Das gab‘s noch nie: So will Hamburg 100 Jahre lang für günstige Mieten sorgen
Zeitenwende auf dem Hamburger Wohnungsmarkt: Nach fast zweijährigen Verhandlungen haben sich die rot-grüne Rathauskoalition und die unter dem Motto „Keine Profite mit Boden & Miete“ angetretenen Volksinitiativen geeinigt. Das Ergebnis ist eine deutschlandweit einmalige Mietpreisgarantie von 100 Jahren für Sozialwohnungen sowie ein Privatisierungsverbot für städtische Grundstücke. Sogar die Verfassung wird umgeschrieben! Die MOPO erklärt, wie Politik und Aktivisten hinter den Kulissen zu der historischen Vereinbarung kamen, was sich im Detail verändert und warum Hamburg deutschlandweit zum Vorbild werden könnte.
Zeitenwende auf dem Hamburger Wohnungsmarkt: Nach fast zweijährigen Verhandlungen haben sich die rot-grüne Rathauskoalition und die unter dem Motto „Keine Profite mit Boden & Miete“ angetretenen Volksinitiativen geeinigt. Das Ergebnis ist eine deutschlandweit einmalige Mietpreisgarantie von 100 Jahren für Sozialwohnungen sowie ein Privatisierungsverbot für städtische Grundstücke. Sogar die Verfassung wird umgeschrieben! Die MOPO erklärt, wie Politik und Aktivisten hinter den Kulissen zu der historischen Vereinbarung kamen, was sich im Detail verändert und warum Hamburg deutschlandweit zum Vorbild werden könnte.
Angefangen hatte alles mit einer Unterschriftensammlung: Rund 30.000 Bürger:innen hatten die Volksinitiativen in ihrem Bemühen, den explodierenden Mieten auf dem Hamburger Wohnungsmarkt Einhalt zu gebieten, unterstützt. Erst aufgrund dieses Drucks von unten hatten sich die rot-grünen Regierungsfraktionen Ende 2020 zu Gesprächen mit den Volksinitiativen bereit erklärt.
Wohnungsmarkt: Hamburger Einigung als Vorbild für ganz Deutschland
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärte Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) am Mittwoch: „Wir haben alle das gleiche Ziel, nämlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Nur die Perspektiven waren unterschiedlich.“ Nach zähem Ringen habe man sich jedoch auf einen Kompromiss geeinigt, der in ganz Deutschland zum Vorbild werden könnte.

Und so sieht die Einigung aus: Ab September 2024 dürfen in Hamburg keine städtischen Grundstücke und Wohnungen mehr verkauft werden. Bei Landesbeteiligungen und Körperschaften der Stadt sind Senat und Bürgerschaft verpflichtet, ihre Gesellschafter- und Aufsichtsrechte zu nutzen, um Veräußerungen zu verhindern. Ausnahmen z.B. bei großen Stadtentwicklungsgebieten sind möglich, müssen aber von der Bürgerschaft abgesegnet werden.
Verkaufsverbot für städtische Wohngrundstücke wird in die Verfassung geschrieben
Um das Verkaufsverbot für Wohngrundstücke für alle Zeiten sicherzustellen, wird es in die Hamburgische Verfassung aufgenommen. Dort wird festgehalten, dass die Vergabe der Grundstücke zukünftig im Erbbaurecht erfolgt. Heißt: Die Stadt bleibt Eigentümerin des Grundstücks, Dritte dürfen darauf aber Gebäude errichten, die ihnen gehören. Auf diese Weise behält Hamburg es in der Hand, die Wohnraumversorgung der Bevölkerung gemeinwohlorientiert zu steuern.
Auch mit ihrem zweiten Anliegen konnten die Volksinitiativen einen Erfolg erzielen: Künftig müssen jährlich mindestens 1000 Sozialwohnungen gebaut werden, die nicht – wie bisher – nach 15 Jahren aus der Preisbindung fallen, sondern ganze 100 Jahre ihre günstigen Mieten behalten. Damit wird einem bisher ungelösten Problem begegnet. Der Bestand an Wohnungen des 1. Förderwegs befand sich im Sinkflug, weil zahlreiche geförderte Wohnungen aus der Preisbindung fielen. In den letzten elf Jahren sank der Bestand so von 98.772 auf nur noch 73.070 Sozialwohnungen.
Ein Drittel der städtischen Flächen müssen mit dauerhaft vergünstigten Wohnungen bebaut werden
In Zukunft müssen nun ein Drittel der für den Wohnungsneubau vorgesehenen städtischen Flächen mit solchen für hundert Jahre vergünstigten Wohnungen bebaut werden. Dabei gilt wiederum, dass 20 Prozent dieser Wohnungen nur an Wohnungssuchende mit Dringlichkeitsschein vergeben werden. Mieterhöhungen sind nur entsprechend den Verbraucherpreis- und Reallohnindizes möglich.
„Wir sind stolz darauf, dass wir das Verkaufsverbot von öffentlichen Grundstücken in der Verfassung verankern konnten“, erklärte Marc Meyer, Rechtsanwalt von „Mieter helfen Mietern“ und Vertrauensmann der beiden Volksinis. „So kann der Schutz vor Bodenspekulation nicht von künftigen Senaten rückgängig gemacht werden.“
Volksinitiativen hoffen nun auf eine bundesweite Gesetzgebung nach Hamburger Vorlage
Rechtsanwalt Paul-Hendrik Mann vom Mieterverein strich die Bedeutung der Einigung heraus: „Dauerhafte Mietpreisbindungen über Zeiträume von 100 Jahren sind in Hamburg, aber auch bundesweit einmalig.“ Sein Kollege Bernd Vetter von der Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße äußerte die Hoffnung, das Hamburger Modell könnte Schule machen und zu einem bundesweiten geltenden Gemeinnützigkeitsgesetz führen.
Die Einigung soll in den kommenden Wochen der Bürgerschaft zur Abstimmung vorgelegt werden. Seitens der Linksfraktion gab es bereits zustimmende Worte: „Glückwunsch und Riesendank an die Volksinitiative! Kommt das Erbbaurecht in die Hamburger Verfassung, ist es vorbei mit dem Ausverkauf städtischer Grundstücke. Das ist für die langfristige Stadtentwicklung absolut wichtig“, so die wohnungspolitische Sprecherin Heike Sudmann.
Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen äußerte Kritik
Kritische Worte kamen dagegen von Seiten des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), der die Einigung als „dramatische Fehlentscheidung“ bezeichnete. „Der Kompromiss mit den Volksinitiativen wird nicht dazu führen, dass mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Stattdessen gefährdet er den Bau von geförderten und frei finanzierten Wohnungen auf den Grundstücken der Stadt erheblich“, hieß es in einer Mitteilung. Nach Einschätzung des Verbands ist eine Finanzierung von Bauprojekten mit 100-jähriger Mietpreisbindung illusorisch. „Seriöse Bauherren für solche Konzepte“ würden sich nur schwerlich finden lassen.
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Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) rief die Verbände dazu auf, den neuen Weg mitzugehen. „Öffentlichen Grund und Boden nicht mehr zu veräußern, ist gesellschaftlicher Grundkonsens. Das Grundgesetz sagt: ,Eigentum verpflichtet‘. Das gilt auch für die gesamte Wohnungswirtschaft.“