Das Ende der Gemütlichkeit? Hamburger Restaurants führen Stechuhr-Reservierungen ein
Nach dem Essen entspannt beisammen sitzen, noch das ein oder andere Glas zusammen trinken: In vielen Hamburger Restaurants ist das nicht mehr möglich. Mit Versacken ist jetzt Schluss! Immer mehr Gastronomen führen zeitlich begrenzte Reservierungen ein – und bitten die Gäste danach hinaus. Das Ende der Gemütlichkeit und Gastfreundschaft? Wie Restaurantbesitzer den „Rausschmiss“ begründen. Was Gäste und Verbraucherschützer dazu sagen. Und welch düstere Prognose ein Gastro-Experte abgibt.
Nach dem Essen entspannt beisammen sitzen, noch das ein oder andere Glas zusammen trinken: In vielen Hamburger Restaurants ist das nicht mehr möglich. Mit Versacken ist jetzt Schluss! Immer mehr Gastronomen führen zeitlich begrenzte Reservierungen ein – und bitten die Gäste danach hinaus. Das Ende der Gemütlichkeit und Gastfreundschaft? Wie Restaurantbesitzer den „Rausschmiss“ begründen. Was Gäste und Verbraucherschützer dazu sagen. Und welch düstere Prognose ein Gastro-Experte abgibt.
Essen, trinken … und dann rausgebeten werden? Immer mehr Hamburger Gastronomen führen feste Zeitfenster für Reservierungen ein. Tische können nur noch für zwei Stunden gebucht werden – dann kommen die nächsten Gäste. So wie im „Überquell“ auf St. Pauli, wo es Pizza, Bowls und selbstgebrautes Bier gibt. „Wir weisen nach den zwei Stunden auch sehr ungern darauf hin, dass die Zeit abgelaufen ist. Aber manchmal geht es nicht anders“, sagt Inhaber Patrick Rüther zur MOPO. „Wenn sich zum Beispiel jemand festgeschnackt hat bei einem Glas Wasser und die nächsten Gäste schon warten.“

Das, was sich für einige Gäste wie ein „Rausschmiss“ anfühlt, begründet der 50-Jährige so: „Es ist eine romantische Vorstellung, dass ich Gäste einlade und sie bei mir lange verweilen. Aber die Gastronomie ist ein Wirtschaftsunternehmen. Wir können es uns nicht leisten, einen Tisch am Abend nur ein Mal zu belegen. Beim Frisör bleibe ich ja auch nicht noch eine Stunde länger sitzen, obwohl ich schon fertig bin.“
Die Zeitfenster würden außerdem helfen, die Küche und den Service nicht zu überlasten. „In dem Reservierungssystem können wir minutiös steuern, wie viele Gäste wir zu welcher Zeit zulassen wollen“, sagt der Gastronom. Ein Prozedere, das seit der Corona-Pandemie an Wichtigkeit gewann. Die meisten Gäste seien im „Überquell“ ohnehin innerhalb von zwei Stunden fertig. „Sie sehen ja auch, dass schon die nächsten warten und gehen dann oft von selbst, ohne Aufforderung“, so Rüther. „Und wir schicken natürlich keinen weg, der noch isst oder noch ganz volle Getränke stehen hat. Dann versuchen wir, irgendwo noch etwas Platz zu schaffen.“
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Alvaro Piña Otey, Inhaber des „Carmagnole“ in der Sternschanze, nennt die Zeitfenster einen „Zwiespalt für die Gastronomen“. In seinem französischen Bistro essen die Gäste Steak Tatar, bretonische Artischocke oder Crème-Brûlée – von 18 bis 20 Uhr oder ab 20.15 Uhr. „Auf der einen Seite soll unser Restaurant ein Ort des Genießens sein. Auf der anderen Seite müssen wir wirtschaftlich denken“, sagt der 42-Jährige zur MOPO. Auch er könne nur ökonomisch arbeiten, wenn er die Tische jeden Abend doppelt belege: „Wir haben hohe Personalkosten und einen hohen Wareneinsatz, aber nur 32 Sitzplätze.“
Vor Einführung der Zeitfenster seien Gäste im „Carmagnole“ häufiger mal versackt. „Am Anfang essen und trinken sie noch viel, später teilen sie sich aber nur noch ein Wasser oder eine Weinschorle“, so Otey. Wie regieren die Gäste nun auf die Aufforderung, zu gehen? „Natürlich kommt es manchmal vor, dass sie dann lange Gesichter machen. Einige pöbeln auch, das ist aber sehr selten. Dann beschweren sie sich, dass sie so viel Geld hier lassen und wir sie jetzt rausschmeißen. Aber wir sind darauf angewiesen.“
Gastronom Otey: „Wir können nur ökonomisch arbeiten, wenn wir die Tische jeden Abend doppelt belegen“
Sind diese Zeitfenster denn erlaubt? „Rechtlich ist es nicht zu beanstanden, wenn bei der Reservierung ein Zeitfenster für den Aufenthalt vereinbart wir“, sagt Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Selbstverständlich sollte der Zeitrahmen ein gemütliches Essen ohne Hetze ermöglichen.“

Gar kein Fan der zeitlichen Begrenzung ist Christian Seim (40), Operations Manager von „Otto‘s Burger“. „Der Gast möchte einen gemütlichen Abend verbringen, hat das Glas noch halb voll, steht durch das Zeitfenster aber unter Druck. Das ist doch nicht das Wahre“, sagt er zur MOPO. In seinen Restaurants verzichte er fast gänzlich auf Reservierungen – und habe trotzdem genug Durchlauf.
Das sei natürlich das Optimale, sagt auch Patrick Rüther: „An unserem ,Überquell’ beim St. Pauli Fischmarkt kommt man aber selten spontan vorbei. Unsere Gäste steigen aktiv in die Bahn oder aufs Fahrrad, um zu uns zu kommen. Da ist es schon sinnvoll, mit Reservierungen zu arbeiten.“
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Niklaus Kaiser von Rosenburg hat großes Verständnis für die Einführung von Zeitfenstern. Er ist Hamburgs Vizepräsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) und erklärt auf MOPO-Anfrage: „Die hohen Betriebskosten und der Fachkräftemangel führen in vielen Betrieben zu verkürzten Öffnungszeiten. Das wiederum bedeutet, dass die Planung strukturierter sein muss.“ Ein Gastro-Überangebot habe in der Vergangenheit einen Luxus etabliert, ohne Reservierung zu kommen und lange zu bleiben. „Das wird nun ein Stück weit zurückgedreht.“ Seine düstere Prognose: „Wenn die Mehrwertsteuererhöhung zum Jahresende kommt, werden wir ein Restaurantsterben erleben, das diese Problematik explodieren lässt.“