Sie verbergen Namen und Identität: Hamburgs Juden in Angst
Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung – nur einige der Straftaten, die Hamburgs Polizei im Zusammenhang mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober in der Hansestadt verzeichnet hat. Stefan Hensel, Antisemitismusbeauftragter Hamburgs, spricht gegenüber der MOPO von „massiven Einschränkungen im alltäglichen Leben“. Die jüdische Gemeinde versuche, sich noch mehr zu verstecken, manche Mitglieder hätten sogar Angst, beim Lieferdienst ihren Namen anzugeben.
Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung – nur einige der Straftaten, die Hamburgs Polizei im Zusammenhang mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober in der Hansestadt verzeichnet hat. Stefan Hensel, Antisemitismusbeauftragter Hamburgs, spricht gegenüber der MOPO von „massiven Einschränkungen im alltäglichen Leben“. Die jüdische Gemeinde versuche, sich noch stärker zu schützen, manche Mitglieder hätten sogar Angst, beim Lieferdienst ihren Namen anzugeben.
Seit den Terrorangriffen auf Israel am 7. Oktober wurden in Hamburg 24 Straftaten in diesem Zusammenhang von der Polizei registriert (Stand 17. Oktober). Das geht aus der Senatsantwort auf eine aktuelle Anfrage der Grünen-Fraktion hervor. Das „Abendblatt“ berichtete zuerst.
Antisemitische Straftaten in Hamburg
Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2021 gab es 69 als antisemitisch eingestufte Straftaten in Hamburg, so der Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel zu den Zahlen der Polizei. 2020 waren es 54. Die Zahl für 2022 lag bei 73 Fällen, wie die Polizei Hamburg auf Anfrage des „Abendblatts” mitteilte.
Ein direkter Vergleich ist jedoch schwierig, da die Anfrage sich auf unterschiedliche Delikte im Zusammenhang mit den Terrorangriffen und Sympathiebekundungen gegenüber der Hamas bezieht. Es geht unter anderem um mehrere Sachbeschädigungen, Belohnungen und Billigungen von Straftaten, Bedrohungen und Volksverhetzung in mehreren Fällen.
Stefan Hensel: „Die Dunkelziffer ist höher”
„Wenn man die Zahlen an sich ansieht, scheint das vielleicht nicht viel“, sagt Hensel im Gespräch mit der MOPO. Aber zum einen würden manche Taten nicht erfasst, wie zum Beispiel der Angriff auf einen jüdischen Studenten vor einer Synagoge 2021. In diesem Fall wurde der Täter als psychisch krank eingestuft. „Die Frage ist dann aber trotzdem, warum er sich explizit einen Juden ausgesucht hat“, so Hensel. „Das andere ist, dass die Zahlen im Vergleich zu anderen Straftaten gering sind, weil Juden im Alltag oft Angst haben und nicht überall über ihre Identität sprechen.“

Er geht davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist. Deshalb führt er aktuell auch gemeinsam mit der Polizeiakademie und der jüdischen Gemeinde eine Dunkelfeldstudie durch, die das aufdecken soll. „Wenn jüdisches Leben sichtbar wird, wie jetzt bei Kundgebungen, wird auch oft die Gewalt sichtbarer. Das erklärt, warum wir jetzt schon 24 Straftaten hatten in diesem kurzen Zeitraum“, sagt Hensel.
Angst, beim Lieferdienst den Namen anzugeben
Israelische Bürger in Hamburg, die er kenne, sprächen mit ihren Kindern auf der Straße kein Hebräisch mehr oder änderten bei Lieferdiensten ihren Namen, weil sie Angst haben, dass sie sonst Schaden nehmen könnten. „Das sind massive Einschränkungen im alltäglichen Leben, denn die grundsätzliche Angst, dass etwas passieren kann, ist da. Und wenn Menschen überhaupt Angst haben zu sagen, wer sie sind, dann ist das Ziel des Antisemitismus schon erreicht“, sagt Hensel.
Die Gemeinde sei es gewohnt, dass die Polizei jüdische Einrichtungen schützen muss, aber „diese Realität ist nicht normal, daran muss man sich immer erinnern“, betont Hensel. Bei jedem Kinderfest oder anderen Veranstaltungen einer jüdischen Organisation, müsse diese sich Sorgen um die Sicherheit machen, und jetzt habe sich das verstärkt. „Das ist unglaublich belastend“, sagt der Antisemitismusbeauftragte.
„Wir brauchen auch die Zivilgesellschaft”
Was können die nicht-jüdischen Hamburgerinnen und Hamburger jetzt für die Gemeinde tun? „Die Hamburger Sicherheitsbehörden machen schon einen guten Job, aber wir brauchen auch die Zivilgesellschaft hinter uns“, sagt Hensel. „Wichtig ist, wenn im Bekannten- oder Freundeskreis etwas über Juden gesagt wird, von dem man weiß, dass es nicht stimmt, dann sollte man fragen, wo das herkommt und darüber reden“. Es sei wichtig, Antisemitismus und Verschwörungserzählungen nicht zu normalisieren.
„Antisemitismus ist ein Gift, das die Gesellschaft zersetzt, denn es ist irrational“, sagt Hensel. Es wäre gut, wenn sich zum Beispiel Sportvereine auf eine Antisemitismusdefinition einigen und auf dieser Basis dagegen vorgehen. In vielen Bundesländern ist das Thema auch an den Schulen sehr präsent. In Hamburg sind derzeit noch Ferien, doch schon ab Montag könnte auch in den Klassenzimmern hier diskutiert werden. Wie können Hamburgs Lehrkräfte mit Konflikten umgehen?
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„Wenn das Thema nach den Ferien in der Schule aufkommt, dann sollten die Lehrerinnen und Lehrer das erstmal so annehmen und mit den Schülerinnen und Schülern darüber ins Gespräch gehen: Was sind das für Informationen, die ihr habt? Wo kommen die her? Es ist ganz wichtig zu wissen, wo Missinformationen und Hetze herkommen. In Ausnahmefällen sind Verweise natürlich auch eine Option“, sagt Hensel.