x
x
x
  • Dieser Handzettel der „Querdenker“ landete in den Briefkästen der Hamburger.
  • Foto: hfr

Corona-Zettel wird in Hamburg verteilt: Was ist an den Querdenker-Thesen wirklich dran?

Viele Hamburger finden derzeit einen bunten Handzettel mit dem Titel „Corona ist nicht das Problem“ in ihrem Briefkasten. Absender ist die Initiative „Querdenken 40“. Sie gehören zu der Bewegung, die Samstag in Berlin gegen die Corona-Regeln demonstriert hat. Der MOPO deckt auf, was wirklich hinter den Thesen der Querdenker steckt.

1. These: Die Corona-Maßnahmen sind Quatsch

Behauptung: „Nationale und internationale Studien zeigen, dass die aktuellen Corona-Maßnahmen wissenschaftlich keine Evidenz haben, trotzdem lässt die Regierung nicht locker.“

Fakten: Belege für diese Behauptung führen die Querdenker nicht an. Auf welche „Studien“ sie sich beziehen, bleibt unklar. In Hamburg ist die Lage laut Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) derzeit „stabil“, das hat die Stadt auch den Corona-Maßnahmen wie Abstandsregeln und Maskenpflicht zu verdanken.

Mitte April lagen noch über 300 Corona-Patienten in den Hamburger Krankenhäusern, aktuell sind es 18 (Stand: 1. September). „Trotzdem lässt die Regierung nicht locker“: Ja, auch Hamburg bleibt mit großen Lockerungen noch vorsichtig. Denn jetzt geht es vor allem darum, die bisherigen Erfolge nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

2. These: Corona ist nicht das Problem.

Behauptung: „Corona ist nicht das Problem – es ist der Zusammenbruch des Finanzmarktkapitalismus. (…) Der finale Kollaps kündigte sich bereits seit Mitte 2019 an und wird durch Corona nur überlagert oder soll dadurch verschleiert werden.“

Fakten: „Das ist ziemlicher Quatsch. Natürlich ist Corona eine erhebliche Belastung auch für die Finanzpolitik. Aber durch die Konjunkturprogramme haben wir diesen Schock sehr gut abgefedert“, sagt Henning Vöpel vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Institut (HWWI).

Vom Zusammenbruch des Finanzsystems wird ständig und immer wieder gewarnt – vor Corona lief die Wirtschaft aber erstaunlich rund. Die Aktienkurse waren hoch, Länder wie Deutschland machten Überschüsse, andere machten Schulden. Alles recht normal also. Erst die Folgen des Lockdowns mussten mit riesigen, staatlichen Rettungsprogrammen abgemildert werden. Laut einer am Dienstag veröffentlichten Studie des HWWI wird die Wirtschaft Ende 2021 wieder auf dem Stand von Anfang 2020 sein – wenn es keine Rückschläge bei der Bekämpfung des Pandemie gibt.    

3. These: Der Lockdown hat die Reichen reicher gemacht

Behauptung: „Durch den Lockdown kommt es zu einer Verteilung der Vermögen von Fleißig zu Reich in besonders hohem Maße – die reichsten Menschen der Welt konnten in den vergangenen 3 Monaten ihr Vermögen bereits verdoppeln.

Fakten: Abgesehen davon, dass auch Reiche durchaus fleißig sein können fehlen auch hier jegliche Quellen oder Erklärungen. „Die These stimmt ein bisschen, aber es trifft nicht speziell auf die Corona-Krise zu. Krisen treffen meistens die Schwächeren und dafür die Stärkeren eher weniger. Es kommt auch darauf an, in welcher Branche man sein Vermögen hat“, so Henning Vöpel.

Zwar ist es so, dass manche sehr reiche Menschen wie Amazon-Chef Jeff Bezos von der Pandemie durch steigende Aktienkurse profitiert haben, andere haben jedoch massive Einbußen erlitten. Wer sein Vermögen in Tourismus, Luftfahrt oder Öl investiert hatte, ist jetzt sehr viel ärmer. Auch Investoren von Geschäfts- und Büro-Immobilien leiden stark unter der Krise, andere Branchen wie die Tech-Industrie boomen dagegen. 

4.     These: Durch die Pandemie soll die Gewaltenteilung ausgehebelt werden

Behauptung: „Es kristallisiert sich immer mehr heraus, die Pandemie wird genutzt, um die Gewaltenteilung im Land völlig auszuhebeln.“

Fakten: Dass dies nicht den Tatsachen entspricht, zeigt sehr deutlich die Corona-Demo vom vergangenen Samstag in Berlin. Die Demo war zunächst aus Infektionsschutzgründen verboten worden. Nach einer Klage der Querdenker erlaubte das Berliner Verwaltungsgericht die Demonstration. Sprich: Judikative hebt Entscheidung der Exekutive auf – klarer Fall von Gewaltenteilung.

Der Anmelder habe „hinreichende Vorkehrungen“ getroffen, um entsprechend auf die Versammlungsteilnehmer einzuwirken, heißt es unter anderem in der Begründung des Gerichts. Im Anschluss ging der Fall sogar vor das Oberverwaltungsgericht, hier wurde das Urteil nochmals bestätigt. Wenn die Gewaltenteilung wirklich ausgehebelt wäre, hätte die Demonstration nach dem ersten Verbot nicht mehr stattfinden können. 

