• Mitarbeiter eines Schlachthofs zerteilen am Fließband hängende Schweine.
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Corona-Skandal in Schlachthof: Ausbeutung und Quälerei: Das perverse Schweine-System

Die Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen häufen sich. Alleine bei der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück haben sich aktuell mehr als 730 Mitarbeiter mit dem Virus infiziert. Auch bei Hamburg wurde ein Schlachthof zum Corona-Spreader – das zeigt das Beispiel Kellinghusen. Kein Zufall: In den Betrieben werden Menschen und Tiere ausgebeutet, es  geht vor allem ums Geld. Die MOPO beantwortet die wichtigsten Fragen zum Corona-Ausbruch und zum „Schweine-System“ in Deutschland.

Wie viele Menschen haben sich in Schlachtbetrieben mit dem Coronavirus infiziert?

Im aktuellsten Fall beim Schlacht-Riesen Tönnies in Rheda-Wiedenbrück (NRW) haben sich mehr als 650 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert. Die Folgen: Rund 7000 Mitarbeiter und Angehörige müssen in Quarantäne. Erst im Mai hat es beim großen Fleischbetrieb „Westfleisch“ in Coesfeld 260 infizierte Arbeiter gegeben. Zudem gab es einen größeren Ausbruch bei der „Vion Food Group“ in Kellinghusen im Kreis Steinburg sowie diverse weitere Fälle.

Wo hat die Infektionswelle ihren Ursprung?

Tönnies geht davon aus, dass Beschäftigte das Virus etwa aus Heimaturlauben in Osteuropa mitgebracht haben. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte sich ähnlich geäußert. Das sorgt für Empörung: Solche Aussagen machten aus Opfern Täter, sagt Pastor Peter Kossen, der als Autor die Fleischindustrie kritisiert. „Dann heißt es nachher: Die ,dreckigen Rumänen‘ tragen uns hier die Krankheit rein. Dann sind wir mitten in der Rassismus-Debatte, die wir weltweit haben.“

Isabella Eckerle, Infektions-Expertin der Uni Genf, hält die Erklärung mit Heimreisen für „extrem unwahrscheinlich“: „Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf Tage, sodass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an Fällen erklären kann.“

Vielmehr sind wohl die Lebensumstände der Billiglöhner ein  Grund: Sie hausen oft in miserablen, engen und unhygienischen Unterkünften. Ein weiterer Faktor könnten die kalten Temperaturen in den Zerlegebereichen sein. Klar ist: Temperatur und Luftfeuchtigkeit haben Einfluss darauf, wie rasch Tröpfchen verdunsten. Laschet hat sich gestern noch für seine Aussagen zu Rumänen und Bulgaren entschuldigt.

Wie sind die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen?  

Das Prinzip: Die großen Betriebe stellen Subunternehmer an, die osteuropäische Arbeiter zu Billiglöhnen im Akkord schlachten lassen und in Sammelunterkünften unterbringen.  Marktführer Tönnies habe das System als einer der Ersten  eingeführt und setze es in allen seinen Schlachthöfen konsequent um, sagt Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

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Immerhin: Nach den diversen Corona-Fällen gerät die Industrie massiv unter Druck. Politiker überschlagen sich mit Forderungen, Verbraucher wenden sich pikiert ab. Die Bundesregierung hat ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in Teilen der Branche ab dem kommendem Jahr und höhere Bußgelder bei Verstößen gegen Arbeitszeitvorschriften  angekündigt.

Wie wird mit den Tieren in den Schlachthöfen umgegangen?

Regelmäßig kommen Videos ans Licht, die massive Misshandlungen und Rechtsverstöße zeigen. Durch die Akkordarbeit in den Betrieben sind die Menschen abgestumpft, die Tiere gelten als Ware. Es geht es nicht mehr um das Wohl der Tiere, sondern nur um Zeit. Wie die Tierrechtsorganisation PETA berichtet, führt das nicht selten zu fehlerhaften Betäubungen und damit qualvollen Schlachtungen, bei denen die Tiere bei Bewusstsein sind. 

Wie viele Tiere werden täglich in Deutschland geschlachtet?

Laut Statistischem Bundesamt wurden  2019 mehr als 763 Millionen Tiere in deutschen Schlachthöfen getötet. Dabei wurde eine Fleischmenge von etwas weniger als acht Millionen Tonnen produziert. Umgerechnet auf einen Tag bedeutet das eine tägliche Schlachtung von mehr als zwei Millionen Tieren.

Warum exportiert Deutschland so viel Fleisch?

Aufgrund hoher Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit genießt Deutschland einen guten Ruf. Gleichzeitig wird dank rigoroser Massentierhaltung und billigster Produktionsprozesse sehr günstig produziert, sodass deutsches Fleisch weltweit konkurrenzfähig ist.

Laut Bundesregierung produzieren wir etwa 20 Prozent mehr, als wir selber verbrauchen. Insgesamt sogar 5,5 Millionen Tonnen pro Jahr, wie das Statistik-Amt bestätigt, der weit überwiegende Teil davon sind Schweine-Produkte. Im Gegenzug importiert Deutschland aber auch viel Fleisch, etwa Rindfleisch aus Südamerika.

Was passiert mit den Tieren, wenn große Schlachthöfe wegen Corona-Ausbrüchen geschlossen werden?

Wie ein Experte einer Tier-Initiative der MOPO erklärte, würden die Tiere, die sich schon im Schlachthof aufhalten, auch geschlachtet. In einem Fall wie bei Tönnies liege die Entscheidung dann bei dem Veterinäramt, wie weiter vorgegangen werde. Doch auch aufgrund einer möglichen Ansteckung der Tiere mit dem Virus sei eine Schlachtung an dem jeweiligen Tag unvermeidbar.

Wie viele Menschen sind im Bereich der Fleischverarbeitung tätig?

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Wirtschaftszweig „Schlachten und Fleischverarbeitung“ im ersten Halbjahr 2019 ziemlich genau 100.000 Arbeitnehmer tätig. Sie verteilen sich auf 567 Betriebe in Deutschland. Im Vergleich zum Jahr 2018 sind das 4,1 Prozent mehr. 

Alleine beim größten Fleisch-Produzenten Tönnies arbeiten 16.00 Angestellte an den 29 Produktions- und 19 Vertriebsstandorten weltweit. 

Warum ist Fleisch so billig?

Neben den bereits beschriebenen Effekten (Ausbeutung, Massentierhaltung) gibt es wegen der latenten Überproduktion einen ständigen Preiskampf, der sich in den Prospekten der Discounter wöchentlich zeigt. Fleisch gilt als Lock-Produkt, mit dem Kunden in die Läden geholt werden. 

Wie viel Fleisch wird pro Kopf im Schnitt verzehrt? 

Jeder Deutsche vertilgt rund 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr, Tendenz leicht sinkend. Die Hälfte davon entfällt auf Schweinefleisch, gefolgt von Geflügel mit rund 13,8 Kilogramm. Vor allem der Verbrauch von Schweinefleisch sinkt kontinuierlich.

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