Die Vertriebenen vom Kiez: „Ich war so naiv, an Rückkehr zu glauben“
Aus den einst visionären Plänen am Spielbudenplatz wird wohl vorerst – gar nichts. Zehn Jahre nach dem Abriss der legendären Esso-Hochhäuser auf St. Pauli scheint der Investor das Interesse am „Paloma Viertel“ verloren zu haben. Verlierer sind die ehemaligen Mieterinnen und Mieter, denen damals ein Rückzug in den Neubau versprochen wurde. Was ist inzwischen aus ihnen geworden – und wollen sie überhaupt noch zurückkommen? Die MOPO hat mit zweien von ihnen gesprochen: Sie sind sauer und enttäuscht – aber nicht überrascht.
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Aus den einst visionären Plänen am Spielbudenplatz wird wohl vorerst – gar nichts. Fast zehn Jahre nach dem Abriss der legendären Esso-Hochhäuser auf St. Pauli scheint der Investor das Interesse am „Paloma Viertel“ verloren zu haben. Verlierer sind die ehemaligen Mieterinnen und Mieter, denen damals ein Rückzug in den Neubau versprochen wurde. Was ist inzwischen aus ihnen geworden – und wollen sie überhaupt noch zurückkommen? Die MOPO hat mit zweien von ihnen gesprochen: Sie sind sauer und enttäuscht – aber nicht überrascht.
Monika Secka kann sich noch genau an die Nacht im Dezember 2013 erinnern, als sie ihr Zuhause auf St. Pauli für immer verlor. „Ich habe schon geschlafen, als die Polizisten um kurz nach halb elf unglaublich laut an meine Haustür hämmerten“, erzählt die heute 67-Jährige. „Sie haben laut gerufen, dass ich sofort hier raus müsste wegen Einsturzgefahr. Ich habe mir aber noch schnell etwas angezogen, so konnte ich ja nicht in die Kälte raus.“
Nach 33 Jahren: Mieter mussten über Nacht aus dem Esso-Haus
33 Jahre lang hatte die Hamburgerin in den Esso-Hochhäusern gewohnt. Mitte der 80er bekam sie als 25-Jährige einen Job im Westernstore „Hundertmark“, der zu dem Ensemble aus Häusern und Geschäften am Spielbudenplatz gehörte. „Damals haben die uns die Bude eingerannt wegen der Texas-Boots, die zu der Zeit modern waren“, erinnert sie sich und lacht. Zunächst wohnte sie in einer Ein-Zimmer-Wohnung, heiratete später und bekam einen Sohn. Die Familie zog innerhalb der Esso-Häuser in eine Drei-Zimmer-Wohnung um.
„Ich habe dort wirklich sehr gerne gewohnt“, sagt Secka. „Wir kannten uns alle untereinander, hielten Schwätzchen, von den Eckkneipen kam immer Musik und die Mieten war so günstig.“
Ehemalige Esso-Haus-Mieterinnen erinnern sich an die günstige Miete
Gerade Letzteres ist auch der heute 39-jährigen Julia Priani in Erinnerung geblieben, die dort während ihres Psychologie-Studiums gewohnt hat. „Meine Nachbarin und ich haben jeweils für 350 Euro warm in einer Ein-Zimmer-Wohnung gelebt“, sagt sie. „Sowas findest du heute nicht mehr.“
Schnell wurde klar – die Mieter können nicht in ihre alten Wohnungen zurück. Schon im Februar 2014 rollten die Abrissbagger an, seitdem klafft mitten auf St. Pauli eine riesige Baulücke.
In einer aufwendigen Bürgerbeteiligung rund um die Initiative „Planbude“ wurde jahrelang an den Plänen für das neue „Paloma-Viertel“ gefeilt: Rund 200 günstige Mietwohnungen, ein Hotel, Werkstätten, ein bezahlbarer Platz für den „Molotow“-Club, der nach dem Abriss wegziehen musste, sowie ein für alle zugängliches Dach zum Skaten, Klettern und Spielen kamen dabei heraus. Dazu ein Versprechen: Die ehemaligen Esso-Mieter würden zurückziehen können.
„Das wäre wirklich optimal gewesen“, sagt die 67-jährige Secka. „Ich war so naiv, an eine Rückkehr zu glauben.“ Damit ist sie nicht alleine, weiß Christiane Hollander. Die Juristin bei „Mieter helfen Mietern“ hat die Betroffenen schon lange vor dem Abriss unterstützt und macht das weiterhin.
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„In den Esso-Hochhäusern haben viele Menschen gewohnt, die es nicht leicht im Leben hatten“, erzählt sie. „Inzwischen sind einige schon verstorben oder können nicht mehr alleine leben und sind in betreuten Wohnanlagen untergekommen. Es gibt aber auch ehemalige Mieter, die immer noch darauf hoffen, zurück an den Spielbudenplatz zu ziehen.“ Einer sei in eine sehr dunkle Wohnung gezogen, weil er dachte, es sei ja nur für zwei oder drei Jahre.
Esso-Häuser Hamburg: Einige Ex-Mieter wollen zurück
Andere kamen mit ihrem neuen Zuhause nicht zurecht. Als Priani einen inzwischen verstorbenen Nachbarn in seiner Eimsbütteler Wohnung besuchte, habe er geweint, erzählt sie. „Er vermisste den Trubel von St. Pauli“.
So ging es auch einer älteren Frau, die ins Karolinenviertel umgesiedelt wurde. „Da würde man vermuten, das könnte vielleicht besser sein als direkt auf dem Spielbudenplatz mit dem Lärm und Gestank, aber sie war dort nicht glücklich“, sagt Hollander. Sie hätten es zum Glück geschafft, sie in eine Wohnung am Zirkusweg zurückzuholen.
Monika Secka ist ebenfalls wieder auf St. Pauli gelandet, sie wohnt in der Wohlwillstraße. Trotzdem sei das nicht das Gleiche, sagt die Rentnerin. Würde sie wieder zurück an den Spielbudenplatz? „Auf jeden Fall. Hier bin ich im 3. Stock, wer weiß, wie lange ich da noch hochkomme.“
Ob das Paloma-Viertel tatsächlich noch so wie geplant gebaut wird, steht derzeit auf der Kippe. Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass der Investor „Bayerische Hausbau“ der Hamburger SAGA das unbebaute Grundstück zum Kauf angeboten hat. Jetzt laufen die Gespräche – Ausgang unklar.