5. These: Die Corona-Maßnahmen sollen bis 2022 verlängert werden

Behauptung: „Im Gesetzesvorschlag vom 16. Juni soll nun sogar eine Verlängerung der Maßnahmen bis 31. März 2022 erwirkt werden auch wenn die Voraussetzungen für eine epidemische Lage nationaler Tragweite nicht mehr vorliegen (Covid-19-Rechtsverordnungsweitergeltungsgesetz).“

Fakten: Hier geht es konkret um einen Antrag und einen Gesetzesvorschlag der FDP-Bundestagsfraktion aus dem Juni 2020. Zeitweise ging auf Facebook das Gerücht um, der Vorschlag sei schon ein Gesetz. Hier sieht man gut, wie mit faktendreherei Stimmung gemacht wird. 1. Die FDP ist Opposition, sie kann viel vorschlagen, umgesetzt wird das in der Regel nicht. 2. In dem Gesetzesvorschlag geht es vor allem darum, bestimmte staatliche Hilfsmaßnahmen z.B. für Gesundheitsberufe zu verlängern, auch wenn keine „keine epidemische Lage nationaler Tragweite mehr vorliegt“.

Das könnte Sie auch interessieren: Gewalt gegen Polizei – Platz vor Reichstag geräumt

CDU/CSU, SPD, Grüne und Linke haben sich gegen den Vorschlag der FDP gewandt. Bisher wurde kein solches Gesetz verabschiedet.

6. These: Die WHO sagt, Patienten ohne Symptome übertragen kein Corona

Behauptung: Die WHO sagt, dass Coronavirus-Patienten ohne Symptome die Ausbreitung des Virus nicht vorantreiben. Darüber findet man aber nichts in der Berichterstattung.

Fakten: Über diese Aussage ist in den Medien nichts zu finden, weil sie schlichtweg nicht wahr ist. Unabhängig davon, ob Infizierte Symptome zeigen oder nicht, können sie das Virus trotzdem übertragen. Die Faktenchecker von „Correctiv“ haben nachrecherchiert, wie es zu der Behauptung kam. Ergebnis: Eine missverständliche Aussage der WHO-Expertin Maria Van Kerkhove.

Sie sagte am 8. Juni in einer Pressekonferenz, dass die Übertragung des Coronavirus von einer asymptomatischen Person auf eine andere sehr selten sei. „Asymptomatisch“ heißt, es handelt sich um einen Infizierten der nicht erkrankt und keine Symptome zeigt. Später erläuterte Van Kerkhove, sie habe sich dabei auf einige wenige, teils unveröffentlichte Studien bezogen. Menschen, die keine Symptome haben, können das Virus aber definitiv auch auf den bekannten Infektionswegen wie Atmen, Niesen oder Sprechen weitergeben.

7. These: Die Regierung führt wahllos Zwangstests durch

Behauptung: Gesundheitsämter und Ärzte dürfen in bestimmten Fällen auch veranlassen, dass Personen zum Test bestellt werden, die keinerlei Symptome zeigen. Was unter „bestimmte Fälle“ zu verstehen ist, bleibt verborgen. Das bedeutet, dass potentiell jeder aus seinem Zuhause per behördlicher Aufforderung zum Zwangstesten gebeten werden darf.“

Fakten: Ganz so mysteriös ist es nicht: Ein kurzer Abstrich aus Mund- Nase oder Rachen, das war’s. Ein Corona-Test geht ganz schnell und tut nicht weh, trotzdem verbreiten die Querdenker Horror-Szenarien von undurchsichtigen Zwangstestungen.

Das könnte Sie auch interessieren: Kommentar: Mit Zusammenhalt gegen die Mythen-Beschwörer

Wer getestet werden soll, ist sehr genau in der Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums festgelegt. So werden derzeit zum Beispiel Reiserückkehrer aus Risikogebieten, Kontaktpersonen von Infizierten oder Arbeitnehmer, die häufigen Kontakte mit Menschen haben (zum Beispiel im Krankenhaus), getestet.

Für Reiserückkehrer aus Risikogebieten gilt tatsächlich eine Testpflicht. Der Pflichttest sei zwar ein Eingriff in die Freiheit des Einzelnen, „aber ich finde, es ist ein zumutbarer Eingriff“, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). In einer Gesellschaft gelte es, aufeinander aufzupassen und sich gegenseitig zu schützen. Die Tests sollen verhindern, dass niemand des Virus unwissentlich weitergibt und es zu unkontrollierbaren Ausbrüchen kommt.

8. These:  Demonstranten werden als Antisemiten und Rechtsradikale beschimpft

Behauptung: „Warum werden die Demonstrationen gegen die Maßnahmen in der gesamten Presse verunglimpft, die Demonstranten als antisemitische und rechtsradikale Verschwörungstheoretiker beschimpft?“

Fakten: Bei vielen Demonstrationen gegen die Corona-Regeln sind die Beweggründe der Demonstranten uneinheitlich. Neben Menschen, die das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes als Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit sehen, Impfgegnern, Esoterikern, Putin-Fans und Trump-Jüngern laufen Rechtsradikale mit Reichsflaggen und Anhänger von antisemitischen Verschwörungstheorien.  Die Querdenker haben sich erst im Anschluss an die Ausschreitungen vor dem Reichstag von der Demo dort distanziert. Auf ihrer Webseite werben sie mit dem Spruch „wir schließen keine Meinung aus“. Warum sie einerseits alle Menschen einladen und sich später andererseits beschimpft fühlen, bleibt ein Rätsel. 

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp