Hamburger Brauerei will weg vom Craft Beer: Warum Ratsherrn aus der Szene aussteigt
Es galt jahrelang als DER Bier-Trend schlechthin: Craft Beer – spezielle Biersorten, die oft in Kleinbrauereien hergestellt werden und sich durch besonders kreative Komposition und/oder Zutaten auszeichnen. Auch die Hamburger Braumeister von Ratsherrn mischten in der Szene mit – und das äußerst erfolgreich. Nun jedoch zieht sich das Unternehmen von dort zurück. Warum?
Schnellen Schrittes geht Niklas Nordmann an den deckenhohen Stahltanks vorbei. Kleine Schaubilder erklären den Ablauf des Bier-Brauens. Welcher Hopfen wird verwendet? Wie funktioniert das Maischen, also der Prozess, bei dem das Brauwasser mit dem Gerstenmalz vermengt wird?
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen //
online kündbarMOPO+ Jahresabo
für 79,00 €Jetzt sichern!Spare 23 Prozent!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach zum gleichen Preis lesen //
online kündbar
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Es galt jahrelang als DER Bier-Trend schlechthin: Craft Beer – spezielle Biersorten, die oft in Kleinbrauereien hergestellt werden und sich durch besonders kreative Komposition und/oder Zutaten auszeichnen. Auch die Hamburger Braumeister von Ratsherrn mischten in der Szene mit – und das äußerst erfolgreich. Nun jedoch zieht sich das Unternehmen von dort zurück. Warum?
Schnellen Schrittes geht Niklas Nordmann an den deckenhohen Stahltanks vorbei. Kleine Schaubilder erklären den Ablauf des Bier-Brauens. Welcher Hopfen wird verwendet? Wie funktioniert das Maischen, also der Prozess, bei dem das Brauwasser mit dem Gerstenmalz vermengt wird?
Nordmann kennt die Vorgänge natürlich, auch wenn sein Arbeitsplatz ein Stockwerk höher liegt. Der 29-Jährige ist Teil der Geschäftsführung der Ratsherrn-Brauerei und derzeit vor allem damit beschäftigt, das Bier-Unternehmen in die Zukunft zu führen. Nach zehn Jahren an der Spitze der Hamburger Craft-Bier-Szene wird an einer Neuausrichtung gearbeitet.
„Mit dem Craft-Thema sind wir in einer Nische unterwegs gewesen“, konstatiert Nordmann und fügt an: „Wir wollten da raus.“ Heißt: Weniger Sorten, deutlicher Fokus auf die Biere, die tatsächlich getrunken werden. Zudem sollen neue Regionen erschlossen werden. Vor Corona wurde der Absatz vor allem im Stadtkern gemacht. Nordmann: „Wir wollen auch in den Stadtteilen östlich der Alster präsenter werden.“ Und Ratsherrn will in die Großstädte im Norden rein. Lübeck, Kiel, Rostock. „Wir glauben an das Thema Regionalität.“
Hamburger Brauerei will in Großstädte expandieren
Wie das genau die Expansion laufen soll, da hält er sich noch etwas bedeckt. Sicher ist nur: Der Schlüssel sollen neue (Gastro-)Konzepte werden, Frischbiertanks neue Kunden locken. Bisher sind sechs Bars und Brau-Gasthäuser angeschlossen. Das Bekannteste ist sicherlich das „Alte Mädchen“ in der Schanze.
Das Unternehmen betreibt aber auch noch Lokalitäten in Stralsund, Berlin und auf Rügen. Um sich für neue Konzepte inspirieren zu lassen, wird Niklas demnächst mit seinem Vater Oliver Nordmann auf Reisen gehen.
Das könnte Sie auch interessieren: Brauerei sammelt richtig viel Geld bei Spendenaktion
Das hat er schon häufiger getan, gerade in den Anfangszeiten. Damals war er noch Student in den USA, liebte die dortige Craft-Bierszene. Junior und Senior legten den Fokus bei ihren Bier-Expedition auf Amerika, denn dort gingen Craft-Biere durch die Decke. „Anfangs wollten wir einfach viel ausprobieren“, erinnert sich Niklas Nordmann.
Für Deutschland erwarteten sie sich ähnliche Entwicklungen wie in USA oder auch Skandinavien, wo handwerklich gebrautes Bier einen gigantischen Markt erschloss. Doch der Hype ebbte hierzulande schnell ab, Craft-Biere kamen kaum über zwei Prozent Marktanteil. Nordmanns Erklärung: „Die Bier-Vielfalt war in Deutschland immer schon sehr groß, die Qualität sehr hoch. Der Bedarf war deshalb nicht da.“
Ukraine-Krise beschleunigt neuen Ratsherrn-Kurs
Dass die Brauerei trotzdem so erfolgreich am Markt wurde, lag neben einer klugen Marketingstrategie mit Hamburger Bierstilen (u.a. Rotbier, Weißbier), einem hippen Branding und dem herausragenden Braumeister Ian Pyle, der 2013 zu Ratsherrn kam, auch daran, dass die Familie Nordmann vor dem Aufkauf der Traditionsmarke Ratsherrn (früher bei der Elbschloss-Brauerei) als Getränkegroßhändler bereits bestens vernetzt war in der Gastro-Szene.
So kam das Bier schnell in die Bars der Stadt. Mehr als 50 Prozent, erzählt Niklas Nordmann, habe Ratsherrn mit Gastronomie-Ausschank gemacht. Vor Corona wohlgemerkt. Den aktuellen Anteil mag er nicht verraten. Auch wie viel Bier momentan gebraut und in den insgesamt 26 Tanks gelagert wird, erzählt er nicht.
Die aktuellen Krisen haben den Wunsch nach einem Kurswechsel beschleunigt. Bier wird künftig teurer werden, so viel steht fest. Um sich insgesamt unabhängiger zu machen, baut Ratsherrn seit diesem Jahr Getreide auf Rügen an. 2023 soll damit erstmals auch gebraut werden. Auch ein weiteres alkoholfreies Bier wollen sie auf den Markt bringen – und damit auf den Gesundheitstrend weiter aufspringen. Nordmann: „Die Leute wollen vollen Genuss haben, ein Biererlebnis auch ohne Alkohol. Der Anteil alkoholfreier Biere am Markt beträgt acht Prozent.“
Bevor aber weitere Pflöcke für die Zukunft gesetzt werden, wird erstmal gefeiert: Am Freitag und Samstag veranstaltet die Brauerei ein Hoffestival auf dem 3500 Quadratmeter großen Gelände. Mit Live-Musik und Bier aus dem Frischetank.