Bar-Container werden von den Anwohnern gut angenommen, erzählt sie. „Auf der Reeperbahn bin ich allerdings seltener unterwegs“, sagt sie – und meint damit engeren Teil der Straße, westlich der Davidwache.

Nachtmarkt St. Pauli

Im August blieb der Nachtmarkt St. Pauli wegen Corona eher leer.

Foto:

Daumann

Für Mareike ist das ganz anders: Sie ist Mitte 30, lebt schon jahrelang im Stadtteil. Der Wochenmarkt ist für sie zu teuer. „Der Spielbudenplatz hat mit uns Anwohnern im Grunde nichts zu tun. Er ist total auf Touristen ausgerichtet“, kritisiert sie. Mareike arbeitet in einem der Bekleidungsgeschäfte im westlichen Teil der Reeperbahn. Der Spielbudenplatz sei für sie aber trotzdem gut – weil er Kunden anziehe, wie sie berichtet. Win-win also. Der neue Kiez, hilft dem alten beim Überleben.

Hamburger Reeperbahn: Schmuddel versus Eleganz

Aladin Center

Im westlichen Teil der Reeperbahn sieht die Straße nicht ganz so schick aus.

Foto:

Daumann

Von den hübschen Fassaden und dem sauber gepflasterten Spielbudenplatz ist im westlichen Teil der Reeperbahn kaum noch etwas zu sehen: Hier ist der Gehweg stellenweise marode und Straßenschilder stehen schief. Wohnungslose haben sich an der Straßenecke zum Hamburger Berg platziert. Vor der berüchtigten Penny-Filiale schnorrt eine Punkerin. Sie bessert hier regelmäßig ihr Harzt-IV-Einkommen auf.

Wer sich effizient betrinken will, besorgt sich ein paar Läden weiter Wodka-Bomben für etwa 4 Euro. Zumindest dann, wenn nicht gerade eine Pandemie strenge Auflagen zum Alkoholverkauf verlangt und auch die Clubs geschlossen hält.

Eleganz im Osten versus Schmuddel im Westen? Die Reeperbahn könnte als Straße schon etwas reinlicher werden, meint Dominik Großefeld. Letztlich habe in der St. Pauli-Szene der Begriff „Schmuddel“ aber nichts mit echtem Schmutz zu tun, sagt der Wirt. Es ginge dabei viel mehr um eine Einstellung: Freigeistigkeit, Individualität, Widerspenstigkeit. Deshalb hat er Aufkleber mit dem ideologischen Statement „St. Pauli bleibt dreckig“ auch nicht von den Pfeilern in der Mitte seiner Bar entfernt – die Sticker sind für ihn Teil der Kulturgeschichte St. Paulis und auch Kunst. Sie gehören einfach dazu. Wie eben auch die teuren Neubauten, die immer mehr werden. Ein geteilter Kiez, der aber irgendwie auch zusammengehört.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp