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  • MOPO-Reporter Julian König hat sich dank Corona in die Rennerei verliebt. 

Corona machte mich zum Jogger: Und plötzlich lief ich einfach los

Wenn die Temperaturen steigen, dann sind sie da, drängen sich über den Asphalt, in Parks, rennen über Friedhöfe, entlang der Elbe, der Alster, in Wäldern – Jogger. Mit dem Corona-Lockdown, den damit verbundenen Sport-Einschränkungen und Schließungen der Fitnessstudios, stieg auch die Zahl der Läufer in Hamburg rasant an. Gefühlt kamen einem – zumindest bei mir in Altona – zeitweise mehr Läufer als Fußgänger entgegen. Diese Dauer-Nervensägen, die einem mit ihren Läufen die eigene Unfitness ungefragt offenbaren. Einer von ihnen bin nun auch ich. Dabei konnte ich die Rennerei nie leiden.

„Ich hasse Joggen!“ Na, den Satz schon mal gesagt – oder gehört? Vermutlich. Es ist der gemeinsame Nenner aller Bewegungsmuffel. Sport? Ja. Vielleicht. Aber nur im Team, möglicherweise noch auf dem Rad, aber stumpf geradeaus? Keine Chance. So dachte ich auch. Lange sogar. Ich habe jahrelang Fußball gespielt, Tennis, habe sogar Sportwissenschaften studiert, verfüge über diverse Trainerscheine, habe eine Platzreife beim Golf erlangt, immerhin den gelben Gurt im Judo, kurz: Ich bin eigentlich nicht abgeneigt, ins Schwitzen zu geraten.

Bericht über Corona sorgt für Angst

Wären da nicht die Jahre nach meinem Studium gewesen, in denen ich mir mehr als 20 Kilogramm angefuttert habe. Und nun Laufen?

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Ein Foto aus dem April 2020. Das Bild sagt so ziemlich alles über den damaligen Zustand aus.

Foto:

König

Eines Nachts im April lag ich wach. Ich konnte nicht gut atmen, hatte etwas Fieber, Glieder- und Muskelschmerzen vom Feinsten. Meine Hausärztin wollte mich nicht in ihrer Praxis untersuchen, einen Coronatest durfte ich aus Kapazitätsgründen nicht machen. Urlaubsrückkehrer und Kontaktpersonen hatten noch Vorrang. Es blieb bei einer Telefondiagnose.

Das Wissen über die Krankheit wurde zwar täglich mehr, die Verunsicherung wuchs aber parallel mit. Auch bei mir. Ich grübelte über das Leben, knuffte den Fettring an meinem Bauch zusammen. So richtig zuversichtlich war ich in dem Moment nicht, zumal ich zu dem Zeitpunkt schon gute drei Wochen mit den Beschwerden kämpfte und auch so gelegentlich Züge eines Hypochonders entwickele. Jedenfalls las ich in dieser Nacht einen Bericht über die Arbeit von Klaus Püschel, Rechtsmediziner am UKE, der die Covid-19-Toten untersucht hatte. Das Fazit: Wer übermäßig dick ist, hat ein deutlich höheres Risiko auf seinem Tisch zu landen.

Beim Laufen stellen sich schnell Erfolge ein

Ganz neu ist die Erkenntnis ja nicht, dass Dicke gesundheitlich größere Probleme bekommen. In diesem Punkt verhält es sich aber oft wie mit dem Rauchen. Oder Billigflügen. Oder einem übermäßigen Fleischverzehr, dem Kauf von Produkten in Plastikverpackungen – Ignoranz verdrängt die Folgen. Doch diesmal hatte ich so viel Angst, dass ich einfach losgerannt bin.

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Ein Selfie nach meinem Lauf am 3. Mai. Nach wochenlanger Krankheit sieht man mir die Strapazen deutlich an.

Foto:

König

Die ersten drei Kilometer waren eine Zumutung. Ich brauchte beinahe eine halbe Stunde, schleppte mich Meter für Meter. Ich machte ständig Pausen. Zum einen, weil man das soll, schließlich muss man dem Körper Zeit zur Gewöhnung an die neue Ertüchtigung geben, und weil ich auch gar nicht anders konnte. Das war am 3. Mai.

Was danach folgte, umfasst so quasi das, was Anfänger so machen: Ich lief möglichst viel, möglichst häufig, gab mehr Geld für ein Paar Schuhe aus als jemals zuvor. Ich lud mir eine der vielen Jogger-Apps runter, trackte meine Wege, fachsimpelte ahnungslos von meiner „Pace“, also der Zeit, die ich pro gelaufenem Kilometer benötigte, wurde übermütig und verletzte mich.

Wer beim Joggen zu viel will, der verletzt sich schnell

Erst war es eine Reizung der Achillessehne (linker Fuß), die mich zwei Wochen aufs Rad zwang, dann meldete sich meine Hüfte, irgendwann die Leiste und zuletzt bekam ich einen Fersensporn (rechter Fuß), der jeden Schritt zur Farce machte. Alles binnen  vier Monaten, in denen ich beinahe 300 Kilometer gelaufen bin. Früher hätte ich aufgegeben. Diesmal nicht.

Ich liebe diese Stunde für mich. Kopfhörer in die Ohren, Musik an, ab nach draußen. Dabei muss es gar nicht das Elbufer sein, ich erkunde auch gerne Wohngebiete, suche nach neuen Wegen. Eins stellt sich dabei immer ein: Ich vergesse meine Sorgen des Tages. Mit fast jeder Einheit merkt man, wie sich die Kilometer besser anfühlen.

Wer einmal so richtig ins Laufen gekommen ist, der kennt das Gefühl, diese „Sucht“, die sich einstellen kann. Verstanden hatte ich es bis vor ein paar Wochen nicht wirklich, doch sehr schnell drehten sich fast alle Gespräche nur noch um den nächsten Lauf oder den bis dato letzten. Ich ging meiner Frau damit auf den Senkel, meinen Arbeitskollegen, wobei viele dort ebenfalls eine gewisse Besessenheit aufweisen.

Süchtig nach dem „Runner’s High“

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MOPO-Reporter Julian König ist spät zum Laufsport gekommen. Das Outfit war in seinem Geburtsjahr modern.

Foto:

Florian Quandt

Und es gibt noch eine Begleiterscheinung, die nicht unwichtig ist. Wer regelmäßig läuft, joggt, seine Runde dreht, der spürt es. Eine Euphorie erfasst den Körper, Endorphine werden ausgeschüttet, mögliche Schmerzen ausgeblendet: Viele Läufer – vor allem diejenigen, die längere Strecken bewältigen – berichten, oder schwärmen gar, vom „Runner’s High“, eine Art Rauschzustand, ein Glücksgefühl, das sich während oder nach einem Lauf einstellen kann. Viel mehr geht nicht. Ein legaler Drogenkosum, der – bei richtiger Anwendung – auch noch gesund ist.

Ich habe mittlerweile mehr als 25 Kilo abgespeckt. Dank der Lauferei und auch dank Klaus Püschel. Ich werde eine Nervensäge bleiben, will weiter abnehmen, gesund bleiben. Auch nach der Pandemie. Manchmal braucht es einen Ruck, einen Moment der Angst, ein bestimmtes Erlebnis, damit es klick macht. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen etwas ändern wollen, der Anstoß aber bisher gefehlt hat. Mir ist klar geworden, dass ich auf das Gefühl der Fettleibigkeit gut verzichten kann – auf das „Runner’s High“ nicht.

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