x
x
x
  • Ein gewohntes Bild in der Waitzstraße: Ein Auto ist in eine Schaufensterscheibe gekracht.
  • Foto: Marius Roeer

Crash-Meile Waitzstraße: Für den Unfall-Wahnsinn gibt es nur eine Lösung

Die Waitzstraße, die auch am Bahnhof Othmarschen vorbeiführt, ist eine niedliche kleine Einkaufsstraße. Boutiquen gibt es hier, ziemlich viele Arztpraxen, einen Bio-Markt, diverse Lokale und Bistros. Sie ist für eine Einkaufsstraße verhältnismäßig grün – und unverhältnismäßig gefährlich. Immer wieder verwechseln hier Senioren beim Anfahren Gas und Bremse und fahren mit Karacho in den nächstgelegenen Laden, die sogenannten „Schaufensterunfälle“. Das sollte sich eigentlich ändern. Neue Sicherheitsbegrenzungen wurden eingesetzt – mal wieder. Gebracht hat es wenig – mal wieder. Dabei wäre es die Möglichkeit gewesen, hier zukunftsorientiert zu gestalten. Doch der Bezirk scheut sich vor der mutigsten Lösung: einer autofreien Zone. Der Grund könnte in der Vergangenheit liegen.

Im November 2020 wurden neue Pfosten aus Stahl in den Boden gelassen. Das Fundament lag tiefer als bei dem vorherigen Versuch, bei dem normale Stelen verankert wurden. Die Pfosten sollen dadurch einen möglichen Unfall abbremsen. Was für eine glorreiche Idee. Immerhin: Ein Unfall wurde abgebremst seither. Der am vergangenen Dienstag nicht. Die Fahrerin bretterte zwischen zwei Pfosten hindurch, nahm einen festen Mülleimer mit und landete in der Schaufensterscheibe der Haspa.

Waitzstraße: Bezirk scheut sich vor einer autofreien Zone

Das Problem mit der Orientierungslosigkeit am Steuer bleibt schließlich (siehe Foto oben). Und damit auch das Risiko, dass sich in der Waitzstraße Menschen verletzen, größere Schäden angerichtet werden. Die Poller sind zudem auch nur dort eingelassen, wo Schrägparken möglich ist. Dies abzuschaffen wäre leicht, würde aber Parkplätze kosten. Da wurden insgesamt lieber 150.000 Euro investiert, um ebenjene Poller in den Boden zu bauen. Das verstehe, wer will. 

Nun ist es so, dass eine autofreie Zone nicht nur Vorteile hat – zumindest auf dem ersten Blick. Denn natürlich müssten sich vor allem ältere Menschen umstellen, sie könnten nicht mehr direkt vor der Tür parken. Aber ist das wirklich ein Problem? Dafür muss man sich die Umgebung anschauen. Die Waitzstraße ist aus allen Richtungen an den ÖPNV angeschlossen. Die S-Bahn hält hier, Busse, auch Taxen. Ein Shuttle-Service als Ergänzung für ältere Menschen (gute Idee!) ist in Planung. Es gibt Parkplätze in der Umgebung, auch wenn die Anzahl überschaubar ist.

Das könnte Sie auch interessieren: Nach Unfallserie: Hier werden jetzt Anti-Terror-Poller installiert

Für Bezirkspolitikerin Ute Naujokat (SPD), die im Verkehrsausschuss in Altona sitzt, ist vor allem die gute Erreichbarkeit der Arztpraxen wichtig. Es sei nicht zumutbar, dass kranke Menschen weite Wege laufen, erklärt sie im November. Ein in der Tat streitbarer Punkt, der aber durchaus für jede Fußgängerzone gilt, in der Praxen angesiedelt sind.

BID gestaltet Waitzstraße – Politik verliert Souveränität im Hamburger Westen 

Das zweite und für mich viel entscheidendere Problem in der Debatte um die Gestaltung der Waitzstraße ist die Situation mit den Eigentümern vor Ort. In der Waitzstraße gab es ein BID (Business Improvement District), das 2012 angestoßen wurde. Gewerbetreibende und Eigentümer versuchten hier öffentlichen Raum mitzugestalten und aufzuwerten. Vor zwei Jahren wurde die umgestaltete Waitzstraße feierlich eröffnet. Wenn ein solches BID gegründet wird, spart die Politik – verkürzt gesagt – Gelder, da die Investitionen in aufwertende Maßnahmen von den BID-Leuten getätigt werden, verliert aber auch indirekt die Souveränität bei weiteren Gestaltungen. Und dies ist hier offenbar im Hamburger Westen geschehen, auch wenn der Bezirk auf Nachfrage sagt, dass das Thema Verkehrssicherheit außerhalb des BIDs betrachtet werden müsse, da das BID ausschließlich in die Aufwertung des Standortes investiert habe.

Richtig ist: Ohne BID wäre eine großflächige Umgestaltung damals finanziell nicht möglich gewesen. Richtig ist aber auch, dass sich die Ladeneigentümer in der aktuellen Diskussion gegen ein generelles Längsparken gewehrt haben, von einer autofreien Zone ganz zu schweigen. Naujokat bestätigt: „Natürlich haben wir sorgfältig geprüft, ob es nicht möglich wäre, hier eine Fußgängerzone einzurichten. Wir konnten aber die Bedenken des Gewerbes nachvollziehen, dass ohne Parkplätze die Kundinnen und Kunden eher woanders hinfahren.“ Sven Hielscher von der CDU hält ebenfalls nichts von einer Fußgängerzone. Solche Projekte sieht er eher in Ottensen gut aufgehoben.

Konfrontation mit älteren Menschen wird mit Umbaumaßnahmen ausgespart

Die Politik im Bezirk – anders kann man es nicht interpretieren – hat sich durch die Zustimmung zum BID Fesseln angelegt, traut sich zudem nicht in den Konflikt mit den älteren Menschen in Othmarschen. Die Konfrontation wird mit den jetzigen Umbaumaßnahmen ausgespart – und eine Chance verschenkt. Denn wenn eine Sache klar ist, dann die: In der Verkehrspolitik muss etwas passieren. Verkehrswende bedeutet nicht, nur Velorouten zu bauen oder Anwohner-Parkräume zu schaffen.

Das Thema Mobilität und nachhaltige Stadtentwicklung wurde in den vergangenen Jahren zu sehr ignoriert. Bisher gibt es viel zu wenig Ansätze, dies zu ändern. Da reicht kein Konzept für ein autoarmes Ottensen, kein Umbau am Jungfernstieg – auch wenn das zumindest Symbolkraft hat – und sicher keine Pfosten aus Stahl in der Waitzstraße. Letzteres wurde mal wieder eindrucksvoll vorgeführt. Ein Jammer, dass die Politik hier die Lösung vor lauter Poller nicht sieht.

Hinweis: Dieser Meinungsartikel ist erstmals Anfang November erschienen. Er wurde vom Autoren leicht überarbeitet, besitzt aber noch heute Gültigkeit, wie der Unfall am 4. Mai 2021 gezeigt hat.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp