• Rassismusforscher Mark Terkessidis (53). Zuletzt erschien sein Buch "Wessen Erinnerung zählt?" über die koloniale Vergangenheit und Rassismus heute (HoCa, 22 Euro)
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Demos gegen Rassismus: Darum sind die Proteste auch bei uns so groß

Die Empörung ist groß: Weltweit sind seit dem Tod des US-Amerikaners George Floyd hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Auch in Hamburg sind am Sonnabend 14.000 Menschen auf die Straße gegangen. Freitag waren es 4500. Warum sensibilisiert das Thema so viele Menschen? Darüber sprach die MOPO mit dem Berliner Rassismusforscher Mark Terkessidis.

MOPO: Die USA sind weit weg und eine ganz andere Gesellschaft. Warum lockt der Fall George Floyd auch bei uns so viele Menschen auf die Straße?
Mark Terkessidis: Das hat verschiedene Gründe. Eine wichtige Rolle spielt sicher, dass die USA der globale Bilder-Lieferant sind. Egal ob Politik oder Populärkultur. Und die Bilder des sterbenden George Floyd mit dem Knie im Nacken sind ein extrem starkes Symbol. Das löst entsprechende Emotionen aus.

Aber die Bilder müssen ja auch woanders einen Nerv getroffen haben.
Die „Black-Life-Matters“-Diskussion in den USA ist über die Musik, Firme oder den Sport in die ganze Welt transportiert worden. US-Serien vermittel ein quasi hautnahes Gefühl der Verhältnisse in den USA. Und natürlich spielt Rassismus auch hierzulande für viele Leute eine Rolle, auch wenn es öffentlich nicht so wahrgenommen wird.

Der Vorfall war also der Funke, der das Thema zur Explosion gebracht hat?
Ja. Für die älteren Generationen ist das Thema vielleicht nicht so präsent. Aber Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer vielfältigen Gesellschaft auf. Sie haben selbst Diskriminierungserlebnisse oder Freunde und Freundinnen, die von solchen Erfahrungen erzählen. Sie sind viel sensibler für die Ungerechtigkeit, die es bedeutet, wenn jemand aufgrund seines scheinbar fremd klingenden Nachnamens keinen Job oder keine Wohnung findet.

Das erklärt, warum sich viele weiße Deutsche zu den Demos gegangen sind. Aber auch viele Menschen mit Migrationshintergrund und dunkelhäutige Deutsche waren dabei. Haben sie andere Gründe?
Ich denke, bei den Demos geht es nicht nur um George Floyd. Es geht auch um den NSU, um Hanau, um Verharmlosung. Der rassistische Anschlag vom 19. Februar ist als Thema von Corona komplett verdrängt worden. Aber er hat bei vielen Menschen eine tiefe Verunsicherung ausgelöst. Muss ich Angst haben, erschossen zu werden, wenn ich in eine Shisha-Bar gehe? Ich denke, die Teilnahme an den Demos ist für diese Menschen auch ein Weg, ihre Ängste deutlich zu machen und zu adressieren.

Es geht also bei den Demos nicht nur um den Rassismus gegenüber Schwarzen?
Ganz eindeutig. Die US-Diskussion um schwarz und weiß greift zu kurz. In Deutschland betrifft Rassismus Leute vieler verschiedener Herkünfte. Die jüngeren Menschen mit Migrationshintergrund sind ja alle Deutsche und verstehen es überhaupt nicht, dass sie wegen ihres Namens oder ihres Aussehens bei der Arbeitssuche oder bei Behörden diskriminiert werden. Dass das so ist, das wird ja durch viele Studien belegt.

Bei den Demos ging es nicht nur um Rassismus, sondern auch um Polizeigewalt. Ist das bei uns nicht ein ganz anderes Thema als in den USA oder auch in Frankreich?
Einerseits ja. Andererseits sind bei uns auch Fehler passiert. Die Polizei hätte im Anschluss an die NSU-Vorgänge eine Diskussion um strukturellen Rassismus führen und Konsequenzen für die eigene Arbeit ziehen müssen. Es wurde ja klar, dass es eine falsche Wahrnehmung gab, dass Morde an „Ausländern“ sofort im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität gesehen wurden und nicht mit Rechtsextremismus. Da fehlt es an Bewusstsein und Sensibilität. Es gibt es auch positive Entwicklungen: Es werden immer mehr Polizisten mit Migrationshintergrund eingestellt. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

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